Deutschlands erste liberale Moschee
16. Juni 2017Die "Ibn-Ruschd-Goethe-Moschee" hat ihre Pforten am Freitag (16.06.) im dritten Stock der evangelischen Sankt-Johannes-Kirche in Berlin-Moabit geöffnet. Namensgeber sind der arabische Islamgelehrte, Arzt und Philosoph, Ibn Ruschd, auch bekannt als Averroes (1126-1198), und der deutsche Universalgelehrte Johann Wolfgang von Goethe. Frauen und Männer sollen hier gemeinsam beten und predigen; der Koran werde "historisch-kritisch" ausgelegt. Mit einer Ausnahme stehe die Moschee allen offen, verspricht Ates im Interview mit Spiegel-Online: "Mit Nikab oder Burka wird niemand in unsere Moschee kommen!" Die Vollverschleierung habe schließlich nichts mit Religion zu tun, sondern sei ein politisches Statement.
Mit politischen Statements geizt auch Seyran Ates nicht. Pünktlich zur Moscheeeröffnung legte sie ihr neuestes Buch vor: "Selam, Frau Imamin", so der Titel. Darin empört sich die gläubige Muslimin über fundamentalistische Tendenzen im Islam. In Deutschland herrsche der türkische Staatsislam, kritisiert sie. Das Gros der Imame habe ein gestörtes Verhältnis zur Religionsfreiheit, zur Gleichberechtigung und zum Recht auf Homosexualität. Sie predigten einen Islam von vorgestern - mit der Folge, dass liberale Muslime in Deutschland heimatlos geworden seien.
Seyran Ates lässt sich zur Imamin ausbilden
Seyran Ates absolviert zurzeit eine Ausbildung zur Imamin. "Lange Zeit habe ich nur davon geträumt, dass sich liberale Muslime zusammenfinden, um einen Islam zu leben, der die Demokratie ausdrücklich bejaht und eine gleichberechtigte Gemeinschaft der Gläubigen", schreibt sie in einem Zeitungsbeitrag. "Ich habe darauf gewartet, dass die passende Moschee eröffnet wird, von Menschen, die koranfester sind als ich. Irgendwann fühlte es sich an wie Warten auf Godot. Schließlich beschloss ich, meine Vision selbst zu realisieren."
Mit der Gründung einer liberalen Moschee outet sich Seyran Ates als "Vorkämpferin eines modernen Islam", schätzt Fabian Wittreck, Professor am Excellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster.Dafür spreche insbesondere ihre Abgrenzung zu konservativen Islamverbänden, so Wittreck zur DW.
Tatsächlich geht Ates mit den großen muslimischen Verbänden in Deutschland hart ins Gericht: Der Islam muss nach Ansicht der Juristin dringend modernisiert werden. Immer mehr Musliminnen und Muslime wünschten sich einen friedlichen Islam, der den Dialog mit anderen Religionen pflege, sagte die 54-Jährige der ZEIT. Doch dieser Islam habe in Europa noch keinen Ort. "Es gibt nur die etablierten konservativen Gemeinden, die Kritik und Zweifel kaum zulassen."
Eröffnung unter Polizeischutz
So werden sich die Gäste der Moschee-Eröffnung wohl die Augen gerieben haben. Und das nicht nur wegen des sichtbaren Polizeischutzes: Zuerst wird die Schweizer Politologin Elham Manea zusammen mit dem Oldenburger Neurologen Mimoun Azizi vorbeten. Anschließend will Seyran Ates eine Predigt halten. Auch das sind Statements. Für ihr liberales Islamverständnis erntet die gebürtige Türkin seit Jahren harsche Kritik und Drohungen. Im Alter von sechs Jahren kam sie nach Deutschland. Ihr Jurastudium in Berlin finanzierte sie sich in einer Beratungsstelle für Frauen aus der Türkei.
Seit 1997 ist Seyran Ates als Anwältin tätig und kämpft dabei gegen häusliche Gewalt und Zwangsehen. Unter Innenminister Wolfgang Schäuble war sie Mitglied der Islamkonferenz. Mehrere Bücher hat Ates verfasst, darunter "Multi-Kulti-Irrtum" (2007), in dem sie die "Mulitkulti-Fanatiker" und deren "als Toleranz verkleidetes Desinteresse gegenüber Einwanderern" für "das fürchterliche Nebeneinander der Kulturen" verantwortlich machte. Schon damals kritisierte sie, dass sich die Vertreter der konservativen muslimischen Verbände nicht um eine erfolgreiche Integration der Zuwanderer kümmerten.
Nach den islamistischen Terroranschlägen von Manchester und London verlangt Ates, Muslime "müssten mehr gegen Extremismus im Islam" tun. "Die schweigende Mehrheit der Muslime muss endlich Verantwortung tragen und dem etwas entgegensetzen", sagte sie der "B.Z." in Berlin. "Ich fürchte, heute muss jeder Muslim und jede Muslimin sich die Frage gefallen lassen: Was tust du dagegen, dass deine Religion missbraucht und diskreditiert wird?" Darauf zu antworten sei schwer und das Gefühl der Ohnmacht groß. "In der Ibn-Ruschd-Goethe-Moschee wollen wir eine Antwort versuchen."