Parlamentswahlen in Indien: ein logistisches Großunternehmen
16. März 2024Die für April und Mai anstehenden Wahlen in Indien sind logistisch ein weltweit herausragendes Unternehmen: Fast 970 Millionen Wahlberechtige - so viele wie in keinem anderen Land der Welt - werden bei dem in mehrere Phasen unterteilten Urnengang ihre Stimme abgeben können und darüber entscheiden, wer künftig im Unterhaus des indischen Parlaments, dem sogenannten Lok Sabha oder Haus des Volkes, sitzen wird.
Beginnen werden die Wahlen am 19. April, Ergebnisse sollen Anfang Juni vorliegen, wie die Wahlkommission in Neu Delhi an diesem Samstag mitteilte. Nach ihren Angaben dürfen im bevölkerungsreichsten Land der Welt 497 Millionen Männer und 471 Millionen Frauen abstimmen. Hinzu kommen rund 48.000 Transgender-Wählende. Das entspricht insgesamt einer Steigerung von sechs Prozent gegenüber den mehr als 911 Millionen Personen, die beim letzten Wahlgang im Jahr 2019 das Recht hatten, ihre Stimme abzugeben.
Erstmals zur Wahl aufgerufen sind über 20 Millionen junge Wahlberechtigte im Alter von 18 bis 29 Jahren. Die Mehrzahl von ihnen sind Frauen, so die Wahlkommission.
Über eine Millionen Wahlkabinen
Im gesamten Land wird es über eine Million Wahlkabinen geben, verteilt über dicht besiedelte Megastädte ebenso wie weit verstreute Dörfer. Den indischen Wahlregeln zufolge darf der Weg von jedem Wohnort zum Wahllokal eine Länge von zwei Kilometern nicht überschreiten.
Rund 15 Millionen Wahlbeamte in 28 Bundesstaaten und neun Unionsterritorien werden die Wahlen überwachen. Zudem wird auch die Europäische Kommission zahlreiche Beobachter ins Land schicken. Sie sollen einen regulären Ablauf der Wahlen sicherstellen. Rund 340.000 Sicherheitskräfte der Central Armed Police Forces, die der Regierung in Delhi unterstellt sind, sollen die lokalen Polizisten vor Ort unterstützen.
"Wir haben darauf hingewiesen, dass die für den regulären Ablauf der Wahlen entscheidenden Instanzen rechtzeitig aktiviert werden", sagt ein Beamter der Wahlkommission im DW-Interview. "Die indische Bahn übernimmt die Aufgabe, die Beamten von einem Standort zum anderen zu transportieren."
Parallel zu den Parlamentswahlen finden in den Bundesstaaten Andhra Pradesh, Odisha, Arunachal Pradesh und Sikkim auch Wahlen für die dortigen Regionalparlamente statt.
Die Wahlkommission wird einen Verhaltenskodex formulieren, der Richtlinien für den Auftritt der Kandidaten wie auch der politischen Parteien vorgibt. Der Kodex soll verhindern, dass die Regierungsparteien ihre Position dazu missbrauchen, sich unfaire Vorteile zu verschaffen. Auch soll Korruption unterbunden werden.
Eine gewaltige Herausforderung für die Logistik
"Die Logistik einer indischen Parlamentswahl war schon immer gewaltig", sagt der ehemalige Leiter der Wahlkommission, Shahabuddin Yaqoob Quraishi, im DW-Gespräch. "Als 1951/52 die erste Wahl stattfand, stimmte fast ein Sechstel der Weltbevölkerung ab."
Enorm sind auch die Zahlen derer, die sich zur Wahl stellen. Im Jahr 2019 bewarben sich 8054 Kandidaten aus 673 Parteien in 543 Wahlkreisen für einen Sitz im Parlament.
Seit 1999 verwendet Indien elektronische Wahlgeräte. Im Jahr 2014 führte das Land ein zweites Gerät ein: einen Drucker, der eine gedruckte Kopie jedes Stimmzettels in eine versiegelte Box hinterlegt. Dadurch wird die Stimmabgabe ein zweites Mal dokumentiert. In der Regel werden bei größeren Wahlen drei bis vier Millionen derartiger Maschinen eingesetzt. Sie sollen zusätzliche Transparenz garantieren.
Die Wahlbeamten müssen nicht nur regelkonforme Wahlen in entlegenen Regionen gewährleisten. Ebenso müssen sie auch für faire und effiziente Wahlabläufe in den überfüllten Städten des Landes sorgen. Mit Hilfe elektronischer Systeme lässt sich die Auszählung innerhalb eines Tages abschließen.
"Wahlen in so großem Umfang zu organisieren und frei und fair durchzuführen, ist eine enorme Aufgabe", sagt Quraishi.
Indiens Wählerschaft ist viermal so groß wie die der USA. Das bedeutet, dass in diesem Jahr mehr als zehn Prozent der Weltbevölkerung in Indien wahlberechtigt sind.
Wahlkampfkosten steigen
Einer Analyse des Carnegie Endowment for International Peace zufolge gaben Parteien und Kandidaten bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2019 rund 8,7 Milliarden US-Dollar (8,02 Milliarden Euro) aus, um die mehr als 900 Millionen Wahlberechtigte für sich zu gewinnen.
Indiens Oberster Gerichtshof hat nun Wahlanleihen untersagt. Dieses ermöglichten es Spendern, darunter auch Unternehmen, über staatlich kontrollierte Banken politische Parteien zu finanzieren, ohne dass ihre Namen veröffentlicht wurden. Oppositionelle und zivilgesellschaftliche forderten die Abschaffung dieses System. Es sei nicht transparent, bemängelten sie.
In dieser neuen Situation dürften die Wahlen in der größten Demokratie der Welt fortan noch teurer werden. Für diese Jahr geht das in Delhi ansässige Center for Media Studies davon aus, dass Parteien und Kandidaten über 14,4 Milliarden US-Dollar (13,2 Milliarden Euro) für die Wahlen ausgeben werden.
Einsatz Künstlicher Intelligenz
Die diesjährigen Wahlen warten zudem mit einer weiteren Neuheit auf: Erstmals werden sowohl die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) als auch die oppositionelle Kongresspartei Künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, um so ihre Wahlkampfstrategien zu verbessern.
Das wiederum motivierte die Europäische Kommission, Hunderte von Kontrollräumen einzurichten, wo gefälschte Inhalte in sozialen Medien erfasst werden sollen. Auch das ist eine Premiere.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp