Hannover Messe als Arena für Industrie 4.0
13. April 2015Roboter in allen Formen beherrschen das Bild auf der Hannover Messe. Das an sich ist nichts Neues. Neu ist, dass die stählernen Kollegen mittlerweile dem Menschen näher kommen - sie arbeiten auf engstem Raum mit ihm zusammen. Und neu ist auch: Produktionsanlagen werden immer effizienter, können immer individuellere Kundenwünsche erfüllen, Werkzeuge und Werkstücke kommunizieren miteinander. So lassen sich auch kleinste Produktmengen herstellen oder die Anlagen schnell umrüsten.
Diese Entwicklung hat verschiedene Namen: smarte Fabrik, integrated industry oder eben auch Industrie 4.0. Das soll zeigen: Die Industrie erlebt nach der Erfindung der Dampfmaschine, der Einführung der Massenproduktion und dem Einzug von Robotern in die Produktionslinien nun ihre vierte Revolution. Und natürlich ist die Frage: Wer hat die besten Lösungen? Die Chinesen als weltgrößter Anbieter von Maschinen oder die US-Amerikaner als Nummer 2 - oder sind es doch die Deutschen?
Rennen ist noch nicht entschieden
Philip Harting ist Vorstandmitglied des gleichnamigen Familienunternehmens, dessen Produkte Maschinen, Anlagen und Geräte miteinander verbinden. Aus seiner Sicht ist das Rennen noch nicht entschieden. Die US-Amerikaner seien sehr gut im Software-Bereich und in der IT. Die Deutschen sieht er bei Produktions- und Automatisierungstechnologie auf einem guten Weg. "Wenn ich das hier vergleiche zum letzten Jahr: Das ist ein großer Schritt nach vorn. Das heißt: Industrie 4.0 wird greifbarer. Die Anwendung, die wir hier am Stand sehen, das ist eine reale Fertigung, die wir vor einem Jahr so noch nicht hätten zeigen können."
Das ist nicht nur bei Harting so zu hören, sondern auch bei zahlreichen anderen Ausstellern. Überall sind komplette Produktionslinien zu sehen, die vorne mit Material und Informationen gefüttert werden und am Ende ein fertiges, oft individualisiertes Produkt auswerfen.
Dass das Rennen trotzdem gerade erst begonnen hat, sieht auch Thilo Brodtmann so, der Hautgeschäftsführer des Verbandes der Maschinen- und Anlagenbauer: "Man muss abwarten, welche Standards sich herausbilden." Er kenne, sagt er, viele Maschinenbau-Unternehmen, "wenn die fünf gleiche Maschinen herstellen, reden die schon von einer Serienproduktion." Und eben weil die deutschen Anbieter die Kundenwünsche so genau kennen, sieht Brodtmann - das ist sein Job - die Unternehmen sehr gut aufgestellt. "Und das ist nicht einfach in IT zu gießen, nicht einfach von den Googles und Amazons dieser Welt abzubilden - da braucht man schon eine jahrelange Kenntnis der Thematik."
Erfolg lässt auf sich warten
Und doch gab es in Deutschland längere Zeit vor allem Gerangel um die Kompetenzen - zum Beispiel, welches Ministerium denn nun zuständig sei für das Thema Industrie 4.0. Das scheint zwar ausgeräumt, aber eine wirkliche Alternative zum Industrial Internet Consortium (IIC) der US-Industrie ist noch nicht in Sicht. Oder sie ist gut versteckt. "Nein, es klemmt nicht, im Gegenteil: Das Rennen ist eröffnet und wir sind vorne dran", sagt Ulrich Grillo, der Chef des deutschen Industrieverbandes BDI. Nur müsse man Gas geben, "um auch vorne bleiben".
Überraschend sagt Grillo dann noch, dass er wirkliche Erfolge noch nicht sehe. "Der einzige Erfolg ist, dass es in aller Munde ist. Aber Industrie 4.0 ist eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft, für die Industrie und insofern sind wir froh, dass es angepackt wird und sich alle drum kümmern und es nach vorne bringen."
Dem widerspricht Eberhard Veit, Chef des Automatisierungs-Anbieters Festo. Sein Unternehmen ist eines von vielen deutschen Weltmarktführern, die in der Fertigungsindustrie die Benchmarks setzen. Veit sieht die deutsche Industrie nicht hinter der US-Konkurrenz herlaufen: "Dieser Eindruck ist völlig falsch. Wir haben vor lauter Arbeiten - oder wie wir in Schwaben sagen, vor lauter Schaffen - vergessen zu sagen, dass wir schon weiter sind als die Amerikaner." Man brauche sich nicht zu verstecken, Anlagen und Technologien seien überzeugend, "und wir glauben, dass wir die Nase weiter vorn haben".
Digitaler Binnenmarkt muss kommen
Allerdings sind noch einige Hausaufgaben zu erledigen, das weiß auch Industrie-Chef Grillo. "Wir müssen Industrie 4.0 machen", so seine Forderung. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen, man brauche gemeinsame Standards und Sicherheitsregeln und europaweite Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit. "Die Amerikaner haben den Vorteil: Einmal auf den Knopf drücken, dann haben sie 315 Millionen Konsumenten erreicht. In Europa müssen wir das für 28 Länder aufdröseln", so Grillo. "Wir brauchen einen digitalen Binnenmarkt in Europa."
Unbeeindruckt vom ganzen Trubel um Industrie 4.0 gibt sich hingegen der Chef des Stahl- und Technologiekonzerns Salzgitter. Heinz Jörg Fuhrmann muss schmunzeln, wenn man ihm die Fragen stellt, wie das denn zusammenpasse: Stahl und vernetzte Produktion. "Das passt hervorragend zusammen." Denn Stahl sei ein Hightech-Produkt. Wird Warmband gewalzt, werden Tausende von Daten aufgenommen, online ausgewertet und in die Prozesssteuerung übertragen. Fuhrmann: "Wir haben vielleicht noch nicht gewusst, dass es Industrie 4.0 heißt, aber wir machen es schon seit Jahren."