Digitale Erinnerungskultur
18. Februar 2014Ein Cello klagt, eine Klarinette wimmert, eine Oboe schreit, eine Posaune verstummt - und das per Smartphone. Wer durch das berühmte Stelenfeld des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas geht, kann sich neuerdings ein virtuelles Konzert per QR-Code (englisch: Quick Response Code) auf sein Handy laden. Nicht irgendein Konzert, sondern das 2008 uraufgeführte Werk "Vor dem Verstummen" des deutschen Komponisten Harald Weiss. Er schrieb es eigens für eine Aufführung, die mitten im Holocaust-Mahnmal stattfand, mit technischer Raffinesse und beklemmenden Klängen. "Wir wollten einen neuen, sozusagen akustischen Blick auf den Ort haben, sich mit dem Denkmal zu beschäftigen", sagt Daniel-Jan Girl, der Initiator des Konzerts und der nun entwickelten App dazu.
Ein einmaliges Konzert
24 Bläser und Streicher der Kammersymphonie Berlin positionierten sich damals zwischen den 2711 Stelen. Mit einem Mini-Monitor waren sie mit dem Dirigenten verbunden und gaben so für die 3000 gekommenen Besucher ein einmaliges Konzerterlebnis. Denn jeder der Besucher erhaschte eine individuelle Version des Konzerts. Je nachdem, wo er gerade stand, hörte er manche Instrumente lauter, manche leiser. Ein Konzerterlebnis auch als Metapher für die Vereinzelung der Opfer zu Zeiten des Holocaust.
Wegen des hohen technischen Aufwandes konnte das Konzert kein zweites Mal aufgeführt werden. Doch Girl, jüngstes Mitglied des ehrenamtlichen Förderkreises vom Denkmal der ermordeten Juden Europas, wollte es bei diesem Erlebnis nicht belassen. Er wollte, dass sämtliche künftige Besucher des Mahnmals es anhören können.
Eine App macht's möglich
Schon lange dachte er darüber nach, wie die Erinnerungskultur im 21. Jahrhundert fortgeschrieben werden kann. Und so kam er auf das, was mittlerweile fast jeder mit sich herumträgt, zumindest in der jüngeren Generation: das Smartphone. "Wir sind jetzt in der zweiten Generation danach. Für uns stellt sich die Frage: Wie geht man mit der geschichtlichen Verantwortung um? Wenn man sich mit dem Thema Holocaust beschäftigt, dann kriegt man sofort einen riesigen Ballast", sagt Girl. "Wir haben versucht, mit der Musik und durch die neue Technik einen universellen Zugang dazu zu finden."
Mittels Spenden und Crowdfunding sammelte er das Geld zusammen, um eine App entwickeln zu lassen, die das Konzert so widergeben würde, wie es bei seiner einzigen realen Aufführung erklang. Per GPS ermittelt die App nun den Standpunkt des Besuchers und spielt das Konzert so ab, als würden die Orchestermusiker zwischen den Stelen spielen, als würde der Hörer an ihnen vorbeigehen und mal die Trompete, mal das Cello, mal die Klarinette intensiver wahrnehmen.
Prominente Unterstützung
Die Schauspielerin Iris Berben, die sich seit Jahrzehnten für das Gedenken an den Holocaust engagiert, half mit, die ersten der insgesamt 23 Pflastersteine rund um das Mahnmal zu verlegen, in die der QR-Code eingraviert ist. Ähnlich dem Konzept der Stolpersteine, mit denen an Verfolgte und Ermordete des Nazi-Regimes erinnert werden soll, sollen nun auch diese Pflastersteine schnell und unkompliziert den Besucher einladen, sich mit dem Konzert auf das Mahnmal einzulassen. Iris Berben hatte sich sofort für das Projekt begeistert, als sie davon zum ersten Mal hörte: "Wir müssen uns in unserer Erinnerungskultur neuen Wegen stellen", sagte die Berlinerin. "Und diese neue Technik ist eine Möglichkeit, wie wir die Staffel der Erinnerung weitergeben können."
Bisher gibt es die App nur für das I-Phone. An einer Version für andere Smartphones wird gearbeitet. Anzuhören ist das Konzert auch unter: www.virtuelleskonzert.com