Inflation: Banken fordern Reaktion der EZB
15. November 2021In der Finanzbranche mehren sich angesichts stark steigender Inflationsraten Forderungen nach einem Ende der Geldschwemme der Europäischen Zentralbank. "Das vermeintliche Allheilmittel in den vergangenen Jahren - niedrige Zinsen bei vermeintlich stabilen Preisen - hat seine Wirkung verloren, denn jetzt kämpfen wir mit deren Nebenwirkungen", sagte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing am Montag zum Auftakt der Euro Finance Week in Frankfurt. Die Geldpolitik müsse gegensteuern - "und das eher früher als später", mahnte Sewing, der auch Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken ist.
Cornelius Riese, Co-Chef des genossenschaftlichen Spitzeninstituts DZ Bank, erinnerte daran, dass die EZB in den vergangenen Jahren angesichts seinerzeit vergleichsweise niedriger Teuerungsraten vor Deflation gewarnt hatte, also einem Verfall der Preise auf breiter Front als Risiko für die Konjunktur. "Für mich stellt sich die Frage: Wo ist eigentlich das Problembewusstsein, das kommunizierte Problembewusstsein der EZB, was analog ist, was synchron ist zum Thema Inflation?", sagte Riese.
Von wegen "temporär"
Die Teuerungsraten in Deutschland und im Euroraum klettern seit Monaten. In Deutschland etwa lagen die Verbraucherpreise im Oktober um 4,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Inflation ist damit so hoch wie zuletzt vor 28 Jahren. Die EZB erklärt den Anstieg zum Großteil mit Sonderfaktoren wie der Erholung der Ölpreise nach dem Corona-Schock sowie Lieferengpässen infolge der gestiegenen Nachfrage. Zudem schlägt die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland durch. Doch etliche Volkswirte und Banker warnen davor, die Entwicklung zu unterschätzen. "Wir sehen auch, dass das Thema Inflation nicht ganz so temporär ist, wie es möglicherweise aus politischen Kreisen postuliert wird", sagte der neue Chef von HSBC Deutschland, Nicolo Salsano.
Sewing bekräftigte: "Und mich persönlich macht mit Blick auf die Geldwertstabilität skeptisch, was ich in den Gesprächen mit unseren Kunden höre. Sie alle richten sich darauf ein, dass die hohen Inflationsraten länger andauern werden. Und wir wissen, was das heißt: Steigen die Inflationserwartungen, dann steigt in der Regel irgendwann auch die Inflation - und zwar längerfristig."
Lagarde: Inflationsphase "könnte länger dauern"
Kritiker werfen der EZB vor, mit dem billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Der EZB-Rat will am 16. Dezember entscheiden, wie es mit den milliardenschweren Anleihenkäufen der Notenbank weitergeht. Nach bisheriger Planung soll das zur Abfederung des Corona-Schocks aufgelegte Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) noch bis mindestens Ende März 2022 laufen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte nach der jüngsten EZB-Sitzung Ende Oktober gesagt, sie gehe davon aus, dass das PEPP im März enden werde. Allerdings will die Notenbank Geld aus auslaufenden Wertpapieren des 1,85 Billionen Euro umfassenden Programms auch danach neu anlegen. Zudem gibt es im EZB-Rat Sympathien für die Idee, die Flexibilität des Notkaufprogramms auf andere Anleihenkaufprogramme zu übertragen. Sewing mahnte: "Die Folgen dieser ultralockeren Geldpolitik werden sich immer schwerer heilen lassen, je länger die Zentralbanken nicht gegensteuern."
Die Phase erhöhter Inflation im Euroraum könnte laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde länger als erwartet andauern. Zwar gehe die Notenbank weiter davon aus, dass die Lieferkettenprobleme im Laufe des kommenden Jahres schrittweise nachließen, sagte Lagarde am Montag in einer Anhörung vor einem Ausschuss des Europaparlaments laut Redetext. "Doch der Rückgang wird länger dauern als ursprünglich gedacht", fügte sie hinzu. Falls die Energiepreise weiter anzögen und die Lieferprobleme anhielten, könnte die Inflation länger erhöht bleiben als es die EZB derzeit erwarte, warnte die Französin. Mittelfristig erwartet die Notenbank weiterhin, dass die Teuerung im Währungsraum unter dem EZB-Inflationsziel von zwei Prozent liegen wird. Die Währungshüter hatten sich auf ihrer jüngsten Zinssitzung trotz rasant steigender Preise nicht aus der Reserve locken lassen und Zinsfantasien an den Finanzmärkten eine klare Absage erteilt.
hb/iw (dpa, rtr)