Humor und Hitler
16. Februar 2013Egal was man von Timur Vermes Kassenschlager "Er ist wieder da" hält, das Cover ist ein echter Hingucker: ein dunkler Seitenscheitel und ein aus Buchstaben bestehender Oberlippenbart auf einem schneeweißen Hintergrund. Die Ikonographie läßt unschwer erkennen, dass wir es hier mit einem der schlimmsten Tyrannen der Weltgeschichte zu tun haben - Adolf Hitler.
Und dann tritt dieser Tyrann auch noch als Ich-Erzähler auf. Hitler berichtet, wie er vor dem einstigen "Führerbunker" wieder zu sich kommt, im Jahre 2011. Das ehemalige Herrenvolk interessiert sich heute mehr für die neuesten Handys und Fernsehshows als für Rassenhygiene und Lebensraum. Um so ironischer dann, dass Hitler selbst zum TV-Star wird, in einer Komödiensendung, deren Produzenten ihn für einen Anti-Nazi-Performance-Künstler halten. Er ist wieder der Renner, dafür wird er von Rechtsradikalen krankenhausreif verprügelt, die glauben, er würde ihre Ideologie parodieren.
Durch den Übergriff gewinnt er so viel öffentliche Sympathie - auch vonseiten führender Politiker - dass er sein politisches Comeback plant. In der letzten Szene des Romans entwirft Hitlers Assistent ein Plakat mit dem Slogan: "Es war nicht alles schlecht."
Satire als Schleichwerbung?
Sind solche Zeilen komisch? Mahnen sie sogar? Die Mehrheit der Kritiker in Deutschland meint: ja. Eine "gelungene, auch beklemmende Satire über den Massenmörder und die Massenmedien" preist das "Hamburger Abendblatt", während die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" Vermes dafür lobt, Hitler endlich "menschlich" dargestellt zu haben.
Der Verlag wirbt sogar mit einem Daumen-Hoch vom Schauspieler Christoph Maria Herbst, der das ebenso erfolgreiche Hörbuch las - was ein bisschen so wirkt, als ob Charlie Watts die letzte Platte der Rolling Stones empfiehlt.
Eine Satire zum Schnarchen meinen dagegen andere Rezensenten, die weniger von Vermes' Schreibkünsten angetan sind. "Da kann der Verlag mit den knalligen Adjektiven 'boshaft' und 'perfide' noch so sehr um einen vermeintlichen Tabubruch betteln: Witze über Hitler haben einen Bart", gähnte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Selbst die unverbindliche Preisempfehlung von 19,33 Euro für das Buch ist so subtil wie eine Thor-Steinar-Jacke". Die "Süddeutsche Zeitung" stellte konsterniert fest: "Allzu oft lässt sich der Autor dazu hinreißen, seinen Hitler als humorigen Gesellen zu zeichnen und das wirkt letztlich verharmlosend."
Derlei Skrupel dürfen Autor und Verlag egal sein. Die Hardcover-Auflage liegt derzeit bei 400.000 Stück. Lachen über Hitler mag kontrovers sein, aber finanziell lohnt es sich allemal.
Die ewige Wiederkehr des Gleichen
Wirklich neu ist an diesem Roman und seiner Rezeption herzlich wenig. Schon kurz nach Kriegsende ging die Diskussion los, ob man Hitler und seine Mittäter parodieren, persiflieren oder satirisch darstellen darf. Jüdischstämmige Autoren wie Jurek Becker, Edgar Hilsenrath und Georg Tabori machten auch den Holocaust und Hitler satirefähig. Selbst Günter Grass' "Die Blechtrommel" ist eine sarkastische Abrechnung mit der NS-Diktatur.
Die Idee, Hitler mit dem heutigen Berlin zu konfrontieren, ist auch nicht sonderlich originell. Genau dieses Szenario war der Ausgangspunkt von Walter Moers’ "Adolf. Äch bin wieder da!" aus dem Jahr 1997. Da kroch Hitler nach 50 Jahre aus der Kanalisation der deutschen Hauptstadt wieder hervor, um Bekanntschaft mit Stars wie dem Sänger Prince zu machen und Göring als Transvestiten wieder zu begegnen. Moers wurde damals Pietätslosigkeit vorgeworfen. Zu seiner Verteidigung argumentierte er, dass man über Hitler nicht nur lachen dürfe, sondern lachen müsse.
Moers' Persiflage "Adolf, die Nazi-Sau" wurde zu einem der populärsten deutschen Comic-Bänder aller Zeiten. Es ist wie Vermes’ Roman im Eichborn-Verlag erschienen - vielleicht kein Zufall. Der Erfolg von "Er ist wieder da" wird jedoch als völlige Überraschung dargestellt. In Wahrheit musste das Verlagshaus, das 2011 pleite ging und von Bastei-Lübbe aufgekauft wurde, einige Konkurrenten überbieten, um die Druckrechte zu bekommen. Diese Investition zahlt sich jetzt aus. Nicht nur steht der Roman seit Monaten oben auf der "Spiegel"-Bestsellerliste, auch Lizenzausgaben in 18 Fremdsprachen sind schon verkauft.
Je näher am Original, desto langweiliger
Die Übersetzer sind nicht zu beneiden. Viele der Namen, die im Buch vorkommen, wie Fernsehsendungen, opportunistische Politiker oder C-Promis, sind außerhalb der Bundesrepublik so gut wie unbekannt. Die Dialoge in Berliner Slang konnte nur ein Nürnberger so schreiben. Etwas besser macht Vermes es mit Hitlers altmodischer Ausdrucksweise: Sein langatmiger "Führer" strapaziert die Geduld des Lesers genauso wie der Autor von "Mein Kampf". Je näher Vermes an den echten Hitler herankommt, um so langweiliger wird der Roman.
Zum Beispiel die Passage, als Vermes Hitler sich über Juden äußert: "Ich gebe zu, ich war einstmals stolz gewesen, dass ich es in langem selbstständigen Studium so weit gebracht hatte, die jüdisch-verwinkelten Lügen der Presse mit blitzartiger Klarheit in jeglicher Verkleidung zu entlarven. Aber hier half mir meine Kunstfertigkeit nicht weiter. Hier gab es nur Kauderwelsch-Radio und Kochfernsehen."
400 Seiten, kaum ein Lacher. Die wahre Ironie, wie der Rezensent des "Berliner Tagesspiegels" feststellt, besteht darin, dass ein solches Buch sich kulturkritisch gibt: "Timur Vermes versucht zwar, die auf Hitler fixierte Medienindustrie vorzuführen, profitiert von dieser Fixierung aber selbst im höchsten Maße."
Möchte-Gern-Mediensatire
Die Gunst der deutschen Leserschaft für ein Buch wie "Er ist wieder da" erinnert ein bisschen an die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Nachrichtenmagazin "Der Stern" 1983 auslöste, als die Hitler-Tagebücher veröffentlicht wurden - später stellte sich das als eine Fälschung heraus. Diese Medienposse diente als Vorlage für den nach wie vor sehr lustigen Film "Schtonk" aus dem Jahre 1992, der die hysterische sensationslüsterne Faszination breiter Teile der Öffentlichkeit mit der braunen Vergangenheit anprangerte.
Laut Verlag sind die Filmrechte zu Vermes’ Roman schon verkauft. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass eine Verfilmung von dieser Möchte-Gern-Mediensatire halb so lustig sein könnte wie die Panne des "Sterns". Der zahlte damals Millionen für eine krasse Fälschung. Das war ein echter Brüller.
Siebzig Jahre nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ist die Vorstellung, dass Hitler, Goebbels, Göring und Konsorten als Exemplare einer Herrenrasse gelten konnten, für die meisten Deutschen an Lächerlichkeit kaum zu übertreffen. Daraus aber einen lustigen Roman oder gar Film zu machen, ist für Deutsche scheinbar nicht einfach.
Jefferson Chase ist Doktor der Germanistik und Autor eines Buches über Humor, Judentum und deutsche Identität im 19. Jahrhundert.