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Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas

6. Mai 2010

Im Mai 2005 wurde das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet. Seitdem ist dieser nationale Gedenkort fester Bestandteil eines Besuches in der deutschen Hauptstadt.

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AP Photo/Jan Bauer
Bild: AP

Zwei ältere Männer, die Pudelmütze auf dem Kopf, schieben ihre tourenbepackten Räder die nach dem Holocaust-Opfer Cora Berliner benannte Straße entlang. Sie gehen langsam, müssen immer wieder Passanten ausweichen. Bereits morgens um zehn seien oft schon viele Leute da, sagt ein junger Besucherbetreuer, der Interessierten kostenlose Broschüren in die Hand drückt - Informationen über das Denkmal für die Ermordeten Juden Europas, das jährlich von mehreren Millionen Menschen besucht wird.

Raum für Gefühle

Ben, ein lässig gekleideter junger Amerikaner, bringt Touristen aus der ganzen Welt hierher, insbesondere aus englischsprachigen Ländern. Er macht das seit zwei Jahren, so gut wie jeden Tag. Einmal auf das Denkmal angesprochen, gerät er schnell ins Schwärmen. Außerordentlich gut gelungen sei es, sagt er, ohne vorgegebene Interpretation, aber mit viel Raum für eigene Gefühle.

AP Photo/Franka Bruns
Bild: AP

Schüler und Schülerinnen aus der Nähe von Stuttgart finden das Denkmal "bedrückend" und "traurig". "Klein" haben sie sich gefühlt, und "eingeengt". "Da kommt das ganze Zeug von Geschichte wieder hoch. Also, die ganzen Sachen, die wir im Unterricht durchgenommen haben. Ist schon heftig."

Denkmal mit Wirkung

15, 16 Jahre alt sind diese Jugendlichen. Sie sind auf Klassenfahrt in Berlin und stehen nun in Grüppchen am Rande des schiefergrauen Stelenfeldes, das langsam aus dem städtischen Raum erwächst und zu seiner Mitte hin hoch und immer höher und unübersichtlicher wird. Und das von einem Netz schmaler, unebener Wege durchzogen wird, die mal nach vorne und mal zur Seite kippen.

Foto: Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Bild: Stiftung Denkmal/SDJE

Ihre Lehrerin, sagen die Jugendlichen, habe vorgeschlagen, hierher zu gehen. Denn sie findet das nach Plänen von Peter Eisenman gebaute Denkmal immer wieder sehr wirkungsvoll. Dabei war sie bei ihrem ersten Besuch des Stelenfeldes zunächst schockiert. "Ich dachte, mein Gott, was hat der Mann da gemacht. Und dann habe ich mich frei gemacht, dachte, geh' mal rein, lass es mal auf dich wirken. Und was ich ganz stark empfunden habe, ist dieses ganz langsame Reingehen und wie es einem die Kehle so immer weiter zuschnürt."

Betroffenes Schweigen

Der Busfahrer, der die Lehrerin und ihre Klasse durch Berlin kutschiert, steht am Rande des Stelenfelds und plaudert mit einem Kollegen. Der fährt das Mahnmal einmal in der Woche an. Zumeist sind es ältere Menschen, die er herbringt, Touristen, die den Nationalsozialismus, seinen Terror und den Zweiten Weltkrieg oft selbst miterlebt haben. Wenn die hier durchgegangen sind, sagt der Busfahrer, "sind sie erstmal ein bisschen ruhig. Weil sie wahrscheinlich ja auch mitgenommen sind. Geredet wird selten."

(AP Photo/Julian Stratenschulte)
Bild: AP

Kinder und Jugendliche hingegen toben auch gerne mal durch das Stelenfeld. Dann mischt sich ihr Lachen mit dem gedämpften Autolärm aus den anliegenden Straßen. Und mit dem Geklicke der Kameras: Die Reisegruppe im Stelenfeld, die beste Freundin, Mama und Papa, Amerikaner, Italiener, Spanier, Franzosen. Und der junge Mann, der auf einer der Betonsäulen liegt und zur Musik aus dem i-Pod mit den Füßen wippt, der muss auch noch fotografiert werden. "Ich finde es gut, dass sie Denkmäler errichten", sagt ein junger Besucher. Das sei schon sinnvoll, stimmt eine Schülerin zu. "Weil, ich meine, damit muss man leben - irgendwie. Ist passiert". "Also, da schämt man sich, was damals passiert ist. Was die Deutschen gemacht haben", sagt einer ihrer Mitschüler.

AP Photo/ Jockel Finck)
Bild: AP

Und heute? "Man darf", sagt ein Mädchen, "Menschen nicht ausschließen, nur, weil sie anders sind. Weil sie eine andere Hautfarbe oder einen anderen Glauben haben." Und dann schnappt sie sich ihre Freundin und geht über die Cora-Berliner-Straße zu der Ladenzeile, in der man Eiscreme kaufen kann, Omas Landkuchen, Döner, Currywurst und jede Menge Berlin-Souvenirs. Eine handgeschriebene Hinweistafel verspricht einen überwältigenden Panoramablick von einer Dachterrasse auf das Denkmal, Musik wabert durch die Luft, und eine junge Roma fleht um Almosen.

Autorin: Silke Bartlick

Reaktion: Conny Paul