Ibn-Rushd-Goethe: Eine Moschee für alle
16. Juni 2017Für Seyran Ates, Feministin, Juristin, sunnitische Muslimin und Imamin in Ausbildung, beginnt der Tag mit Danksagungen. An diejenigen, die sie bei der Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee und damit auf ihrem "langen Weg sowohl moralisch als auch theologisch" unterstützt hätten. Die ihr versichert hätten, dass sie keineswegs eine neue Religion erfinde, sondern eine längst überfällige Reform anstoße.
Aber auch mit einem Dank an diejenigen, die das Essen zum gemeinsamen Fastenbrechen am Abend liefern werden. "Das sind türkische Männer, die uns hier unterstützen", ruft Ates, die mit ihren kurzen grauen Haaren, dem türkisfarbenen Kleid und der langen, weißen Jacke auch optisch im Mittelpunkt steht, unter dem Applaus ihrer Gäste. "Viele denken ja, die abgedrehte Aktivistin und Feministin macht hier alleine eine Moschee auf - nein, so ist das gar nicht."
Kirche unter Polizeischutz
Während für Ates ein Traum wahr wird, haben vor dem Gebäude an der Alt-Moabiter Straße Polizisten Position bezogen. Polizeipräsenz ist im Berliner Stadtteil Moabit an und für sich nichts Ungewöhnliches. Es gibt die Justizvollzugsanstalt mit dem Untersuchungsgefängnis, in dem schon Ex-DDR-Regierungschef Erich Honecker einsaß. Ein Stückchen weiter ist das Kriminalgericht angesiedelt, in dessen weitläufigem Gebäudekomplex fast die gesamte Berliner Strafgerichtsbarkeit untergebracht ist.
Aber dass jetzt auch gleich nebenan, vor der evangelischen Kirche St. Johannis, Polizei steht, das ist neu. Die 180 Jahre alte, pittoreske Backstein-Kirche zählte bislang nicht zu den gefährdeten Objekten in Moabit. Doch mit der neu gegründeten Ibn Rushd-Goethe-Moschee hat die christliche Gemeinde einen Untermieter aufgenommen, der mit Konventionen bricht und schon alleine deswegen polarisiert.
Liberalisierung überfällig
"Bei uns werden Frauen und Männer gemeinsam beten, und es wird die Möglichkeit geben, dass Frauen vorbeten und die Predigt sprechen", erklärt Seyran Ates. Damit werde eine Reform vergleichbar mit dem Christentum und Judentum angestoßen. "Die Christinnen und Jüdinnen mussten soviel durchmachen, und das machen wir jetzt auch." Doch Ates geht mit ihrer liberalen Moschee noch einen Schritt weiter. Homosexuelle Männer und Frauen sind ausdrücklich willkommen. "Wichtig ist auch, dass wir unter dem Dach der Moschee als Gebetsraum mit verschiedenen Konfessionen zusammen sind: Sunniten, Schiiten, Aleviten und Sufis."
Gäste aus ganz Europa und den USA sind zur Eröffnung nach Berlin gekommen. Unter ihnen auch die muslimische Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messahli. Sie freue sich sehr, sagt die Schweizerin mit tunesischen Wurzeln. "Diese Idee hat längst ein ganz großes Gewicht, aber viele trauen sich bislang nicht, sie den Vordergrund zu stellen." Statt den Islam zu reformieren und zu liberalisieren sei weltweit eine fundamentalistische Re-Islamisierung zu beobachten. Auch in Deutschland würden die traditionellen Moscheevereine nichts dagegen unternehmen, dass sich Männer und Frauen in ihren Reihen radikalisieren würden.
Viele haben auch Angst
"Wir müssen etwas gegen diese Radikalen machen, wenn wir schweigen, ändert sich doch nichts", betont auch Ates. Doch das ist nicht einfach. Acht Jahre habe es gedauert, die Idee von einer liberalen Moschee in die Tat umzusetzen. "Es mussten sich erst Menschen finden, die den Mut hatten, das zu machen." Manche seien auch wieder abgesprungen. "Die sagten, es wird zu viel Gegenwind geben, es wird gefährlich, ich habe Angst", berichtet Seyran Ates. Die 54-jährige kann das verstehen. Sie hat schon oft erleben müssen, dass es gefährlich ist, an islamischen Traditionen und Tabus zu rütteln. Seit Jahren kämpft sie als Anwältin gegen häusliche Gewalt, sogenannte Ehrenmorde und Zwangs-Heiraten.
Ängste gibt es aber auch in der Kirchengemeinde St. Johannis. "Als die Anfrage kam, ob wir die Moschee beherbergen könnten, ihr Starthilfe geben und Gastfreundschaft gewähren könnten, haben wir diese Anfrage kontrovers und sehr ernsthaft diskutiert", erinnert sich Pfarrerin Sabine Röhm. Es habe Überzeugungsarbeit gebraucht, auch im Gemeindekirchenrat.
Die Eröffnung der Moschee kein Punkt, kein Abschluss, sondern ein Doppelpunkt, also der Beginn für etwas. "Wir werden in den Dialog treten müssen und wollen, um Ängste abzubauen und Fremdheit zu überwinden und um uns gegenseitig kennenzulernen. Da sind Frau Ates und ihre Gemeindemitglieder und auch wir wild entschlossen, das zu tun und da freuen wir uns auch drauf."
Wer garantiert für die Sicherheit
Das trifft nicht auf alle Gemeindemitglieder und Anwohner zu. Am Eröffnungstag der Moschee verteilen ein paar Leute vor der Tür Flugblätter, weil für sie der Islam nicht zu Deutschland gehört. In der zur Kirchengemeinde gehörenden Kindertagesstätte haben Eltern Angst davor, dass die Moschee Extremisten auf den Plan rufen könnte. "Was machen Sie, wenn ein Terrorist hier auf das Gelände stürmt?", fragt ein Vater, dessen Kind im Kindergarten betreut wird. "Haben Sie überhaupt ein Sicherheitskonzept, und wie sieht das aus?"
Die Leitung der Kirchengemeinde wirkt in diesem Moment ein wenig hilflos. "Wir haben mit verschiedenen Sicherheitsbehörden ausführliche Gespräche geführt und haben die Auskunft bekommen, dass es keine erkennbare Gefährdung gibt, die einer Vermietung im Wege steht", erklärt Magdalena Stachura, die Geschäftsführerin der St. Johannis Kirchengemeinde. "Das sind die Fachleute, und wenn die das sagen, ist das für uns erst einmal eine gute und beruhigende Nachricht." Natürlich müsse jeder "wachen Auges und wachen Geistes" sein. In die Zukunft könne niemand blicken.
Das Recht auf Leben
Auch Seyran Ates stand und steht in Kontakt mit der Polizei und dem Landeskriminalamt. "Alles was in unserer Macht steht, um höchste Sicherheit zu gewährleisten, werden wir tun." Die Moschee-Leitung sei nicht leichtsinnig. "Das Sicherheitskonzept werden wir anhand der Erfahrungen der nächsten Wochen und Monate anpassen." Bislang habe sie auch noch keine Drohungen erhalten, sagt Ates, die aus bitterer Erfahrung allerdings weiß, dass sich das schnell ändern kann. Schon mehr als einmal in ihrem Leben wurde sie massiv bedroht.
Der Auseinandersetzung mit konservativen Muslimen will sie auch in Zukunft nicht aus dem Weg gehen. Sie sei Demokratin, und die Demokratie biete jedem die Möglichkeit, seine Religion zu leben. "Mir geht es doch nicht darum zu sagen, dass Traditionelles oder Konservatives, was mit den Menschenrechten vereinbar ist, nicht gelebt werden darf. Diese Herren und Damen sollen nur aufhören, mir das Recht nehmen zu wollen, Muslimin zu sein und mir das Recht nehmen zu wollen, am Leben bleiben zu wollen."