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Narendra Modi setzt auf die Wirtschaft

Arthur Sullivan
19. April 2024

In dem bevölkerungsreichsten Land der Erde wird ein neues Parlament gewählt. Premierminister Narendra Modi will erneut gewählt werden und wirbt deshalb mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen. Zu recht?

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Indien Premierminsiter Modi beim Wahlkampf
Bild: Mahesh Kumar A./ASSOCIATED PRESS/picture alliance

In Indien findet die größte demokratische Wahl in der Geschichte der Menschheit statt: Fast eine Milliarde Menschen sind berechtigt, bei der Parlamentswahlabzustimmen. Die Wahl läuft sechs Wochen und es gibt eine Million Wahllokale - vom Himalaja bis zum Indischen Ozean.

Der amtierende Premierminister Narendra Modi will fünf weitere Jahre regieren und strebt eine dritte Amtszeit an. Bei einem Thema gibt er sich besonders optimistisch: der Wirtschaft.

Er und seine hindunationalistische Partei BJP sprechen häufig von Viksit Bharat 2047 - was so viel bedeutet wie "Entwickeltes Indien 2047". Ein Versprechen an die Wähler, Indien zur voll entwickelten Wirtschaft zu machen - zum hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit. Doch wie hat sich die Wirtschaft wirklich unter Modi entwickelt? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten.

Indien auf dem Weg zur drittgrößten Wirtschaft der Welt

Noch sind Japan und Deutschland die dritt- und viertgrößten Wirtschaftsnationen der Welt - hinter den USA und China. Doch viele Daten deuteten darauf hin, dass Indien bis 2026 oder 2027 den dritten Platz einnehmen könne, erklärt Arvind Panagariya gegenüber der DW. Der Ökonom von der Columbia University in New York wurde kürzlich von Modi zum Vorsitzenden der einflussreichen indischen Finanzkommission ernannt.

Auch Shumita Deveshwar, Chefökonomin für Indien bei GlobalData TS Lombard, ist optimistsich: "Angesichts des globalen Umfelds gehört Indien zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt", sagt sie der DW.

Beim Wachstum ist Indien derzeit ein Ausreißer unter den großen Volkswirtschaften. In den letzten drei Monaten des Jahres 2023 stieg das BIP um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt das Land weit vor den anderen zehn größten Volkswirtschaften der Welt.

Hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen

Doch nicht alles läuft wirtschaftlich nur rosig: Ein besonders hartnäckiges Problem ist die Arbeitslosigkeit. Sie liegt derzeit bei zehn Prozent und ist vor allem unter jungen Menschen hoch. Angesichts der riesigen und schnell wachsenden Bevölkerung des Landes ein großes Problem.

Indien Arbeitslose wollen in Israel Arbeit finden
Arbeitslosigkeit ist in Indien ein großes Problem - sie liegt bei zehn ProzentBild: DW

Sushant Singh vom Center for Policy Research in Indien sagt, es gebe "keinen Plan", um das Problem zu lösen. "Die demografische Dividende hat sich in eine demografische Katastrophe verwandelt", so Singh zur DW.

Weitere hausgemachte Probleme von Modi seien schwache Daten in Bezug auf das verarbeitende Gewerbe und ausländische Direktinvestitionen, so Singh. Nach Angaben der Großbank HSBC sind die Netto-Direktinvestitionen in Indien heute niedriger als bei Modis Amtsantritt vor zehn Jahren. "Das ist ernst zu nehmen", sagt Singh, "denn das bedeutet, dass die Menschen nicht in das verarbeitende Gewerbe, die Industrie oder Unternehmen investieren."

Obwohl Modi eine Agenda für die heimische Fertigung mit dem Namen Make in India vorangetrieben hat, entfallen auf das verarbeitende Gewerbe immer noch nur etwa zwölf Prozent der Arbeitsplätze im Land. "Wir haben uns im Grunde genommen von einem Agrarstaat zu einer Dienstleistungswirtschaft entwickelt, und das verarbeitende Gewerbe ist dabei einfach stehen geblieben", so die Ökonomin Deveshwar.

Wirtschaft auf Reformkurs

Der Ökonom Arvind Panagariya sagt, Modi sei wichtige Reformen angegangen. So zum Beispiel in den Bereichen Steuern, Konkursrecht und Immobilien. Das hätte "einen großen Unterschied" für die Wirtschaft gemacht.

Indien | BJP Kundgebung | Premierminister Narendra Modi
Modis Partei BJP könnte zum dritten Mal die Wahlen gewinnen. Bild: Debajyoti Chakraborty/NurPhoto/picture alliance

Die Ökonomin Deveshwar hingegen sieht die Reformbilanz kritisch. Ihrer Meinung nach fehlt es an weiteren Strukturreformen, um die von Modi angekündigten Ziele zu erreichen. Modis regierende Nationale Demokratische Allianz, in der seine BJP die größte Partei ist, habe beispielsweise die Jahresziele für die Privatisierung staatlicher Unternehmen nicht erreicht. Sie verweist auch auf drei umstrittene Landwirtschaftsgesetze, die Modis Regierung einführte, bevor sie sie 2021 nach Massenprotesten wieder aufhob.

Armut und Ungleichheit

Deveshwar ist jedoch der Meinung, dass Modi auch deshalb so beliebt ist, weil er die Stimmung bei wirtschaftlichen Fragen spürt - so wie bei der Aufhebung der Agrargesetze. "Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er wirklich die Finger am Puls der Nation hat. Und wenn er das Gefühl hat, dass etwas in Indien nicht gut ankommt, kann er es auch zurückziehen", sagt sie.

Und da ist noch ein weiterer Grund für Modis Anziehungskraft: Indien ist in vielerlei Hinsicht nach wie vor ein extrem armes Land. Daten der Weltbank zeigen aber, dass der Anteil der in extremer Armut lebenden Inder während Modis Amtszeit weiter gesunken ist.

Indien | Wirtschaft und Exporte
Indien ist weiter gesellschaftlich sehr ungleichBild: Mayank Makhija/NurPhoto/picture alliance

Panagariya sagt, dass die Regierung besonders aktiv in Bezug auf Wirtschaftsprogramme im ländlichen Indien gewesen sei. Die große Agrar- und Landbevölkerung des Landes gilt als entscheidend für Modi auf dem Weg zur nächsten Amtszeit.

"Besonders in den ländlichen Gebieten bekommt jeder etwas von der Zentralregierung", sagt Panagariya. Er verweist auf ländliche Wohnungsbauprogramme, Initiativen zum Bau von Toiletten, Bargeldtransfers, Gesetze zur Ernährungssicherheit und die weit verbreitete Verteilung von Flüssiggas zum Kochen. Das alles sei Beweis dafür, dass Modi versuche, Ressourcen an die ärmsten Teile des Landes zu verteilen.

Doch die Meinungen darüber, wie es den Ärmsten in Indien unter Modi wirklich ergangen ist, gehen weit auseinander. Sushant Singh vom Center for Policy Research sagt, die Ungleichheit habe in den letzten zehn Jahren zugenommen und verweist auf Daten aus einem aktuellenBericht des World Inequality Lab. "Sowohl die Einkommensungleichheit als auch die Vermögensungleichheit hat unter Modi zugenommen", und fügt hinzu: "Pro Kopf gemessen ist Indien das ärmste Land der G20."

Modis Infrastrukturinvestitionen

In einem Bereich sind die wirtschaftlichen Erfolge aber besonders sichtbar: der Infrastruktur. Bereits im Vorwahlbudget für 2024 hat Modi eine Erhöhung der Investitionsausgaben für Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen um elf Prozent auf umgerechnet rund 125 Milliarden Euro zugesagt.

Bereits während seiner Amtszeit hat Modi stark in die Infrastruktur investiert - in die physische, aber auch in die digitale. Panagariya hält die Investitionen für gerechtfertigt und für unerlässlich, wenn Indien die wirtschaftlichen Ziele erreichen will, von denen der Premierminister spricht.

Indien | Bauarbeiten am Zoji La Pass
Modis Regierung hat sich stark auf die Infrastruktur im Land konzentriertBild: Yawar Nazir/Getty Images

Deveshwar stimmt dem zu. "Man kann es nicht wirklich als populistisch bezeichnen", sagt sie. "Es ist sehr notwendig. Eines der Hauptprobleme, die Indien seit Jahrzehnten hat, ist seine alte Infrastruktur. Und die politische Richtung ist jetzt sehr positiv."

Dieser Bereich ist für alle besonders greifbar. Der Ausbau der Infrastruktur könnte also als sichtbarer Messgrad dienen, für die Richtung, in die sich Indiens Wirtschaft entwickelt. Für Ökonomen wie Panagariya ist der Ausbau der Infrastruktur auch einer der Gründe, warumdie Wahl Modisbereits als beschlossene Sache angesehen wird.

Doch auch wenn eine dritte Amtszeit Modis wahrscheinlich ist, wirken seine hochgesteckten Ziele wie Viksit Bharat 2047 nicht als realistisch, sondern eher als Wahlkampf.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.