Homeoffice: Das neue Statussymbol?
3. Juni 2021Auch nach der Pandemie wird das Arbeitsleben flexibler sein als vor Corona. Besonders Großunternehmen werden noch mehr als bisher auf flexible Arbeitsprozesse setzen. Beispiel SAP: Der Softwareriese wird seinen Beschäftigten künftig komplett freistellen, ob sie von zu Hause, von unterwegs oder im Büro arbeiten. "Wir wollen unseren Mitarbeitern die Wahl lassen", betont die neue Top-Managerin Julia White im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Pünktlich zum 1. Juni verschickte der Walldorfer DAX-Konzern eine entsprechende E-Mail an seine rund 100.000 Mitarbeiter und versprach darin einen zu "100 Prozent flexiblen und vertrauensbasierten Arbeitsplatz als Norm, nicht als Ausnahme". In einer Mitarbeiterumfrage hatten sich 94 Prozent der Beschäftigten für diesen Weg ausgesprochen, sagte SAP-Marketingchefin Julia White.
SAP geht bei der Flexibilisierung der Arbeit damit einen Schritt weiter als viele andere Konzerne. Die Deutsche Bank oder die Commerzbank etwa ermöglichen ihren Beschäftigten, einen bestimmten Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice zu verbringen.
Lockmittel für Talente
Die neue Herangehensweise sei auch bei der Suche nach neuen Talenten ein Vorteil, unterstreicht SAP-Vorständin White, die im März von Microsoft zu SAP gewechselt war und deren Bewerbungsprozess in der Corona-Krise komplett aus der Ferne stattgefunden hatte. "Ich habe keine einzige Person getroffen", erinnert sich die US-Amerikanerin. "Als alleinerziehende Mutter weiß ich, wie wichtig es ist, flexibel arbeiten zu können." Erst Ende Mai reiste White das erste Mal nach Walldorf, um ihre Vorstandskollegen rund um Firmenchef Christian Klein zu treffen.
Bei Digital-Konzernen wie IBM oder SAP gehört das vom Firmenbüro losgelöste vernetzte Arbeiten schon länger zur Unternehmens-DNA. Größere Pilotversuche wurden nach Angaben von SAP bereits in London, Sydney und Zürich gestartet. Und ganz klar, dass die Walldorfer auch am Trend zur Flexibilisierung der Arbeit mitverdienen wollen. Schließlich habe SAP die Technologie, um interessierten Kunden dabei unter die Arme zu greifen, unterstreicht White.
Passt nicht für jeden
Trotzdem wollen selbst in digital-affinen Unternehmen nicht alle Mitarbeiter auf das Büro in der Firma verzichten. Denn entscheidend für das erfolgreiche Arbeiten zu Hause ist vor allem die Wohnsituation, nicht so sehr die Art der Arbeit. Das ist das zentrale Ergebnis einer breit angelegten Befragung der TU Darmstadt zu den Chancen und Risiken des Homeoffice. Denn da, wo es Gewinner gibt, sind auch Verlierer. Die Ergebnisse der Darmstädter Forscher gehen allerdings weit über diese Binsenweisheit hinaus. Sie warnen davor, dass die breite Einführung der Arbeit von zu Hause aus das Potenzial hat, die Gesellschaft zu spalten.
Was vor der Pandemie noch das Privileg einer Minderheit unter Deutschlands Beschäftigten war, ist in den Zeiten schier endloser Corona-Lockdowns zum Massenphänomen geworden. Aber nicht alle werden im Homeoffice glücklich. Besonders in kleinen Wohnungen wird ein monatelanger Spagat zwischen digitaler Heimarbeit, Kleinkinderbetreuung und Homeschooling zum Dauerstress. Fehlt dann noch ein separates Arbeitszimmer und Küche, Wohn- oder Schlafzimmer müssen als Homeoffice herhalten, steigt der Stresslevel noch mehr.
Repräsentative Daten
Wie und wo wird zu Hause gearbeitet? Wie nehmen Beschäftigte die Arbeit zu Hause wahr? Wie produktiv ist die Arbeit im Homeoffice und was entscheidet über deren Erfolg? In drei Befragungswellen im Juni, August und Oktober 2020 standen insgesamt 952 Beschäftigte Rede und Antwort. Laut TU Darmstadt repräsentieren die ausgesuchten Befragten weitgehend die Bürobeschäftigten in Deutschland.
Die Ergebnisse der Studie ergeben ein differenziertes Bild. Sie zeigen: Die Realität der Arbeit von daheim und deren Wahrnehmung in der Gesellschaft klaffen weit auseinander. Bereits vor der Pandemie arbeiteten mehr Menschen im Homeoffice als angenommen. Und: Wissensarbeit lässt sich weit weniger umfangreich von zu Hause erledigen als zumeist unterstellt. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten gab zudem an, zu Hause weniger produktiv zu arbeiten als im Büro. Je mehr Erfahrungen die Befragten über das Jahr 2020 hinweg mit dem Homeoffice sammeln konnten, desto deutlicher wurde dies.
Wohnsituation ist wichtigster Faktor
"Wie Leute wohnen, sagt viel darüber aus, ob sie erfolgreich von zu Hause aus arbeiten können", sagt Andreas Pfnür, Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der TU Darmstadt. "Die Wohnsituation ist aussagekräftiger als die Art des Jobs oder die Zahl der Kinder", sagt Pfnür. "Das hatten wir so nicht erwartet." Je zufriedener Befragungsteilnehmer mit ihrer Wohnsituation, der Lage und der Ausstattung der Wohnung waren, desto zufriedener und produktiver waren sie im Homeoffice.
Doch nicht nur Menschen mit größeren Wohnungen und separatem Arbeitszimmer sind der Studie zufolge im Homeoffice zufriedener und erfolgreicher. Auch Beschäftigte mit höheren Gehältern und langjähriger Berufserfahrung kommen zu Hause gut klar.
Dagegen klagen besonders Singles und jüngere Mitarbeiter, die eher in kleineren Wohnungen leben, häufig über Isolation und mangelnden Austausch mit den Kollegen im Büro. Dazu komme der Aspekt der beruflichen Entwicklung: "Die direkte soziale Interaktion mit Kollegen, die Möglichkeit, von Älteren zu lernen und Karrierechancen sind im Homeoffice weniger stark ausgeprägt", sagt Pfnür. "Entsprechend fällt für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Stück Identifikation mit dem Job weg. Das sorgt auch für geringere Zufriedenheit mit dem Leben."
Homeoffice als Statussymbol
Die Studie zeigt, dass Büroarbeit sich nicht beliebig nach Hause outsourcen lässt und dass klassische Büros weiterhin Bestand haben werden. Die Rahmenbedingungen für das Homeoffice müssten stimmen, fanden die Darmstädter Forscher heraus: Eine gute Homeoffice-Ausstattung sei dringend notwendig und die Entscheidung für das Homeoffice müsse freiwillig sein. "Ohne einen aktiven Change-Prozess drohen die Risiken des 'Work from Home', die die empirischen Daten unserer Studie offenbaren, überhand zu nehmen", so Pfnür. Eine Homeoffice-basierte Arbeitswelt könne soziale Verwerfungen nach sich ziehen, "wenn die öffentliche Hand und Arbeitgeber nicht gegensteuerten".
"Homeoffice bereitet den Weg aller Bürobeschäftigten in eine Zweiklassengesellschaft", warnt Pfnür. Auf der einen Seite stünden Beschäftigte mit attraktiven Jobs, die es sich in der Komfort-Wohnung gut gehen lassen könnten. Auf der anderen stünden Personen, die in schlechteren Verhältnissen wohnen und im Homeoffice leiden und wenig erfolgreich seien. "Homeoffice ist damit auf dem Weg zu einem Statussymbol für die Gewinner der neuen Arbeitswelten", lautet das Fazit von Andreas Pfnür. Er und sein Team wollen die Ergebnisse der Studie durch Daten aus dem Ausland ergänzen und Empfehlungen für Arbeitgeber, Politik, Immobilienwirtschaft und Stadtplanung zusammenstellen.