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Erst Pandemie, dann Klimaschutz?

14. April 2020

Durch die Corona-Krise ist der Schutz des Klimas in den Hintergrund gedrängt worden. Experten sehen aber gute Chancen, dass sich das nach der Pandemie wieder ändert.

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Daten zum Treibhausgas-Ausstoß werden vorgestellt
Sinkender Treibhausgas-Ausstoß: Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Dirk Messner, BundesumweltamtBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 nach vielen Rückschlägen wohl doch noch erfüllt, ist nichts, was Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wirklich freut. Schon Ende März hatte der Klimaexperte Patrick Graichen von der Denkfabrik Agora Energiewende gesagt: "Nach unseren Einschätzungen werden in Deutschland unter anderem durch den warmen Winter und durch die Corona-Krise die Treibhausgasemissionen 2020 im Vergleich zu 2019 mindestens um gut 50 Millionen Tonnen CO2 sinken."

Damit landeten die Klimaschutz-Ziele für 2020 sogar deutlich über den geforderten 40 Prozent an Einsparungen, vielleicht werden es sogar 45 Prozent. Schulze hält das für einen einmaligen Effekt, der die Dringlichkeit des Themas Klimaschutz aber nicht mindert. Der DW sagte die Ministerin: "Ein Stillstand der Wirtschaft ist nicht das, was wir wollen, sondern es geht darum, unser Leben so zu verändern, dass es nachhaltiger wird."

Chance für ein neues Wohlstandsmodell

Auch deshalb gehört Schulze zu den Unterzeichnern eines Aufrufs von rund 200 Politikern, Unternehmenschefs, Gewerkschaftsvertretern und Umweltgruppen, der am Dienstag in Zeitungen in Frankreich, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und der Slowakei erschien. Tenor: Der Kampf gegen den Klimawandel muss nach der Pandemie der zentrale Punkt der künftigen Wirtschaftsstrategie der EU sein.

Schulze teilte der DW mit: "Noch müssen wir in Europa mit vereinten Kräften die Pandemie bewältigen. Doch in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft kommt die Zeit des Wiederaufbaus. Schon jetzt bietet sie uns die Chance, ein neues Wohlstandsmodell zu entwickeln."

Weniger Flugverkehr auch nach dem Virus?

Und so stellt sich die Lage Mitte April 2020 dar: Überall auf der Welt ist der Flugverkehr stark eingeschränkt, die Industrieproduktion gedrosselt. Die Menschen fahren viel mit dem Fahrrad, meiden aber auch die öffentlichen Verkehrsmittel und setzten sich wesentlich öfter als noch vor Wochen ins Auto. Das wird nicht so bleiben, betont Christoph Bals, der politische Geschäftsführer der Umweltgruppe Germanwatch. Er sagt der DW: "Das ist Klimaschutz aus den falschen Grünen, der durch Zwang radikal umgesetzt wird. Das ist nichts, was uns strukturell hilft."

Berlin | Radfahrer und Fußgänger in der Hauptstadt
Verändertes Mobilitätsverhalten in der Corona-Krise: Busse und Bahnen sind leer, die Fahrrad- und Fußgängerwege vollBild: picture-alliance/W. Steinberg

Bals vermutet aber, dass durchaus eine Chance besteht, dass die Menschen nach der Pandemie nicht mehr so oft ins Flugzeug steigen: "Alle Mobilitätsformen sind zurückgegangen. Ich hoffe, dass nach der Pandemie der Flugverkehr etwas weniger wird, weil viele Menschen sehen, was mit Videokonferenzen möglich ist."

Internationales Handeln stärken

In der Corona-Krise schlägt überall auf der Welt die Stunde der nationalen Regierungen. Sie sind diejenigen, die handeln, durchaus unterschiedlich zudem. Das ist eigentlich Gift für den internationalen Klimaschutz, dessen Vertreter stets betonen, die Klimakrise sei nur im Zusammenspiel zu lösen. Nach der Pandemie, unterstreicht Bals, sei es entscheidend, die Internationalität wieder zu stärken.

Dass das gelingen kann, dafür gebe es positive Anzeichen: "Wir stehen an einem Scheideweg. Im Moment werden die nationalen Strukturen gestärkt, aber es gibt etwa auch die Weltgesundheitsorganisation WHO, deren Warnungen nun gehört werden. Viele Staaten haben ähnlich auf die Pandemie reagiert - mit der Einschränkung ihrer Lebensweise." Weil sie so die Ausbreitung bremsten, hätten sie durchaus international gehandelt und geholfen.

Der Rat der Wissenschaftler

Fast überall auf der Welt stehen plötzlich Wissenschaftler im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, ihr Rat wird gesucht und befolgt. Auch die Klimadebatte ist immer von begleitenden Forschern geprägt gewesen, aber es gab stets eine Lücke zwischen der Experten-Erkenntnis und dem politischen Handeln. Bals sagt: "Ich hoffe sehr, dass das wissenschaftsfeindliche Verhalten von Regierungen nun keine Zukunft mehr hat, dass jetzt auch in der Klima- und der Biodiversitätsdebatte der Rat von Experten sehr viel ernster genommen wird."

Dortmund | Christoph Bals bei einer Podiumsdiskussion zum Weltkirchentag 2019
Christoph Bals von Germanwatch hofft, dass künftig Wissenschaftler auch in der Klimapolitik mehr Gehör findenBild: picture-alliance/Flashpic/J. Krick

Ein ganz konkretes Opfer der Pandemie ist der Klimagipfel der Vereinten Nationen geworden, der im November in Glasgow stattfinden sollte. Bals sieht in der beschlossenen Verlegung auf das kommende Jahr sogar eine Chance für einen neuen Aufbruch: "Nämlich dann, wenn in den USA Donald Trump ebenfalls im November nicht wiedergewählt werden sollte." Dann, so sein Kalkül, könnte die internationale Staatengemeinschaft beim Klimaschutz wieder voll durchstarten, "vielleicht sogar mit den USA".

Weiter mit dem Green Deal in der EU

Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, geht in ihrer aktuellen Stellungnahme zur Corona-Krise auf eine nachhaltige Zukunft nach der Pandemie ein. Die Wissenschaftler beschreiben in ihrem 19-seitigem Papier zwar vor allem, wie Deutschland jetzt vorsichtig die drastischen Bewegungseinschränkungen lockern könnte. Aber im hinteren Teil des Papiers findet sich auch ein Passus, der eine klare Fokussierung auf klimagerechtes Wirtschaften nach der Pandemie fordert: "Dazu gehören die umgehende Einführung eines Preises für fossiles CO2, die schnellstmögliche Verabschiedung und Umsetzung der nationalen Wasserstoff-Strategie sowie die Neuregelung des Strommarktes. Ziel muss ein starker europäischer Green Deal bleiben."

Den fordern weiterhin viele Politiker in Europa und stellen sich damit gegen den tschechischen Regierungschef Andrej Babiš, der den Green Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Corona-Krise für nicht mehr durchführbar hält. Von der Leyen will in den nächsten zehn Jahren eine Billion Euro für eine nachhaltige Struktur ausgeben. Ob die Corona-Krise auf diesem Weg schadet oder doch vielleicht nützt, bleibt abzuwarten.