Im Patriotismus plötzlich flexibel
28. Januar 2019Seit Montagmorgen ist Japan Tennis-Großmacht. Nachdem Naomi Osaka am Samstag in drei Sätzen (7:6, 5:7, 6:4) das Finale der Australian Open gegen die Tschechin Petra Kvitova gewann, steht die 21-Jährige, bisher für ihre noch ungekonnt improvisierten Interviews und Ansprachen bekannte Newcomerin, an der Spitze der Weltrangliste. Nie zuvor in der Tennisgeschichte war eine Spielerin oder ein Spieler aus Japan die Nummer eins.
Entsprechend groß ist im "Land der aufgehenden Sonne" nun die Aufregung. "Sollte Naomi Osaka Japans Fahnenträgerin bei Olympia werden?", fragte am Montag die Tageszeitung "Tokyo Sports". Der öffentliche Rundfunksender NHK berichtete, dass die Stadt Nemuro auf der Nordinsel Hokkaido, wo Osakas Großvater lebt, nun in ihrem Rathaus ein Museum mit 30 Objekten der noch jungen Tennisspielerin einrichte.
Olympia-Stimmung anfachen
Für Japan ist dieser Triumph schließlich von großem patriotischem Wert: Einerseits hat man in vielen Bereichen zuletzt international an Prestige verloren, vom Markt für Elektronikprodukte, wo koreanische und chinesische Hersteller mittlerweile erfolgreicher sind, bis hin zum ur-japanischen Sport Sumo, der schon lange von Mongolen dominiert wird. Andererseits bringt sich das Land gerade für die olympischen Spiele 2020 in Tokio in Stimmung. Eine Landsfrau, die Weltbeste ist, kommt da gerade recht.
Naomi Osaka würde wohl kaum auch nur annähernd so viel Ruhm und Ehre zuteil, wenn sie "nur" Ranglisten-Zweite wäre, wenngleich sie auch damit schon die beste japanische Tennisspielerin aller Zeiten wäre. Nicht unwahrscheinlich aber, dass dann viele traditionsbewusste Japaner einiges an ihr zu bemängeln hätten. Zum Beispiel, dass sie in Interviews fast immer auf Englisch statt Japanisch antwortet. Dass ihr Japanisch auch kaum fließend ist. Dass sie als Tochter eines haitianischen Vaters und einer japanischen Mutter nur die ersten drei Lebensjahre in Japan verbrachte. Dass sie also nur "Halbjapanerin", kurzum eigentlich gar keine richtige Japanerin sei.
Rigides Konzept von Nationalität
Seit langem herrscht in Japan, wo kaum zwei Prozent der Einwohner einen ausländischen Pass haben, eine starre Vorstellung davon, was es heißt, japanisch zu sein. Das Land stützt sich nicht zuletzt auf dem Narrativ einer homogenen Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrheit sehr ähnliche Normen verfolgt, ähnlich denkt und ähnlich aussieht. Zwar weiß jeder, dass etwa sowohl die Menschen aus Okinawa ganz im Süden als auch die Ainu ganz im Norden ihre eigenen Kulturen hatten, bis Festland-Japan die Gebiete Ende des 19. Jahrhunderts annektierte. Auch die koreanischstämmige Gemeinde, die seit den Zeiten des bis 1945 währenden japanischen Kaiserreichs hier angesiedelt ist, passt nicht recht in die strengen Kriterien. Schließlich soll Japan auch deshalb eine so harmonische und sichere Gesellschaft sein, weil das Land eben homogen sei.
Dabei kann die äußere Erscheinung schon zu einem größeren Problem werden. Nicht das einzige, wohl aber das prominenteste Beispiel der letzten Jahre ist Ariana Miyamoto, die 2015 zur Miss Universe Japan gekürt wurde. In einem Wettbewerb, in dem es fast ausschließlich ums Äußere geht, wurde die dunkelhäutige Miyamoto, Tochter eines US-amerikanischen Vaters und einer japanischen Mutter, für das kritisiert, was ihr in dem Wettbewerb den Sieg eingetragen hatte: eben ihr Aussehen. "Ist es okay, eine Halbjapanerin zur Miss Japan zu machen?", fragte ein Twitter-User. Als Miyamoto dann für Japan beim internationalen Wettbewerb Miss Universe ins Rennen ging, den sie schließlich nicht gewann, aber für Japan historisch gut unter den den Top 10 abschloss, fand ein anderer User: "Mir ist es unangenehm, dass sie für Japan antritt." Miyamoto selbst berichtete, dass ihr von ausländischen Medien wesentlich mehr Interesse entgegengebracht worden sei als von japanischen.
Neues Gesicht für einen Wandel?
Auch bei Naomi Osaka wurde die Hautfarbe offensichtlich schon als Problem empfunden. Da ihre Eltern früh entschieden, dass Osaka bei internationalen Turnieren als Japanerin antreten würde, war bei den schnellen Erfolgen auch bald absehbar, dass sich Sponsoren für sie interessieren würden. So zum Beispiel der Nudelhersteller Nissin, der sie seit kurzem für seine Kampagnen nutzt. Für einen animierten Werbespot ließen die Strategen des Unternehmens die Haut von Osaka deutlich heller - also vermeintlich "japanischer" aussehen - als sie wirklich ist. "Ich finde, in Zukunft sollten sie mich vorher fragen, wenn sie mich irgendwie abbilden wollen", sagte Osaka zu diesem Vorfall. Die Sache sei für sie jedoch erledigt.
Für Japan hingegen könnte die Angelegenheit jetzt endlich richtig losgehen. Dass die Haut Naomi Osakas dunkel ist, dürften die meisten Japaner jetzt wohl wissen. Das Finale am Samstag erreichte immerhin eine TV-Zuschauerquote von 32 Prozent, die bisher höchste in diesem Jahr.
Nun kommt es auch auf die Athletin selbst an, ob sie ihr Erscheinungsbild offensiv nutzt und der japanischen Gesellschaft eine längst dagewesene Facette deutlich sichtbar macht: Dass auch dieses vermeintlich homogene Land in Wahrheit ein vielfältiges ist - und dass es ohne dies wohl niemals zu Platz eins der Tennis-Weltrangliste gereicht hätte.