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Serie Krieg der Propaganda: Kolonialtruppen im Ersten Weltkrieg

Marc von Lüpke-Schwarz 1. August 2014

Hunderttausende Afrikaner, Inder und Angehörige anderer Nationen kämpften im Ersten Weltkrieg im Dienste ihrer Kolonialmächte. Für die deutsche Propaganda waren sie nichts anderes als "Wilde".

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Karikatur Erster Weltkrieg Kolonialtruppen
Bild: Ullstein

Bis an die Zähne bewaffnet geht dieser Soldat aus den afrikanischen Kolonien Frankreichs seines Weges – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Messer steckt ihm zwischen den Zähnen, auf dem Rücken trägt er sein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett. Schauder sollen wohl den Betrachter dieser deutschen Propagandakarte befallen, wenn er sieht, was der Soldat im rechten Arm hält: den abgetrennten Kopf eines deutschen Soldaten, die charakteristische Pickelhaube noch aufgesetzt. Das Blut tropft aus dem abgeschnittenen Schädel, das Gesicht des Deutschen ist im Schmerz erstarrt. "Die Ernte des Monsieur Boudou-Badabou" heißt es rassistisch-höhnisch in französischer Sprache darüber. Die Deutschen zeigten sich in dieser Propagandakarte empört darüber, dass die Franzosen Soldaten im Krieg einsetzten, die aus ihren Kolonien in Afrika stammten. Nach deutscher Ansicht waren diese Männer wilde Bestien – die sogar vor der Verstümmelung ihrer Gegner nicht zurückschreckten.

Im Dienst der Kolonialherren

Bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs kämpften in Europa Soldaten aus den überseeischen Kolonien gegen den deutschen Kriegsgegner. Großbritannien setzte vor allem auf den Einsatz von Soldaten aus seiner Kolonie Indien.

Allein rund 130.000 Inder dienten während des Kriegs fern ihrer Heimat an der Westfront. Zusammengenommen mit den anderen Kriegsschauplätzen im Nahen und Fernen Osten, in Afrika und dem Osmanischen Reich kämpften fast eine Million Menschen aus der britischen Kolonie Indien für ihre europäischen Kolonialherren.Frankreich schiffte bei Ausbruch der Kampfhandlungen im August 1914 die ersten Bataillone von Kolonialtruppen aus Französisch-Westafrika Richtung Heimatland ein. Die "Tirailleurs sénégalais" genannten Einheiten wurden im September zum ersten Mal in der Picardie eingesetzt – und erlitten wenig später in den Kämpfen an der Yser schockierende Verluste. Etwa 450.000 Männer aus Nord- und Westafrika kämpften insgesamt unter der Tricolore für Frankreich in Europa – viele von ihnen waren unter Zwang zum Dienst eingezogen worden.

Senegal Geschichte Kolonialgeschichte Kolonialtruppen
Französische Truppen aus Afrika auf dem europäischen KriegsschauplatzBild: cc

"Schwarz" gegen "Weiß"

Für die deutsche Propaganda war der Einsatz "schwarzer" gegen "weiße" Soldaten in Europa ein Skandal. Auch die obige Karikatur ist in diesem Sinn zu verstehen. Der französische Kolonialsoldat ist rassistisch überzeichnet, sein Blick mordlüstern, seine Kriegsführung barbarisch. Und auch der Beutel mit der Aufschrift "Dum Dum", den der Soldat in der Hand hält, unterstellt den afrikanischen Truppen Grausamkeit und Brutalität: Dum-Dum-Geschosse verursachen grausame Wunden und sind deshalb nach der Haager Landkriegsordnung damals wie heute geächtet. Die Deutschen sollten rassistische Propagandabotschaften wie diese zu Höchstleistungen anspornen – ging es doch angeblich gegen einen unmenschlichen, barbarischen Feind.

Deutsch-Ostafrika Askarikompanie Geschichte Kolonialgeschichte Kolonialtruppen
Einheimische Soldaten sollten die deutschen Kolonien verteidigen, die Offiziere hingegen waren in der Regel DeutscheBild: Bundesarchiv_Bild_105-DOA3056

In der deutschen Presse häuften sich während der Kriegsjahre von 1914 bis 18 derartige Berichte über die angeblich bestialische Kriegsführung der afrikanischen und asiatischen Soldaten. Immer wieder geht es dabei um vermeintlich abgetrennte Köpfe und Ohren – und den scheinbar schier unbändigen Verlangen dieser Männer nach "weißen" Frauen. "Immer und immer wieder kommt bei dem Neger die grobsinnige, viehische Lüsternheit zum Vorschein", behauptete 1914 beispielsweise der Autor Woldemar Schütze unter dem rassistisch-propagandistischen Titel "Englands Blutschuld gegen die weiße Rasse". Derart bösartige Unterstellungen griffen deutsche Medien wie die "Germania" immer wieder auf. Den gegnerischen Soldaten wurde die Menschlichkeit in diesen Artikeln vollständig abgesprochen. "Es ist eben eine andere Menschheit", heißt es im November 1914 in der "Germania" über bengalische Reiter auf Seiten der Briten. Sie seien "affenartig", würden "mit schnellen und bestialischen Bewegungen" jagen und töten. Sogar deutsche Intellektuelle wie der spätere Literaturnobelpreisträger Thomas Mann empörten sich über den Einsatz fremder Kolonialtruppen an den Fronten in Europa: "Man glaubt, ein Recht zu haben, auf Deutschland Kirgisen, Japaner, Gurka und Hottentotten loszulassen".

Der Krieg in den Kolonien

Dabei kämpften Kolonialtruppen auch für das Deutsche Reich – nur eben weit weg von Europa. In den vier deutschen Kolonien in Afrika stellten einheimische Soldaten den größten Teil der bewaffneten Streitkräfte. Vor allem in Deutsch-Ostafrika wurde der Krieg zu großen Teilen auf den Schultern der "Askari" genannten einheimischen Soldaten ausgetragen. Ein deutsches Propagandaplakat dagegen stellt eine Person in den Vordergrund, die als deutscher Held in dieser Kriegsregion Berühmtheit erlangen sollte: Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck.

Propagandaplakat Erster Weltkrieg General Paul Emil von Lettow-Vorbeck
Die deutsche Propaganda stilisierte Lettow-Vorbeck zum Helden, seine farbigen Soldaten sind im Hintergrund nur als Masse zu erkennenBild: Ullstein

Der Offizier sitzt in der Darstellung auf einem edlem Pferd, das Schwert in der Hand, und blickt dem Betrachter auffordernd ins Gesicht. Im Hintergrund, nur schemenhaft zu erkennen, marschieren seine Askari-Soldaten, die in der Realität die Hauptlast des Krieges in der fernen Region zu tragen hatten. Das war die Rolle, die in der deutschen Sichtweise den einheimischen Kolonialtruppen zukam – als loyale Krieger für das weit entfernte Deutschland zu kämpfen, sterben und siegen. Diese Einstellung teilten die Deutschen durchaus mit Franzosen und Briten.

Erst nach dem Ende eines weiteren zerstörerischen Weltkriegs bekamen die Menschen in den Kolonien die Chance, dieser Rollenverteilung den Kampf anzusagen – und ihren Kolonialherren, für die sie in zwei Weltkriege gezogen waren, die Gefolgschaft aufzukündigen.