Doppel-Moral in der Außenpolitik
26. August 2008Die Entscheidung des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, die abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien als unabhängig anzuerkennen, stößt international auf Kritik. Georgien weist den Beschluss als völkerrechtswidrig zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Anerkennung "absolut nicht akzeptabel" und fügte hinzu: "Dieses widerspricht nach meiner Auffassung dem Prinzip der territorialen Integrität." Auch die britische Regierung verurteilte Medwedews Entscheidung und beruft sich auf die "staatliche Integrität Georgiens".
Doppel-Moral in der Außenpolitik?
Ist das Prinzip der "territorialen Integrität" jedoch wirklich unantastbar? Zweifel sind auf den ersten Blick angebracht. Denn in einem anderen Fall, nämlich dem Kosovo, entschieden Regierungen und Außenpolitiker in Washington, Brüssel und Berlin ganz anders: Sie gestanden der früheren Region Serbiens zu, sich ohne Einverständnis des Mutterlandes von diesem zu lösen. Man setzte sich in dem Fall über Beschwerden der russischen Regierung hinweg, die darin einen völkerrechtswidrigen Akt der Abspaltung sah. Völkerrechtler nennen eine solche eigenmächtige Abspaltung einer Region von einem Staat Sezession.
Der Völkerrechtler Jochen von Bernstorff vom Max-Planck-Institut in Heidelberg sieht in der Kosovo-Anerkennung durch westliche Regierungen zwar ein Abweichen vom Grundsatz der territorialen Integrität. Man könne den Regierungen, die den Kosovo anerkannt haben, jedoch keine Doppel-Moral vorwerfen. Denn die Situation des Kosovo sei eine andere gewesen. Dort habe die serbische Zentralregierung durch ihr massives Vorgehen gegen die Minderheit im Kosovo deren Rechte verletzt. Erst im Anschluss daran sei die NATO interveniert, und schließlich sei der Kosovo unter internationale Kontrolle gestellt worden. Massive Diskriminierungen durch den Zentralstaat über einen längeren Zeitraum seien eine mögliche Voraussetzungen dafür, dass eine Minderheit ausnahmsweise ein Recht auf Sezession beanspruchen kann. In Georgien liegt keine massive Verletzung von Minderheitenrechten vor. Damit fehle eine völkerrechtliche Grundlage für eine Trennung vom Mutterland.
Polenz: Widersprüchliche russische Außenpolitik wird Folgen haben
Diese Auffassung vertritt auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz. "Die Apartheidspolitik und das gewaltsame Vorgehen der Serben gegen die Albaner im Kosovo findet keine Parallele im Konflikt zwischen Osseten, Abchasen und Georgiern", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Vielmehr messe Russland mit zweierlei Maß, wenn es jetzt die selbst erklärte Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anerkenne. "Bei diesen Gebieten reklamiert Russland so etwas wie ein Recht auf Sezession, während es bei Tschetschenien größten Wert auf die eigene territoriale Integrität gelegt hat und diese auch mit äußerster Brutalität gegen die Tschetschenen durchgesetzt hat", sagt Polenz. "Das passt hinten und vorne nicht zusammen." Diese Widersprüchlichkeiten in der russischen Politik würden Russland auch längerfristig noch sehr zu schaffen machen, meint Polenz. Kosovo ist aus Polenz' Sicht jedenfalls kein Präzedenzfall. Und Russland könne sich darauf nicht berufen.
Russland kann sich zudem schon deshalb nicht auf den Kosovo als Beispiel berufen, weil es diesen als Staat nicht anerkannt hat. Dies müsste Medwedew nach der Anerkennung von Abachsien und Südossetien konsequenterweise tun, wollte er sich nicht Doppel-Moral in der Außenpolitik vorwerfen lassen.