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Gibt es genug Holz für alle?  

Richard Orange
4. Mai 2020

Die Welt braucht Holz für eine kohlenstoffarme Zukunft. Es soll Beton, Stahl, fossile Brennstoffe und Kunststoffe ersetzen. Aber gibt es genug Holz für alle?

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Wald in Schweden
Bild: picture alliance/WILDLIFE

Die Erntemaschine braucht nur eine Sekunde, um die hoch aufragende Fichte zu fällen. In der nächsten Sekunde schneidet sie schon die Äste ab und untersucht den Stamm auf Mängel.

"Dieser ist sehr gerade", sagt Maschinenführer Antonio Petersson Kvennefelt über den Stamm, der gerade vom Greifarm der Apparatur gepackt wird. Auf einem Computerbildschirm blinken Daten.

"Der Computer entscheidet, wie die Stämme verwendet werden. Dieser ist für Långasjö, ein Sägewerk in Schweden." 

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Kvennefelt arbeitet seit mehr als 20 Jahren in den Wäldern um die südschwedische Stadt Växjö. Als er anfing, trafen solche Entscheidungen meistens die Forstarbeiter. Heute aber spielt in der Branche High-Tech eine immer größere Rolle. 

"Der Computer sorgt dafür, dass jedes Sägewerk genau das bekommt, was es will", erklärt er.  Und was Säge- und Zellstofffabriken überall auf der Welt wollen, ist immer mehr Holz.

Schweres Gerät und Holzstapel
Zellstoffhersteller weltweit brauchen mehr Holz. Dieser finnische Hersteller verwendet Birken-, Kiefern- und Fichtenstämme aus nachhaltiger WaldwirtschaftBild: Metsä Group/Sami Karppinen

Große Nachfrage

Nach den jüngsten Zahlen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erreichte die weltweite Produktion forstwirtschaftlicher Erzeugnisse im Jahr 2018 ein Rekordniveau. Im Vorjahresvergleich stieg sie um 11%. 

"Fast alle unsere Produkte werden immer stärker nachgefragt", sagt Göran Örlander, zuständig für strategische Planung bei Södra, Schwedens größtem Waldbesitzerverband.

Offensichtlich wird vor allem immer mehr Holz für Biokraftstoffe gebraucht. "Jeder möchte Biokraftstoffe als Ersatz für fossile Brennstoffe haben." 

Eine Zeit lang ging man davon aus, dass die Verbrennung von Holz nahezu kohlenstoffneutral ist, wenn man die Entnahme-Wälder im gleichen Maße wieder aufforstet, wie dort Bäume zur Verbrennung gefällt werden.

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In Schweden hat sich die Holzmenge in den Wäldern seit 1930 von 1,6 Milliarden auf 3,5 Milliarden Kubikmeter fast verdoppelt.

Kritiker stellen jedoch in Frage, ob dies für jedes Land gilt, das behauptet, nachhaltiges Holz zu liefern. Denn einige Länder befeuern den derzeitigen Boom bei Biomassebrennstoffen aus bestehenden Wäldern und nicht aus nachhaltig bewirtschafteten Plantagen.

Die Kritiker verweisen auch auf die Kohlenstoffverbindungen, die aus dem Boden abgeholzter Wälder entweichen. Und auf die Emissionen, die bei der Abholzung und Verarbeitung von Holzprodukten entstehen.

Ein Waldarbeiter beim Holzfällen
Kritiker halten es für schwer beweisbar, ob eine Produktion aus nachhaltiger Waldwirtschaft stammtBild: picture-alliance/OKAPIA KG/Falck

In einem Schreiben an verschiedene Repräsentanten und Organe der Europäischen Union stellten im Jahr 2017 zweihundert Wissenschaftler die EU–Position in Frage, der zufolge Holzbiomasse zur Energiegewinnung als erneuerbarer Brennstoff behandelt werden sollte.

Dagegen weist die Handelsorganisation Swedish Forest Industries darauf hin, dass die Bäume des Landes während ihres Wachstums netto 48 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr binden und speichern, während weitere sieben Millionen Tonnen schon in langlebigen Produkten aus schwedischem Holz gespeichert sind. Zusammengenommen wäre das genug, um Schweden kohlenstoffneutral zu machen.

Zu wenig Holz

Es gebe aber nur wenige andere Länder in einer vergleichbaren Situation, sagt Professor Johan Berg, der die forstwirtschaftliche Abteilung an der Linnaeus-Universität in Växjö leitet. Die Universität liegt nur wenige Schritte von den Büros des Waldbesitzerverbands Södra entfernt.

"Global gesehen glaube ich nicht, dass die Waldressourcen ausreichen", sagte Berg gegenüber der DW.  Vor allem reichten sie nicht aus, fügte er hinzu, um das Transportgewerbe mit aus Holz gewonnenem Bioethanol oder Biodiesel zu versorgen. "Viel Wald wäre nötig, um fossile Kraftstoffe bei Fahrzeugen zu ersetzen: Für Schweden würde dafür die Hälfte des neu wachsenden Waldes benötigt werden und natürlich wäre es auf globaler Ebene viel, viel mehr.

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Auch andere Industriezweige zeigen zunehmend Interesse an der Ressource Holz. Södra hat sich mit der niederländischen Fluggesellschaft KLM zusammengetan, um die Machbarkeit der Herstellung von Flugtreibstoff aus Waldbiomasse zu untersuchen. Der Waldbesitzerverband arbeitet auch mit der skandinavischen Fluggesellschaft SAS an Plänen für eine Pilotanlage für Biokraftstoff in Nordschweden.

Verpackungen aus Biokunststoffen - von denen einige auf Holzfasern basieren - machen derzeit nur ein Prozent der gesamten Kunststoffproduktion aus. Es wird jedoch erwartet, dass dieser Anteil in den kommenden Jahren steigt.

Auch Architekturfirmen wollen möglichst schnell kohlenstoffintensiven Beton und Stahl durch Brettsperrholz ersetzen. Und Fasern auf Holzbasis machen heute schon etwa sechs Prozent aller Textilien aus.  Der Anreiz dafür ist klar: Bei Verwendung von Holz - zum Beispiel in Gebäuden - wird Kohlenstoff aus dem Kohlenstoffkreislauf herausgenommen und so lange gespeichert, wie das Gebäude steht.

Traditionelles Holzhaus
Holz ist ein traditionelles Baumaterial. Immer mehr Architekten greifen wieder drauf zurückBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Doch die Verdoppelung der Verwendung von Holz in Gebäuden, Möbeln und anderen Produkten würde die Menge des weltweit gebundenen Kohlenstoffs eher verringern als erhöhen - selbst wenn alle Anstrengungen unternommen würden, die globale Waldbedeckung zu maximieren. 

Das ist das vorläufige Ergebnis einer gemeinsamen Studie der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) über künftige Angebots- und Nachfrageszenarien.

"Die in diesem Szenario prognostizierte Zunahme des Kohlenstoffs in Holzprodukten würde nicht ausreichen, um den Verlust an Biomasse-Kohlenstoff aufgrund der zunehmenden Entnahme aus den Wäldern auszugleichen", schrieben die Autoren.

Die Grenzen von Holz

Es gibt auch Grenzen für die Nutzung von Holz für Wärme und Strom.

Bereits 2010 wurde in EUwood, einer Studie unter Leitung der Universität Hamburg, gewarnt, dass "selbst wenn alle Maßnahmen zum verstärkten Einsatz von Holz" umgesetzt würden, die Europäische Union Schwierigkeiten hätte, bis zum Jahr 2020 den Holzbedarf aus einheimischen Quellen zu decken und die Ziele für erneuerbare Energien zu erreichen.

Bereits 2018 ergänzte die EU ihren Holzpellet-Verbrauch durch Importe in Höhe von acht Millionen Tonnen.

Ein Mann mit Holzpellets
Mit Holzpellets Häuser heizenBild: picture alliance/dpa

Und einige Umweltschützer argumentieren, dass die Nutzung von Biomasse in den Mitgliedstaaten die Entwaldung vorantreibt und die Kohlendioxidwerte erhöht.

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Aber bei Växjö Energy, einem schwedischen Heizkraftwerk, das sich seit Dezember 2019 zu einhundert Prozent aus Biomasse speist, macht sich Geschäftsführer Erik Tellgren keine Sorgen um den Nachschub. Er sagt, die Waldbesitzer ließen derzeit die meisten Äste und Kronen der gefällten Bäume verrotten. "Es gibt immer noch ein Potenzial von mindestens der doppelten Menge an Rückstandsströmen im Wald, die heute einfach dort zurückbleibt."

Auch auf andere Weise könnte Raum für die Ausweitung der globalen Waldbedeckung geschaffen werden. Rod Taylor, Global Direktor des Waldprogramms am World Resources Institute (WRI), glaubt, dass eine Verlagerung der globalen Ernährung weg vom Fleisch die Wiederbepflanzung riesiger Gebiete von Randweideland ermöglichen würde.

"Richtig ertragreich wird es durch Pflanzungen in Ländern, in denen Holz schnell wächst, wie etwa in Brasilien", argumentiert er. "Wenn man anfängt, Bäume auf Weideland mit hoher Erosion und geringer Produktivität zu pflanzen, könnte das eine Menge Kohlenstoff aus der Luft holen."

Bergh glaubt, dass es möglich wäre, die Waldbestände in wichtigen Exportländern wie Schweden, Kanada und Russland mindestens zu verdoppeln und dabei gleichzeitig die Produktion zu steigern.

Aber selbst dadurch wäre es unwahrscheinlich, den wachsenden Bedarf zu decken - einfach weil so viele Industriezweige jetzt auf die Wälder als Reservoir für ihr künftiges kohlenstoffneutrales Rohmaterial setzen.

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