Am Rande der Möglichkeiten
16. April 2013Die humanitäre Katastrophe in Syrien wird immer größer. Fünf Millionen Syrer - knapp ein Viertel der Bevölkerung - sind nach einer neuen Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Vier Millionen von ihnen suchen innerhalb Syriens Schutz vor den Kämpfen und der wachsenden Not. Das Welternährungsprogramm versorgt mittlerweile 2,5 Millionen Menschen. Doch ob die großen Hilfsorganisationen diese Belastung dauerhaft durchalten können, ist fraglich. In einem dramatischen Appell warnten mehrere UN-Organisationen jetzt: "Der Bedarf wächst, während unsere Möglichkeiten, mehr zu tun, schrumpfen." Einige Hilfen stünden möglicherweise binnen Wochen vor dem Aus.
"Die Menschen brauchen grundsätzlich alles", sagt Jens Laerke, Sprecher der UN-Abteilung für die Koordination humanitärer Hilfe (OCHA). Nach zwei Jahren Bürgerkrieg mit mehr als 70.000 Toten sei die Infrastruktur zu großen Teilen zerstört. Etwa jedes dritte Gebäude in Syrien sei mehr oder weniger schwer beschädigt, erklärt Laerke im Gespräch mit der Deutschen Welle. Von den Krankenhäusern sei sogar die Hälfte beschädigt oder völlig zerstört. In einem Fünftel der Schulen finde kein Unterricht mehr statt, weil die Klassenräume von Geschossen getroffen wurden oder von Binnenflüchtlingen belegt sind. Auch die Strom- und Wasserversorgung ist vielerorts unterbrochen.
Krankenhäuser offenbar gezielt bombardiert
Besonders schwer ist auch die medizinische Infrastruktur getroffen, wie der Arzt Eckhardt Flohr berichtet. Der Internist war für die Kindernothilfe-Organisation "Hammer Forum" in der umkämpften Metropole Aleppo. Viele Krankenhäuser dort seien offenbar gezielt bombardiert worden. Dennoch bemühten sich die syrischen Mediziner, die Verletzten und Kranken weiter zu versorgen. "Die Ärzte dort leisten Unglaubliches, sie operieren in Kellern", erzählt der Arzt. Zwar gebe es inmitten der zerstörten Stadt noch immer vieles zu kaufen, doch die Preise für Lebensmittel seien explodiert. "Da wird der Hunger ausbrechen, wenn er nicht schon da ist", warnt der Arzt. Das "Hammer Forum" arbeitet mit dem Bündnis von Hilfsorganisationen "Aktion Deutschland Hilft" zusammen.
Rima Kamal von der Gesandtschaft des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC) in Damaskus beklagt auch die seelischen Schäden. Für viele Syrer sei das Wichtigste, mit dem Vertrauen ins Bett zu gehen, dass sie am nächsten Morgen wieder aufwachen. Sie sorgten sich um ihre Kinder, Ehemänner und ihre Wohnungen.
Um die Not der Zivilbevölkerung zu lindern, haben Geberländer wie Deutschland ihre humanitäre Hilfe aufgestockt. Laut Auswärtigem Amt stellte die Bundesrepublik bislang 125 Millionen Euro zur Verfügung. Die Gelder fließen nach Syrien und in die Nachbarländer, die von der Flüchtlingswelle betroffen sind. Am Montag (15.04.2013) wurden außerdem 36 schwerverletzte Syrer zur medizinischen Behandlung in deutsche Krankenhäuser gebracht.
Appell an die Geberländer
Doch die internationalen Hilfen reichen nicht aus. "Wir haben das Geld nicht, das wir brauchen", klagt der Sprecher der UN-Nothilfekoordination OCHA. Im vergangenen Dezember habe die UN-Institution insgesamt 1,5 Milliarden Dollar für die Flüchtlingsarbeit der kommenden sechs Monate erbeten. Davon seien 520 Millionen Dollar für Projekte innerhalb Syriens bestimmt, der Rest für die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Doch nur 41 Prozent dieser dringend benötigten Hilfen seien bislang eingetroffen.
Auch wenn Hilfsgüter zur Verfügung stehen, gelangen sie oft nicht zu den Bürgerkriegsopfern. Die Kämpfe machen einen Transport schwierig und gefährlich. Das gilt für die Gebiete unter Regierungskontrolle und für die Regionen in der Hand der Rebellen. Hilfsorganisationen müssen mit Regierung und Rebellengruppen den Zugang zu den Notleidenden auf beiden Seiten der beweglichen Frontlinien mühsam aushandeln. Die Teams vom Roten Kreuz und der syrischen Schwesterorganisation Roter Halbmond erhielten ICRC-Vertreterin Kamal zufolge immerhin mittlerweile Zugang zu den meisten Regionen.
Humanitäre Hilfe im Kriegsgebiet ist riskant
Nahezu täglich überqueren Hilfskonvois die Gefechtslinien. Allerdings ist der Einsatz riskant. Die Rot-Kreuz-Mitarbeiter in Damaskus müssen immer abwägen zwischen dem Risiko und den Nöten der Menschen. "Wenn wir nur sagen würden, die Lage ist gefährlich, dann würden wir nur im Büro festsitzen und nie herauskommen", erklärt die Rot-Kreuz-Sprecherin. Ob die Sicherheitsgarantien von Truppenkommandeuren auch vor Ort gelten, sei nicht immer klar. "Sie können immer zur falschen Zeit am falschen Ort sein", sagt Kamal. Allein der syrische Rote Halbmond beklagt seit Beginn der Kämpfe 17 Tote im Einsatz. Wenn die Transporte von Nahrung, medizinischen und anderen Gütern sicher wären , könnte Kamal zufolge viel mehr Menschen geholfen werden.