Reizthema Homosexualität
11. Juli 2013Bunte Kostüme, mitreißende Musik und ausgelassene Menschen: Die Straßen von Marseille stecken während des Euro-Pride, der am Mittwoch (10.07.2013) begann, voller Leben. Marseille ist in diesem Jahr nicht nur europäische Kulturhauptstadt, sondern auch Gastgeber für Lesben und Schwule aus ganz Europa. Jedes Jahr veranstaltet eine andere europäische Stadt den Euro-Pride. Zehn Tage feiern Schwule und Lesben zusammen bei Live-Musik und Straßenparaden.
Noch im Frühjahr zeigte sich in vielen größeren Städten Frankreichs ein völlig anderes Bild: Brennende Barrikaden, Tränengasschwaden, Wasserwerfer. Tausende radikale Gegner der Homo-Ehe lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Demonstrationen gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zeigen, dass die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare noch immer heftig umstritten ist.
Liberales Denken trifft auf konservative Kräfte. Ein Argument der Gegner: die Werte der Gesellschaft würden verfallen, das klassische Familienbild würde zerstört. "Die Bevölkerung braucht Sündenböcke, denn sie ist verwirrt, verärgert und frustriert", entgegnet Evelyne Paradis von ILGA-Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) in Brüssel.
Traditionelle Werte und Institutionen - wie die Ehe oder klassische Familienmuster - würden in ungewissen Zeiten an Bedeutung gewinnen. "Die Veränderungen in Europa passieren sehr schnell. In den vergangenen zehn Jahren haben wir nicht nur das Anti-Diskriminierungsgesetz eingeführt, sondern auch weitere Rechte zur Adoption oder Heirat. Das ist eine drastische Verschiebung, denn die Mentalität der Bevölkerung hat sich nicht verändert - oder zumindest nicht in der gleichen Geschwindigkeit", sagt Paradis. Deswegen stößt die gleichgeschlechtliche Liebe in vielen Teilen Europas noch immer auf Widerstand.
Soziale Ausgrenzung und offene Anfeindung
Der Rainbow Europe Country Index von ILGA-Europe gibt an, wie weit die rechtliche Gleichstellung Homosexueller in Europa fortgeschritten ist. Großbritannien, Belgien und Schweden weisen hier gute rechtliche Bedingungen auf. Dänemark, Deutschland und Kroatien sind das europäische Mittelfeld. In Deutschland sind homosexuelle Partnerschaften beispielsweise im Adoptions- oder Steuerrecht nicht gleichgestellt. Schlusslicht bleibt Russland.
Die EU-Grundrechte-Agentur (FRA) hat untersucht, wie sicher sich Homosexuelle in ihrer Heimat fühlen. Am höchsten ist das Sicherheitsgefühl der Befragten in Großbritannien, Belgien und Schweden. Doch die Studie zeigt auch, dass es bei der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexuellen europaweit noch immer deutlichen Nachholbedarf gibt: 46 Prozent der Lesben und Schwulen fühlen sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert.
In elf Ländern der Europäischen Union sind gleichgeschlechtliche Ehen nicht erlaubt. Lediglich sieben Staaten - darunter Dänemark, die Niederlande und jetzt auch Frankreich - lassen eine Heirat zu. Neun Mitgliedsstaaten - zum Beispiel auch Deutschland - haben eingetragene Partnerschaften eingeführt, eine Art "Ehe-Light". So kommt es zu gravierenden Unterschieden zwischen EU-Staaten bei der Regelung von Steuerfragen, Erbschafts- oder Unterhaltsrechten für gleichgeschlechtliche Paare.
"Gesetze schaffen nicht zwingend Akzeptanz"
Ein Grundprinzip des Staatenbündnisses ist die freie Wohnortwahl für EU-Bürger. Für Lesben und Schwule kann ein Umzug innerhalb der EU starke Einschränkungen mit sich bringen. Hier stößt Europas Toleranz an Grenzen. Evelyne Paradis kritisiert die eingeschränkte Bewegungsfreiheit homosexueller Paare innerhalb Europas. Würde ein schwules Ehepaar aus den Niederlanden, wo es dieselben Rechte und Pflichten hat wie jedes heterosexuelle Paar, nach Rumänien ziehen, so würde es dort nicht als Ehepaar anerkannt werden.
"Das ist eine offensichtliche Diskriminierung, eine Verletzung der Rechte eines EU-Bürgers", sagt Paradis. Ihrer Einschätzung nach ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis alle EU-Länder bereit sind, die Benachteiligung Homosexueller europaweit zu bekämpfen.
Auch wenn in der EU-Grundrechtecharta eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung verurteilt wird, bleibt die Entscheidung über eine Legalisierung homosexueller Partnerschaften in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten. "Wenn Brüssel so eine Öffnung forciert, dann steht das vielleicht im Gesetz, aber wird nicht inhaltlich von der Gesellschaft gelebt", so Jens Spahn, Bundestagsabgeordneter der konservativen CDU, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Jens Spahn gehört zu 13 CDU-Abgeordneten, die sich öffentlich für die Gleichstellung von eingetragenen Partnerschaften mit der Ehe ausgesprochen haben. Allerdings müsse das auf nationaler Ebene geschehen. Eine gemeinsame Regelung durch das Staatenbündnis hält er für fatal. Ein solches Vorgehen erhöhe eher den Protest und den Unmut über Brüssel, als dass es Akzeptanz schaffe.