Bachmann-Preis im virtuellen Raum
18. Juni 2020Eigentlich war der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Ende März schon abgesagt. Die Corona-Pandemie verhinderte das jährliche Wettlesen in der Mehrheit junger Schriftsteller*innen im österreichischen Klagenfurt am Wörthersee, jedenfalls sah es in der Planungsphase lange so aus. Doch nach Protesten der Jury entschloss sich der verantwortliche Österreichische Rundfunk (ORF), die Veranstaltung ins Internet zu verlegen. Und so wurden am Mittwochabend (17.06.) die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur (TddL) wie so viele Veranstaltungen in diesen Zeiten ohne Publikum eröffnet. Samt eingespielter Eröffnungsreden und musikalischen Zäsursetzungen durch ein Cello-Akkordeon-Duo war die Eröffnung nur im Livestream zu verfolgen.
Lesungen und Jurystreit nur digital
Ob die Auswanderung ins Digitale trägt, wird sich in den nächsten Tagen erweisen, wenn die 14 von der Jury ausgewählten Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre bisher unveröffentlichten Texte vortragen. Ungefähr 25 Minuten haben sie dafür Zeit, ehe die Jury anschließend eine halbe Stunde zur Verfügung hat, dieses Prosa-Epistel zu zerfleischen. Dabei gehen die meist langjährig geübten Jurymitglieder in normalen Jahren nicht zimperlich vor, harsche Urteile sind keine Seltenheit.
"In diesem Jahr sind die AutorInnen ein bisschen geschützter", meint Kommentator Heinz Sichrovsky. Sie konnten ihre Texte im Vorhinein aufnehmen, "ohne Versprecher und Schweißperlen", und müssen nicht live vortragen. Doch die Diskussion ist als Live-Schalte mit den sieben Juroren in häuslicher Umgebung geplant. Hubert Winkels, Juryvorsitzender seit 2015, sieht diese Distanzierung qua Digitalisierung als großes Experiment und fragt sich, ob die emotionale Konzentration auch digital funktionieren wird.
Vierzehn Texte und fünf Preise in vier Tagen
Zeigen wird sich das, wenn die Hamburgerin Jasmin Ramadan am Donnerstag Vormittag den Lese-Reigen eröffnet. Ihr verdankt Fatih Akin die Romanvorlage für seinen Film "Soul Kitchen. Die 1983 in Prizren im damaligen Jugoslawien geborene Meral Kureyshi, die heute als freie Autorin in der Schweiz lebt, beendet den dreitägigen Lesemarathon am Samstagmittag. Mit besonderer Spannung dürfte Helga Schubert mit ihrem Text erwartet werden, denn die gebürtige Berlinerin fällt aus dem Rahmen. Die Achtzigjährige war 1980 schon einmal nach Klagenfurt eingeladen, bekam damals aber keine Ausreisegenehmigung aus der DDR. 1987-1990 saß sie dann sogar in der Jury der TddL. "Ich bin bestimmt die Allerälteste von allen", sagt sie uneingeschüchtert in ihrem Porträt-Video für den Bachmannpreis. "Meine Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich hier im Wettbewerb bin, könnten meine Kinder und Enkel sein."
Die Texte, mit denen sich die 14 Autorinnen und Autoren um den mit 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis bewerben, werden jeweils nach ihrer Lesung online gestellt, vorher ist selbst das Thema noch geheim. Am Sonntag (20. 06.) wird der nach der Dichterin und Literatin Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) benannte Preis vergeben, zusammen mit dem Publikumspreis, der am Samstagnachmittag durch ein Publikumsvoting ermittelt wird, und drei weiteren Auszeichnungen.
Sprache als Instrument gegen Missstände
Zum Zeremoniell der Eröffnung gehört traditionsgemäß auch die "Klagenfurter Rede zur Literatur". Sharon Dodua Otoo, die Preisträgerin von 2016, versteht Schreiben und den Umgang mit Sprache als einen Kampf gegen gesellschaftliche Missstände. Aktueller hätte sie mit ihrem Plädoyer gegen Rassismus und Diskriminierung nicht sein können. In ihrem live und mit sympathisch lebendigen Versprechern gehaltenen Vortrag erinnerte sie an die Kämpfe um rechtliche und soziale Gleichstellung von Schwarzen weltweit. Was sie zu sagen hatte, deklarierte sie als Vorrede, Bemerkungen darüber, was es heißt, in der Diaspora "Schwarz" zu sein - und wie eine diskriminierungsfreie Sprache als notwendiger Schritt zu einer Rassismus-freien Gesellschaft aussehen müsste.
Für einen "respektvollen Umgang mit unserer gemeinsamen deutschen Sprache" gebe es "Lösungen und Angebote". "Schwarz" großzuschreiben sei keine falsche Schreibweise, als die sie beklagenswerter Weise von vielen Duden-gläubigen Redaktionen immer noch angesehen würde, sondern eine politische Selbstbezeichnung, um die Zugehörigkeit zu einer Community zu kennzeichnen. "Die Verwendung der Großbuchstaben am Anfang des Wortes kann zeigen, dass wir der Community angehören oder, wenn dem nicht so ist, dass wir uns mit der Bewegung solidarisieren. Das hat auch in deutschsprachigen Ländern Tradition."
Das Konzept "Blumen malen" steht für die Vielfalt Schwarzer Kunstschaffender
Es sei notwendig, daran zu erinnern, dass Diskriminierung existiere, und daran, dass die eigene Haltung dazu in der Wortwahl oder der Schreibweise deutlich wird. In diesem Zusammenhang ging sie auf eine Kontroverse ein, die in Deutschland seit zwei Monaten heftig geführt wird. "Mit Erstaunen verfolge ich die aktuelle Debatte um den kamerunischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe, dem Antisemitismus und Holocaustrelativierung vorgeworfen werden. Auf der anderen Seite wirft er seinen Kritikern Rassismus vor. Mir erscheint es unabdingbar, die Kämpfe gegen Antisemitismus und Anti-Schwarzen Rassismus zusammenzudenken." Die Solidarität, die zwischen Schwarzen Communities und jüdischen Communities in Deutschland bestehe, müsse wahrnehmbarer gemacht werden.
Als Otoo nach ihren ausführlichen Kommentaren dazu, durch die Sprache für Anerkennung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit für Schwarze Menschen zu kämpfen, endlich ihre eigentliche Rede ankündigt, fällt diese extrem kurz aus. Sie besteht nur aus zwei Sätzen, dem Titel und einer Antwort: "Dürfen Schwarze Blumen Malen? Ja. Je mehr, desto besser."