1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Proteste zu Hongkongs "1. Juli" angekündigt

Hans Spross30. Juni 2016

In Hongkong hat die Affäre um "verschwundene" Buchhändler das Misstrauen gegenüber Peking verstärkt. Die Demokratiebewegung ist bereit zu Protesten zum 19. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China.

https://p.dw.com/p/1JGfW
Proteste in Hongkong am 01.07.2016 (Foto: Getty Images/AFP/A. Wallace)
Bild: Getty Images/AFP/A. Wallace

Für die wenigen Hongkonger Verleger und Buchhändler, die (angebliche) Enthüllungen über Chinas Spitzenpolitiker und andere - auf dem Festland, aber nicht in Hongkong - verbotene Titel im Programm haben, ist es normal, dass ihre Läden von Spionen aus Peking beobachtet werden. Dies berichtete die Korrespondentin der Wochenzeitung "Die Zeit", Angela Köckritz, im Januar in einer Reportage aus der Sonderverwaltungsregion Hongkong. Ausspioniert zu werden ist eine Sache, eine andere, wenn solche Buchhändler, insgesamt fünf an der Zahl, von chinesischen Sicherheitsleuten festgenommen - in einem Fall möglicherweise sogar auf Hongkonger Territorium - und ohne Anklage und Rechtsbeistand festgehalten und zu unglaubwürdig klingenden "Geständnissen" in Festlandsmedien genötigt werden.

Viele Hongkonger sehen in diesen Vorgängen ein weiteres Beispiel für einen schleichenden Prozess der zunehmenden Einmischung des Festlands in die Angelegenheiten Hongkongs. Und das obwohl Hongkong vertraglich eine innere Autonomie zugesichert wurde, vor allem in Bezug auf Rechtssystem und Bürgerrechte, als Großbritannien das Territorium 1997 an China zurückgab. Da kam es schlecht an, als Peking in einem Weißbuch 2014 von den Mitarbeitern der Verwaltung und Justiz Hongkongs "Patriotismus" verlangte, kurz vor einer Volksabstimmung über eine Reform des Wahlsystems in Hongkong.

Hongkongs Verwaltungschef Leung Chun Ying (Foto: picture-alliance/dpa)
Auch Pekings Mann in Hongkong, Leung Chin-ying, ist um Hongkongs Rechte besorgt - sagt erBild: picture-alliance/dpa

Buchhändler-Drama und chinesischer Versuch der Einflussnahme

David Bandurski, Experte für chinesische Medien an der University of Hongkong, beschreibt den Fall der Buchhändler gegenüber der DW als Symptom: "Die Übergriffe gegen die Freiheit der Gedanken und der Meinungsäußerung in Hongkong sind sehr real. Der Fall der Buchhändler ist dafür nur das augenfälligste Beispiel. Wir beobachten den anhaltenden Versuch, das Verlagswesen in Hongkong durch eine Kombination von politischem Druck und kommerzieller chinesischer Kontrolle der Vertriebswege zu beschränken."

Das Drama um die fünf Buchhändler und den Verlag "Mighty Current" sowie die Buchhandlung "Causeway Bay Books" begann im vergangenen Oktober. Zunächst waren es vier, die von Reisen in den Süden Chinas beziehungsweise nach Thailand nicht zurückkehrten. Der Fünfte, der 65-jährige Verleger Lee Bo, Inhaber eines britischen Passes, verschwand am 30. Dezember in Hongkong von der Bildfläche. Mitte Juni erreichte die Affäre um die vermissten Buchhändler - inzwischen befand sich nur noch einer von ihnen in chinesischem Gewahrsam auf dem Festland - ihren vorläufigen Höhepunkt durch eine überraschende Pressekonferenz.

Hongkonger Buchhändler Lam Wing-kee bei PK (Foto: FactWire/D. Young)
Der Buchhändler Lam Wing-kee brachte mit seiner PK Mitte Juni sowohl Peking als auch die Regierung Hongkongs in ErklärungsnotBild: FactWire/D. Young

Monatelange Einzelhaft ohne Rechtsbeistand

Lam Wing-kee berichtete in Hongkong, dass er bei seiner Einreise nach Shenzhen im Oktober festgenommen und mit verbundenen Augen im Zug nach Ningbo bei Shanghai gebracht worden sei. Dort habe er die ersten fünf Monate unter ständiger Überwachung in einem etwa 18 Quadratmeter große Zimmer verbracht, ohne Kontakt zur Familie oder einem Rechtsanwalt. Sein im chinesischen Staatsfernsehen verbreitetes Geständnis über illegalen Bücherverkauf in China sei erzwungen gewesen.

Als er im Juni gegen Kaution kurzfristig nach Hongkong zurückkehren durfte, hatte er den Auftrag, eine Datei mit den Namen der Kunden seiner Buchhandlung Causeway Bay Bookstore, die meisten vom Festland, zurückzubringen. Lam Wing-kee entschloss sich jedoch, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Diese Geschichte wurde dann prompt von der chinafreundlichen Presse Hongkongs in Frage gestellt. Sie verbreitete Aussagen seiner Freundin vom Festland und seiner früheren Geschäftspartner, die Lam in ein schlechtes Licht rücken sollten.

Demonstration gegen Verschwinden des Buchhändlers Lee Bo (Foto: Reuters/T. Siu)
Bereits im Januar ließen sich Fragen nach den verschwundenen Buchhändlern in Hongkong nicht mehr unter den Teppich kehrenBild: Reuters/T. Siu

"Ein Land, zwei Systeme" in Gefahr

Dass die Enthüllungen Lams eine mediale Schlammschlacht nach sich gezogen haben, ist für Willy Lam, Experte für chinesische Politik an der Chinesischen Universität von Hongkong, kein Grund, an der grundsätzlichen Bedeutung der Buchhändler-Affäre für die gegenwärtige politische Lage in Hongkong zu zweifeln. "Die Entführung von Lee Bo am 30. Dezember und die Misshandlung von Lam Wing-kee zeigen, dass der Bestand der Vereinbarung 'ein Land, zwei Systeme' in Gefahr ist", so Willy Lam gegenüber der DW. "Die Behandlung der fünf Mitarbeiter des Verlags 'Mighty Current' war sogar nach Maßstäben des Festlands illegal. Lam wurde acht Monate auf den Festland ohne rechtlichen oder sonstigen Beistand festgehalten."

Sogar der Chief Executive Leung Chun-ying, also der Statthalter Pekings in Hongkong, sah sich aufgrund der öffentlichen Empörung über die Buchhändler-Affäre veranlasst, bei seinen Pekinger Herren eine Eingabe zu machen und auf die Eigenständigkeit und Sonderrechte Hongkongs hinzuweisen: "Keine Strafverfolgungsbehörde, egal ob vom chinesischen Festland oder aus dem Ausland, hat das Recht, in Hongkong tätig zu werden. Die Ausübung polizeilicher Gewalt durch Überseebehörden in Hongkong ist illegal und wir werden so etwas nicht dulden."

Starke Worte des Chief Executive, der sich hier zum Champion der Sonderrechte Hongkongs aufschwingt. Er will darüber auch in Peking sprechen, dort hat man eingeräumt, dass das System der gegenseitigen Benachrichtigung der Strafverfolgungsbehörden Hongkongs und des Festlands "verbessert" werden muss. Das beeindrucke aber niemanden, meint Willy Lam: "Niemand hat Vertrauen in Gespräche zwischen Leung und dem Ministerium für Staatssicherheit. Leung hat sehr wenig Unterstützung in Hongkong. Er wird weitgehend als der willfährige Vertreter und Vollstrecker Pekings gesehen. Im übrigen tritt er zur Wiederwahl als Chief Executive an. Es ist kaum vorstellbar, dass er irgendwelchen Druck auf Peking ausüben will."

Protest gegen den Besuch des chinesischen Hongkong-Beauftragten Zhang Dejiang (Foto: Reuters/P. Yeung)
Protest gegen den Besuch des chinesischen Hongkong-Beauftragten Zhang Dejiang im MaiBild: Reuters/P. Yeung

Furcht um persönliche Sicherheit

In Hongkong gab es mehrfach Protestkundgebungen gegen die Festnahme und Behandlung der Buchhändler auf dem Festland, zuletzt am 18. Juni mit mehreren tausend Teilnehmern. Beobachter rechnen mit Protesten auch am 1. Juli, dem Jahrestag des Rückkehr Hongkongs unter chinesische Souveränität. Beobachter Willy Lam analysiert die Auswirkungen der Buchhändler-Affäre auf die politische Großwetterlage in Hongkong folgendermaßen: "Viele Einwohner sind über die offene Einmischung Pekings in innere Angelegenheiten besorgt. Die Furcht, dass die persönliche Sicherheit in Hongkong nicht gewährleistet ist, ist über alle Einkommensgrenzen hinweg weitverbreitet." Allerdings blieben die Kräfte, die die Eigenständigkeit Hongkongs unter dem Schlagwort "localism" auf die Spitze treiben und auf eine völlige Loslösung vom Festland hinarbeiten, auf eine sehr kleine Minderheit beschränkt, sagt Willy Lam gegenüber der DW.

Wie groß auch immer die Proteste zum Jahrestag des 1. Juli ausfallen, mit einer baldigen Entspannung der politischen Lage zwischen der Sonderverwaltungsregion und dem Festland ist nicht zu rechnen.