Indien verstärkt Verbindungen nach Nahost
11. März 2023Wann und wo immer die Mitgliedstaaten der G20 sich während der indischen Präsidentschaft (1.12.2022-31.11.2023) des informellen Staatenbundes treffen, ein weiteres Land ist regelmäßig dabei: Ägypten. Indienhat das Land am Nil als ständiges Gastland der G20 für das Jahr 2023 eingeladen. Ägypten werde den G20-Treffen einen "großen Mehrwert" verleihen, hatte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bereits im November vergangenen Jahres erklärt.
Die enge Verbundenheit der beiden Länder zeigte sich Ende Januar, als der ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi nach Delhi reiste, um dort zusammen mit dem indischen Premier Narendra Modi den Feierlichkeiten zum 73. Jahrestag der indischen Verfassung beizuwohnen. Den gemeinsamen Auftritt der beiden Politiker kommentierte die indische Zeitung "The Wire" ironisch: Modi feiere die indische Verfassung in Gegenwart eines Gastes, der die ersten demokratischen Erfahrungen seines Landes nach dem arabischen Frühling zerstöre.
Dennoch seien beide Länder einander verbunden, schreibt "The Wire". So seien sich beide Staatschefs einig in ihrer Ablehnung des politischen Islams - eine Haltung, die Indien auch mit zwei anderen engen Partnern aus dem arabischen Raum verbindet: den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien. Entsprechend formulierten es die drei Staaten in einer gemeinsamen Erklärung, in die auch Indiens Abneigung gegen seinen Nachbarn Pakistan Eingang fand. Pakistan setze den Terrorismus als außenpolitisches Instrument ein, heißt es in dem Papier.
Darüber hinaus teilen die vier Länder weitere Interessen. Indien baue seine Wirtschaft systematisch aus und sei dafür in erheblichem Maß auf Energieimporte angewiesen, sagt Johannes Plagemann, Indien-Experte am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. "Insbesondere Öl und Gas kommen maßgeblich aus den Golfstaaten. Insofern sind diese Länder für Indien von ganz erheblicher Bedeutung." 60 Prozent der indischen Erdöl-Importe kämen aus Saudi-Arabien, dem VAE und dem Irak, heißt es in einer Studie der Internationalen Energie Agentur (IEA). Und von seinen Gas-Importen stammen 59 Prozent aus den Golfstaaten.
Generell sind die Staaten des Golf-Kooperationsrates (GCC) zum bedeutendsten Handelspartner Indiens geworden. Während von dort Waren im Wert von umgerechnet 103 Milliarden Dollar nach Indien kamen, exportierte das Land seinerseits Produkte im Wert von 41,5 Milliarden Euro auf die arabische Halbinsel.
Verbunden sind die Partner auch durch Arbeitsmigration: 2018 lebten rund 8,5 Millionen Inder in den Golfstaaten. Nun wollen die VAE bis 2030 für Inder mit besonderen Fähigkeiten 140.000 weitere VISA ausstellen.
Positionierung gegen China
Geopolitisch versuche sich Indien gegen China zu positionieren, sagt Plagemann. "Die Beziehungen beider Nachbarländer sind angespannt. Noch im vergangenen Jahr kam es zu Ausschreitungen in der Grenzregion im Himalaya. Im Jahr 2020 kam es bei ähnlichen Zusammenstößen zu rund zwei Dutzend Toten. Umso mehr kommt es Indien darauf an, militärisch wie ökonomisch ein Gegengewicht zur chinesischen Dominanz zu entfalten."
Natürlich könne Indien mit China nicht mithalten, stellt der Politologe Chilamkuri Raja Mohan auf der Webseite des "Center for Strategic ad International Studies" (CSIS) in Washington fest. "Wenn Indien sich selbst als die schwächste der Großmächte und die stärkste der Mittelmächte sieht, ist es sinnvoll, bescheiden zu sein, ein möglichst breites Netz von Partnerschaften aufzubauen und sich auf den Umgang mit der wachsenden chinesischen Macht im Nahen Osten zu konzentrieren."
So baut Indien seine Kontakte in den Nahen Osten kontinuierlich aus. Jüngstes Ergebnis dieser Bemühung ist die im Herbst 2021 gegründete Gruppe "I2U2". Das Kürzel steht für zwei Mal "I", also Indien und Israel, und zweimal "U", also UAE (englisch für VAE) und USA. Absehbar sollen auch Ägypten und Saudi-Arabien dem Verbund beitreten. Ziel der Gruppe, heißt es in der ersten gemeinsamen Erklärung vom Juli vergangenen Jahres, seien gemeinsame Investitionen und neue Initiativen in den Bereichen Wasser, Energie, Verkehr, Raumfahrt, Gesundheit und Ernährungssicherheit.
Indien Großkunde israelischer Rüstungsgüter
Für Indien ist die zuletzt ausgebaute Partnerschaft mit Israel auch militärisch von erheblicher Bedeutung: Einem Bericht des Online-Magazins "Al-Monitor" zufolge soll der israelisch-indische Waffenhandel in den kommenden fünf Jahren ein Volumen von umgerechnet 122 Milliarden Euro umfassen. Bereits jetzt zeichnet Indien für 46 Prozent der israelischen Waffenexporte. Auf Bedenken des arabischen Partners stößt das nicht: die VAE haben sich mit Israel in den 2020 geschlossenen so genannten Abraham-Vereinbarungen auf eine Normalisierung ihrer Beziehungen geeinigt. Auch Ägypten und Saudi-Arabien haben ihre Beziehungen zum jüdischen Staat längst geordnet und auf eine friedliche Basis gestellt. "Indien selbst hat sein ehemaliges Engagement für die Sache der Palästinenser längst gemindert", sagte Johann Plagemann. "Inzwischen betrachtet es den Nahostkonflikt aus pragmatischer Perspektive."
Was die Partner voneinander trennt, ist ihr Verhältnis zu Iran. Das Sanktionsprogramm gegen das Regime in Teheran geht wesentlich auf die USA zurück, die dieses auch überwachen. Israel sieht sich vom Iran bedroht, und auch die VAE und Saudi-Arabien haben ein angespanntes Verhältnis zu dem Land auf der anderen Seite des Persischen Golfs, das bereits mehrfach zu kleineren gewalttätigen Konfrontationen führte.
Indien hingegen setzt auf gute Beziehungen zum Iran. Dafür habe das Land mehrere Gründe, erklärt Chilamkuri Raja Mohan auf der Webseite des CSIS. So ermögliche der Iran Indien politischen Zugang zu Afghanistan, den Indiens direkter Nachbar Pakistan dem Land verwehre. Indien hofft auf Einfluss in dem seit der Machtübernahme der Taliban politisch und ökonomisch instabilen Land. Vor allem aber sei der Iran aus indischer Sicht ein generell interessanter Partner. "Seine Bevölkerungszahl, seine geopolitische Lage und seine Ölvorkommen machen ihn zu einem wichtigen Land, zu dem man gerne gute Beziehungen unterhalten würde", so Raja Mohan. In Delhi denke man generell pragmatisch, sagt Johann Plagemann, auch im Blick auf Iran. "Indien soll wachsen. Das ist das zentrale Interesse seiner Regierung. An diesem Ziel richtet sie ihre Politik ganz wesentlich aus."