Israel und seine Nachbarn: Zwischen Dialog und Anfeindung
2. Juni 2022Die Mehrheit war deutlich: Alle während der Sitzung im irakischen Parlament anwesenden Abgeordneten - 275 von insgesamt 329 - stimmten in der vergangenen Woche für ein Gesetz, das jegliche Verbindungen zu Israel und Israelis unter Strafe stellt. Zuwiderhandlungen können mit lebenslanger Haft oder gar dem Tod geahndet werden. Das Gesetz gilt für Iraker im In- und Ausland ebenso wie für im Irak tätige Institutionen, Firmen und Privatpersonen aus dem Ausland.
Medienberichten zufolge hatte der Block des schiitischen Milizenführer Muktada al-Sadr den Gesetzentwurf eingebracht. Al-Sadr gilt nach den irakischen Wahlen im Herbst vergangenen Jahres als der neue starke Mann des Landes.
Strafen für Israel-Kontakte im Irak
Mit dem neuen Gesetz versuche al-Sadr sein Profil zu schärfen, sagt der Historiker und Nahost-Experte Peter Wien von der University of Maryland. Denn anders als andere schiitische Gruppen gehe er auf Distanz zum Iran, der im Irak über großen politischen Einfluss verfügt. "Seine Gegner werfen ihm vor, er gehe stattdessen allzu sehr auf die Sunniten und Kurden des Landes zu." Insbesondere die Kurden werden von einem Teil des politischen Establishments mit Argwohn betrachtet. Mitunter werden sie verdächtigt, weitergehende politische Eigenständigkeitsbestrebungen auch mit israelischer Hilfe durchsetzen zu wollen. Aus Sicht vieler Iraker wäre dies ein schwerer Tabubruch, analysiert Peter Wien. "Darum versucht sich al-Sadr mit Hilfe des neuen, von ihm initiierten Gesetzes als entschlossener Wortführer der anti-israelischen Kräfte zu positionieren."
Grundsätzlich sei das Gesetz jedoch keine Überraschung, sagt der an der Universität Osnabrück lehrende Islamwissenschaftler Michael Kiefer. "Es folgt der Linie, an der sich der Irak und insbesondere die schiitische Parlamentsmehrheit während der letzten Jahre gegenüber Israel positioniert hat." Allerdings sei der Irak nicht das einzige Land mit anti-israelischen, teils auch klar erkennbar anti-jüdischen Strömungen, so Kiefer. Trotz der 2020 gestarteten Annäherung weiterer arabischer Staaten an Israel sei das Phänomen in weiten Teilen der Region immer noch präsent, zumal nach wie vor nur eine Minderheit der Mitgliedstaaten in der Arabischen Liga offizielle Beziehungen mit Israel pflegt. "Es ist zwar nicht mehr so vehement wie noch in den 90er Jahren", sagt Kiefer. "Aber mit anti-israelischer Rhetorik lässt sich immer noch Politik machen."
Zu beobachten ist dies insbesondere immer dann, wenn - wie zuletzt bei dem Tod der palästinensischen Journalistin Schirin Abu Akle und bei den Unruhen am Tempelberg - der Nahost-Konflikt wieder in gewaltsamer Form eskaliert und viele traditionelle Massenmedien sowie auch Social-Media-Plattformen in der arabischen Welt stark auf Opfer auf palästinensischer Seite fokussieren.
Anti-israelische Töne in Tunesien
Das zeigt sich derzeit etwa in Tunesien. Dort erklärte ein Beamter des Sportministeriums Anfang der Woche, es seien Maßnahmen ergriffen worden, um die Teilnahme einer israelischen Sportlerin - Hagar Cohen Kalif - an einem internationalen Triathlon-Turnier Anfang Juni in der Stadt Hammamet zu verhindern. Man handele aus der Verpflichtung gegenüber "nationalen Grundsätzen" und unterstütze das "brüderliche" Volk der Palästinenser, hieß es aus dem Ministerium.
Das tunesisch-israelische Verhältnis hat sich noch einmal verschlechtert, seit der Jurist Kais Saied im Herbst 2019 die Präsidentschaft in Tunesien übernahm. Im Wahlkampf hatte sich Saied dezidiert anti-israelisch geäußert. So bezeichnete er die so genannten Abraham-Abkommen - die von einigen arabischen Staaten unterzeichneten Normalisierungsabkommen mit Israel - damals als "Hochverrat".
Der Ausschluss der israelischen Sportlerin fällt in eine Zeit erheblicher innenpolitischer Spannungen. Im Sommer vergangenen Jahres hatte Saied das Parlament suspendiert, im vergangenen März dessen Auflösung angeordnet. Mit seinem immer autoritärer anmutenden Kurs bringt er einen Teil der tunesischen Gesellschaft gegen sich auf. Michael Kiefer sieht auch hierin ein Motiv: "Anti-israelische Rhetorik ist in der arabischen Welt vielfach ein bewährtes Mittel, um die Bevölkerung eines Landes zu einen oder es zumindest zu versuchen."
Emirate weiter auf Annäherungskurs
Umso bemerkenswerter erscheint, dass mehrere andere arabische Staaten trotz neu aufbrandender Gewalt und weit verbreiteter Solidarität mit den Palästinensern in der Region bisher weiter klar auf Annäherungskurs zu Israel bleiben. Seit Unterzeichnung der so genannten Abraham-Abkommen im September 2020 mit Israel gilt dies insbesondere für die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain, die freilich ein übergeordnetes gemeinsames Interesse eint: Alle drei Staaten stehen in strikter Gegnerschaft zum Iran, bekämpfen dessen regionalen Einfluss und haben insbesondere Sorge vor Teherans militärischer Macht. Dieser Tage haben die VAE mit Israel sogar ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Dem israelischen Regierungschef Naftali Bennett zufolge handele es sich um das bislang umfassendste Freihandelsabkommen mit einem arabischen Land.
Ähnliches gilt für Marokko - neben den VAE, Bahrain und dem Sudan das vierte arabische Land, das in den vergangenen Jahren unter amerikanischer Vermittlung im Rahmen der Abraham-Abkommen auf Israel zugegangen ist. Für Marokko war die Annäherung nicht zuletzt auch deshalb ein lohnender Deal, weil Washington dafür im Gegenzug Rabats völkerrechtlichen Standpunkt in der Westsahara-Konflikt übernommen hat. Nachdem Marokko und Israel bereits im Dezember 2020 diplomatische Beziehungen aufgenommen hatten, folgte im vergangenen Februar ein Handelsabkommen. Nicht minder bemerkenswert: Mit "I24NEWS" hat dieser Tage sogar erstmals ein israelischer Fernsehsender ein TV-Studio in Marokko eröffnet.
Deutliche Signale aus Saudi-Arabien
Hinter den Kulissen verbessert sich auch das Verhältnis Israels zu Saudi-Arabien, der sunnitischen Führungsmacht in der Region. Noch scheut das saudische Königshaus vor einem formellen Normalisierungsabkommen mit Israel zurück, doch Gespräche hat es dem Vernehmen nach bereits mehrere gegeben. Offenbar soll jedoch der Eindruck vermieden werden, Saudi-Arabien als Hüter der Heiligen Stätten würde durch eine Annäherung an Israel den Palästinensern die Solidarität entziehen. Doch faktisch hat eine Annäherung längst stattgefunden: Seit Sommer 2020 gewährt Saudi-Arabien Israel das Überflugrecht für Flüge in die VAE. Medienberichten zufolge soll dieses Recht weiter ausgeweitet werden.
Hintergrund der saudisch-israelischen Annäherung sind - neben der gemeinsamen Gegnerschaft zum Iran - offenbar auch Verhandlungen um zwei im Roten Meer gelegene Inseln, die aus der Souveränität Ägyptens an die des saudischen Königreichs übergehen sollen. Dazu ist gemäß des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags von 1979 jedoch auch die Zustimmung Israels erforderlich.
Zu Beginn dieser Woche bestätigte Israels Außenminister Yair Lapid, er halte einen Normalisierungsprozess mit Saudi-Arabien für möglich. Allerdings warnte er vor überzogenen Hoffnungen: Dieser Annäherungsprozess sei langwierig und komme nur in kleinen Schritten voran. Dies sei aber auch "völlig in Ordnung", sagte er.