Dokumentarfilm "I am Greta" kommt ins Kino
16. Oktober 2020Nur selten huscht bei öffentlichen Auftritten ein Lächeln über ihr Gesicht.GretaThunberg (Jg. 2003) ist sich ihrer Verantwortung, für die Rettung des Klimas zu kämpfen, sehr bewusst – trotz ihres jungen Alters. Regisseur Nathan Grossmann hat sie während der Dreharbeiten für seine Dokumentation aber auch ganz anders erlebt: kichernd, rumalbernd und diskutierfreudig, wie Mädchen im Pubertätsalter eben sind.
Kennengelernt hat der schwedische Filmemacher Greta 2018 in Stockholm. "Ein Freund von mir hat die Familie Thunberg getroffen, und sie hatten ihm erzählt, dass Greta einen Sitzstreik planen würde, um für das Klima zu protestieren, weil sie das Gefühl hat, dass niemand etwas unternimmt. In Schweden standen die nationalen Wahlen vor der Tür und sie wollte zeigen, wie wichtig dieses Thema ist. Wir hielten uns im Hintergrund und dachten, wir könnten ein oder zwei Tage drehen und sehen, was passiert."
Es kam ganz anders: Eine nachhaltige Freundschaft entstand und am Ende ein anrührender und aufschlussreicher Dokumentarfilm: "I am Greta" (Deutscher Titel: "Ich bin Greta"). Weltpremiere hatte er bei den Filmfestspielen in Venedig. Greta konnte nicht persönlich nach Venedig kommen. Doch für die Pressekonferenz war sie per Videoschalte aus Stockholm zugeschaltet.
Aus der Kurzfilmidee wurde ein Dokumentarfilm
Den Anfang nahm die vage Filmidee von Nathan Grossmann bei ihrem ersten Schulstreik 2018. Die 15-jährige Greta - damals noch völlig unbekannt - sitzt mitten im Winter mit Mütze und Handschuhen und ihrem Pappschild vor der Schule: "Skolstrejk" für den Klimaschutz kündigt sie an.
Anfangs ist sie allein. Aber Immer mehr Menschen kommen dazu, fragen, bleiben aus Interesse stehen. Nathan Grossmann filmt alles. Schnell wird ihm klar, dass er die Kamera vom Stativ nehmen und sich zu Greta auf den Boden setzen muss. Dieser subjektive Blickwinkel wird den Film weiter prägen.
"Nach drei Wochen beschloss sie, über die Wahl hinaus weiterzumachen und jeden Freitag zu streiken", erzählt er. "Plötzlich begann sich die Bewegung auch in anderen Teilen Schwedens auszubreiten, dann auch in Finnland und Dänemark. Wir haben einen Monat lang gefilmt. Ich beschloss, in Vollzeit dafür zu arbeiten um zu sehen, ob das ein Film über die Klimaschutz-Bewegung und über Greta werden könnte. Ich war einfach sehr interessiert an ihrer persönlichen Geschichte."
Fast alles hat Grossmann allein gedreht. Wie schon bei seinen anderen Filmprojekten verzichtet er gern auf ein größeres Team, um die Abläufe vor der Kamera nicht zu stören. "Aber es ist schwer, Regisseur, Tontechniker und Kameramann in einem zu sein. Das Tempo der Ereignisse um Greta wurde immer schneller", räumt er ein. Er filmt Greta bei öffentlichen Auftritten, ist beim Familienleben mit der Kamera dabei, begleitet sie auf Streikaktionen, erlebt ihre eindrucksvollen Reden mit - und freundet sich allmählich mir ihr an.
Der junge Filmemacher teilt ihre politische Haltung in Klimaschutzfragen, hört ihr viel zu - auch das ermöglichte eine Nähe zu der jungen Protagonistin, die den schwedischen Film "I am Greta" zu einem außergewöhnlichen Dokumentarfilm macht. Und es wird klar, was das Asperger-Syndrom, an dem sie seit Geburt leidet, im Alltag und für ihre Familie bedeutet. Im Guten: die starke Konzentration auf ihre Ziele. An schlechten Tagen: Depressionen und soziale Berührungsängste.
Weltbewegend: Ihre Rede auf dem UN-Klimagipfel
Höhepunkt der Dreharbeiten war schließlich die Atlantiküberquerung mit der Segelyacht, um Greta nach New York zu bringen. Sie sollte dort auf dem UN-Klimagipfel eine Rede halten und es ist klar, dass sie aus politischer Überzeugung nicht fliegen würde. Im Juli 2019 kommt überraschend das Angebot des deutschen Profiseglers Boris Herrmann, sie mit dem Schiff nach New York zu bringen.
”Das war keine leichte Entscheidung für mich, sie auf dieser Reise zu begleiten", erzählt Regisseur Grossmann im Interview. "Es dauert ja ein paar Wochen, um über den Atlantik nach Amerika zu segeln, und ich wusste, dass es hart werden würde. Aber obwohl ich Angst hatte mitzufahren, hatte ich das starke Gefühl, dass die Geschichte und der Film dieses Opfer verdient."
Auch für Greta hat diese strapaziöse Reise einen hohen Preis. Obwohl ihr Vater dabei ist, sie in allem unterstützt, leidet sie an großem Heimweh. Die Enge auf dem unkomfortablen Schiff macht ihr zu schaffen, sie ist mehrfach seekrank. Da hilft nur skypen mit Mama und Schwester. Gelöst sieht man Greta im Film lachen, wenn sie in ihrer Muttersprache Schwedisch Witze machen kann.
"Wir stehen immer noch am Anfang"
Als die junge Klimaaktivistin die fertige Dokumentation zum ersten Mal sieht, ist sie anfangs irritiert, sich selbst bei ihren Streiks, bei den radikalen Reden und im Familienalltag zu erleben. Bei den Dreharbeiten ist ihr gar nicht klar, dass dieser Film - auch ganz private Momente - einmal auf der riesigen Leinwand eines internationalen Filmfestivals wie in Venedig zu sehen sein würde.
Aber er gefällt ihr gut: "Ich denke, der Film vermittelt ein realistisches Bild von mir und meinem täglichen Leben", sagt Greta in einem Interview für die Pressekampagne. "Ich hoffe, dass jeder, der ihn sieht, endlich besser verstehen kann, dass wir jungen Leute nicht nur zum Spaß in der Schule streiken. Wir protestieren, weil wir keine andere Wahl haben."
Auch im Film reflektiert sie immer wieder, wie wichtig es ist, jetzt nicht nachzulassen im weltweiten Klimaschutz-Streik, bei dem längst nicht nur Schüler und junge Leute mitmachen ("Parents for Future", "Omas for Future", "Science for Future"): "Es ist natürlich viel passiert, seit ich mit dem Schulstreik begonnen habe, aber leider stehen wir immer noch am Anfang. Wirkliche Veränderungen und das notwendige Bewusstsein sind heute nirgendwo zu erkennen."
Der Schulalltag hat Greta wieder
Nach einer einjährigen Auszeit hat die 17-Jährige jetzt ihr normales Leben in Schweden wieder aufgenommen. Seit August geht sie zur weiterführenden Schule auf ein Stockholmer Gymnasium. Allerdings mit einer Woche Verspätung - weil sie zu einem wichtigen Termin mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Berlin fahren musste.
Der schwedische Dokumentarfilm spart die Schattenseiten ihrer weltweiten Popularität nicht aus. Jeder auf der Welt kennt Greta, sie ist inzwischen so berühmt wie der Papst oder Barack Obama, den sie 2019 sogar besuchen durfte. Längst ist sie massiven Anfeindungen im Netz ausgesetzt, musste zahlreiche Shitstorms überstehen.
Vor der behutsamen Kamera von Nathan Grossmann tauscht sie sich mit ihrem Vater aus, was wieder für ein Blödsinn über sie in den sozialen Medien verbreitet wird. Darüber kann sie herzhaft lachen. Aber kurze Zeit später reflektiert sie voller Ernst, wie ihre Mission in Sachen Klimaschutz weitergehen und die Zukunft von "#Fridays for Future" aussehen könnte.
Filmstart auf dem US-Streaming-Markt
Greta erscheint in diesem ambitionierten Dokumentarfilm wie von einem anderen Stern - weitab vom kapitalistischen Marktgeschehen der Medienbranche, die jetzt mit ihr viel Geld verdienen will. Mehr als 4 Millionen US-Dollar hat der Haupt-Koproduzent, der US-amerikanische Streamingdienst Hulu, in die Produktion von "I am Greta" investiert, für europäische TV-Verhältnisse eine unvorstellbare Summe.
Nach der Weltpremiere in Venedig folgte die Premiere für den nordamerikanischen Markt. Deutschlandpremiere ist am 16. Oktober 2020, dann läuft der Film in den Kinos an. Das Deutsche Fernsehen (ARD) zeigt den Dokumentarfilm im regulären TV-Programm im November - eine erfolgversprechende Investition in die Zukunft, um junge Zuschauer für die öffentlich-rechtlichen Programme zurückzugewinnen.
Greta appelliert in dem Film als mutige Fürsprecherin für ihre Generation: "Alles, worum wir bitten, ist, dass unsere Gesellschaft die Klimakrise als Krise behandelt. Und uns eine sichere Zukunft gibt."