Wird Präsident Duda abgelöst?
28. Juni 2020"Es wird noch wunderschön, wird noch normal" - Worte aus einem Rocksong der polnischen Band Tilt markieren den Auftakt vieler Auftritte des Oppositionskandidaten Rafał Trzaskowski. Das Lied ist kein Zufall. Die Politologin Anna Materska-Sosnowska erinnert im DW-Gespräch, dass es immer wieder regierungskritische Demonstrationen begleitet hat, seit die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) das Land quasi allein regiert. Das Lied bringe die Hoffnungen vieler Polen auf den Punkt, "die sich nach einem lächelnden, guten, vereinten Polen sehnen, wo Recht Recht bedeutet und Gerechtigkeit Gerechtigkeit", zitiert sie den Dichter Julian Tuwim. Weit entfernt von dem heutigen Polen unter der PiS. Finden jedenfalls ihre Gegner.
Kein reiner Prestigeposten
Ihnen macht Trzaskowski, Oberbürgermeister von Warschau, nun auch als Person Mut. Denn eben noch lag Amtsinhaber Duda, den die PiS unterstützt, schier uneinholbar vorn. Hätte die Wahl wie geplant im Mai stattgefunden, hätte Duda sie wohl schon im ersten Durchgang gewonnen. Doch in der Corona-Krise platzte der Termin - und Trzaskowskis Partei "Bürgerplattform" nutzte die Gelegenheit, seine glücklose Vorgängerin als Kandidatin zu ersetzen, die in den Umfragen regelrecht abgestürzt war. Trzaskowski dagegen trauen einige Demoskopen sogar zu, den Favoriten Duda im Falle einer Stichwahl besiegen zu können.
Für die PiS wäre der Verlust des Präsidentenpalasts mehr als nur ein Prestigeschaden.
"In Polen ist der Präsident viel stärker als in Deutschland. Er hat reale Macht, etwa bei der Besetzung wichtiger Posten", erklärt Bronislaw Komorowski im DW-Interview. Vor fünf Jahren verlor der damalige Staatspräsident (2010-2015) gegen Andrzej Duda - das leitete auch insgesamt die Wende zur PiS ein. Jetzt glaubt Komorowski, die Geschichte wiederhole sich, nur andersherum. So wie die Menschen seinerzeit generell kritisch gegenüber seinem eigenen politischen Lager wurden, würden sie nun der PiS und dem aktuellen Präsidenten überdrüssig, glaubt er.
Zwar hat die PiS noch letzten Herbst in den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit verteidigt. Doch verlöre sie den Präsidenten, käme die Opposition mit dem Vetorecht des Staatschefs in den Besitz einer politischen "Atomwaffe", mit der sich theoretisch jedes Gesetz stoppen ließe. PiS-Chef Jarosław Kaczyński warnt, ein Präsident Trzaskowski würde den Staat "lähmen". Komorowski hält dagegen: "Er würde mit dem negativen Verhalten der jetzigen Regierung kämpfen, aber gleichzeitig in wichtigen Fragen mit ihr zusammenarbeiten", glaubt er, und lobt die politische Erfahrung seines Parteifreunds: "Er ist ein Staatsmann, der das Wohl des Landes obenan setzt."
"Warschau für alle"
Der 48jährige Trzaskowski war unter Ministerpräsident Donald Tusk Digitalisierungsminister, Europarlamentarier, nahm an den Verhandlungen zu Polens EU-Beitritt teil. Landesweit Aufsehen erregte er, als er sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten (LGBT) einsetzte. Ein "Warschau für alle" habe er versprochen, sagte Trzaskowski, als er eine "LGBT-Charta" unterzeichnete. Das Dokument steht für den Schutz der Minderheiten. Ein rotes Tuch für die regierende PiS, die LGBT zu einer "Ideologie" erklärte, die polnische Familien bedrohe.
Im Wahlkampf machte sich Präsident Duda diese Position zu eigen und befand "LGBT" sogar für gefährlicher als die "kommunistische Ideologie". Doch Trzaskowski ließ sich nicht weiter ein auf eine Diskussion über eine "Indoktrination der Jugend", als die PiS den von ihm vorgeschlagenen Sexualkundeunterricht verteufelte. Er ließ es dabei bewenden, dass er Minderheiten schützen wolle, und setzte lieber auf eigene Themen. Er wolle Präsident aller sein, sagte er.
Gemeinschaft statt Polarisierung
Ähnlich wie seine Vorgängerin Kidawa-Błońska versucht Trzaskowski in hochpolarisierter Zeit die Gemeinschaft zurück in den Mittelpunkt zu rücken, aber wirkt dabei selbstbewusster, kämpferischer, präsenter. Zwar versucht ihn das staatliche Fernsehen als Agent böser, meist ausländischer Kräfte darzustellen. Doch Trzaskowski packt den Stier bei den Hörnern und verlangt die Schließung des TVP-Nachrichtenflaggschiffs "Wiadomości", bekannt durch besonders gehässige Schlagzeilen. PiS-nahe Medien erkannten darin den "brutalsten Einschüchterungsversuch seit der Wende 1989". Der Soziologe Ireneusz Krzemiński findet dagegen, Trzaskowski habe sich richtig verhalten, denn TVP stünde für Propaganda in seiner schlimmsten Form. "Wenn wir uns verständigen wollen, müssen wir erst einmal Konsequenzen ziehen"; findet er.
Trzaskowski kommen, auch hierin unterscheidet er sich von Parteifreunden, auch lobende Worte über die Regierung über die Lippen. Etwa über das Kindergeld 500+, das einer "richtigen Diagnose" entsprungen sei und "das manche von uns kritisiert haben. Das war falsch." Man dürfe Menschen nicht allein lassen. Der Erfolg eines Landes müsse der Erfolg jedes Einzelnen sein. Auch lobte er den früheren Präsidenten Lech Kaczyński, den tödlich verunglückten Zwillingsbruder des PiS-Parteichefs, für dessen Engagement im Georgien-Krieg.
"Die 90er Jahre waren eine Zeit der starken, unabhängigen Präsidenten, die über ihr politisches Milieu hinauswuchsen", sagt er. Er wolle auch unabhängig sein. Amtsinhaber Duda dagegen kämpft gegen das Image, Kaczyńskis "Kugelschreiber" zu sein. Der sei eigentlich kein Extremist, müsse aber mangels Unabhängigkeit die PiS-Parteilinie umsetzen, glaubt Aleksander Kwaśniewski, zweiter der noch lebenden Nachwende-Präsidenten (1995-2005). "Daher seine spalterischen Aussagen etwa über LGBT."
Die Forderung, den Dauer-Zwist der beiden großen Parteien zu überwinden, ist nicht neu. Szymon Holownia, parteiloser Kandidat, verspricht es ebenso wie Linken-Frontmann Robert Biedron. Doch besser zu zünden scheint diese Idee erst mit Trzaskowski. Kwaśniewski glaubt, das liege an seiner Authentizität: "Er ist ein Mann des Ausgleichs. Ich kenne ihn und habe ihn als gut ausgebildeten, wohl erzogenen, kulturellen Menschen erlebt, der bereit ist, mit allen zu reden", sagte er im DW-Gespräch. Trzaskowski würde tatsächlich versuchen, über die Teilung des Landes hinwegzuwirken, glaubt auch er.
Auch die PiS habe eine Gemeinschaft zu errichten versucht, erinnert Soziologe Krzemiński. Aber eine in sich geschlossene, "national-katholische". Trzaskowski versuche hingegen wieder eine echte "Gemeinschaft der Bürger" zu bauen. Anfangs sei er nicht sehr begeistert gewesen von dessen Kandidatur. "Jetzt muss ich zugeben, dass ich falsch lag. Ich bin begeistert von ihm, wie er seine Reden aufbaut, sich zur Bürgerverantwortung bekennt."
Bei all den Vorschusslorbeeren ist Lech Wałesa, erster Präsident Polens nach der Wende, vorsichtiger. Der DW sagte er: "Die Intellektuellen glauben bereits Trzaskowski, aber die Massen in den Kleinstädten und Dörfern immer noch Kaczyński."