Hisbollah ernennt Vize-Chef Naim Kassim zum neuen Anführer
29. Oktober 2024Die proiranische Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon hat einen Nachfolger für ihren getöteten Anführer Hassan Nasrallah bestimmt. Neuer Generalsekretär werde der bisherige Vize-Chef Naim Kassim, teilte die Organisation mit. Der Schura-Rat habe sich auf die Wahl Kassims für den Posten entsprechend dem "anerkannten Verfahren für die Wahl des Generalsekretärs" geeinigt, teilte die Miliz mit. Man werde die bisherigen Ziele unter dem neuen Anführer weiterverfolgen "bis zum Sieg".
Anders als Nasrallah, der nach dem Libanon-Krieg weitgehend untertauchte, trat Kassem weiterhin in der Öffentlichkeit auf. Nach Nasrallahs Tod war er in mindestens drei Fernsehansprachen zu sehen, zuletzt am 15. Oktober. Wo er sich aktuell aufhält, ist unklar.
Das israelische Militär hatte den früheren Anführer Nasrallah Ende September bei einem Luftangriff in einem südlichen Vorort von Beirut getötet. Als möglicher Nachfolger galt seitdem vor allem Haschim Safi al-Din, Chef des Hisbollah-Exekutivrats. Vergangene Woche hatte die Miliz aber bestätigt, dass dieser - wie von Israels Militär mitgeteilt - schon Wochen zuvor bei einem Angriff auf das Hauptquartier des Hisbollah-Geheimdienstes nahe Beirut getötet worden war.
Seit Jahrzehnten eine einflussreiche Figur
Kassim wurde in einem Dorf nahe Nabatija im südlichen Libanon geboren und ist um die 70 Jahre alt. Er gehört zu denjenigen Mitgliedern, die die Hisbollah Anfang der 1980er-Jahre für den Kampf gegen die israelische Besatzung im Libanon gründeten. Seit 1992 war er Vize-Chef und damit eine der einflussreichsten Figuren innerhalb der Organisation neben Nasrallah.
Kassim ist wie der getötete Nasrallah ein Kleriker des schiitischen Islams, studierte im Libanon aber auch Chemie und lernte Französisch. 2004 veröffentlichte er ein Buch über die Geschichte der Organisation, das auch autobiografische Teile enthält. Kassim ist verheiratet und hat sechs Kinder.
Hisbollah weiter solidarisch mit Hamas
Israel hat seine Luftangriffe im Libanon seit September massiv ausgeweitet - und dabei auch die Führungsriege der Hisbollah mehrfach gezielt angegriffen. Zudem marschierten israelische Truppen im September im Süden des Libanon ein. Die Hisbollah beschießt den Norden Israels seit gut einem Jahr weiter fast täglich, unter anderem mit Raketen. Die vom Iran unterstützte Miliz handelt dabei nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der militant-islamistischen Hamas, gegen die Israel im Gazastreifen Krieg führt. Die USA, Deutschland und etliche andere Länder stufen Hisbollah wie Hamas als Terrororganisation ein.
Der Israel-Hamas-Krieg war vom Terrorangriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Auf israelischer Seite wurden mehr 1200 Menschen getötet. Israel geht seitdem militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort mehr als 42.800 Menschen getötet.
Viele Todesopfer bei Luftangriffen im östlichen Libanon
Der Osten des Libanons war vom Kampfgeschehen lange weitgehend verschont geblieben. Erst im September weitete das israelische Militär seine Angriffe auch auf diese Landesteile aus. Nun hat die israelische Luftwaffe dort nach lokalen Angaben die vermutlich schwersten Angriffe seit Beginn des militärischen Schlagabtauschs mit der Hisbollah vor einem Jahr geflogen.
Im Zeitraum von 24 Stunden seien allein im Osten des Landes mindestens 60 Menschen getötet und etwa 60 weitere verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Beirut mit. Israelische Kampfflugzeuge hätten etwa ein Dutzend Gegenden in den Provinzen Baalbek-Hermel und Bekaa angegriffen. Rettungskräfte würden unter Trümmern nach weiteren Opfern suchen.
Der Gouverneur von Baalbek-Hermel, Baschir Chodr, und diverse Beobachter verbreiteten in sozialen Medien Videos von großer Zerstörung nach den Angriffen. Die Hisbollah-Miliz ist in der verarmten Region im Osten besonders stark vertreten.
Bericht: Dutzende Tote bei Angriff im Gazastreifen
Bei einem israelischen Luftangriff auf ein fünfgeschossiges Wohngebäude im Norden des Gazastreifens sind nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes mindestens 93 Menschen getötet worden. Rund 40 weitere Menschen würden vermisst. Dutzende weitere seien bei dem Angriff in Beit Lahia verletzt worden, erklärte ein Sprecher. "Die meisten der Opfer sind Frauen und Kinder", sagte ein Anwohner. Zuvor war von etwa 60 Todesopfer die Rede gewesen. Die militante Islamistenmiliz Hamas sprach von einem "weiteren schrecklichen Massaker" und warf der israelischen Armee vor, im nördlichen Gazastreifen eine "ethnische Säuberung" zu betreiben.
Die israelische Armee erklärte auf Anfrage, die Informationen prüfen zu wollen. Zudem gab sie an, bei mehreren Boden- und Luftangriffen in Dschabalija ebenfalls im Norden des Gazastreifens am Vortag 40 Mitglieder der radikalislamischen Hamas getötet zu haben.
Die Streitkräfte Israels führen seit Wochen im Norden des Gazastreifens wieder intensive Einsätze durch. Die Armee spricht von der Bekämpfung versprengter Hamas-Zellen. Die Versorgungslage in dem Gebiet ist Augenzeugen zufolge katastrophal. Zehntausende Zivilisten sind aus dem Areal geflohen.
Bei Kämpfen im Norden des Gazastreifens wurden unterdessen nach Angaben der israelischen Armee vier Soldaten getötet. Die Männer im Alter von 20 bis 22 Jahren kamen nach Medienberichten bei der Explosion eines Sprengsatzes in einem Gebäude im Flüchtlingsviertel Dschabalija ums Leben. Nach Militärangaben wurde dabei auch ein Offizier schwer verletzt.
Drohnenangriff der Huthi auf Aschkelon
Die Huthi-Rebellen im Jemen haben nach eigenen Angaben ein Industriegebiet in der südisraelischen Küstenstadt Aschkelon mit einer Drohne angegriffen. Das erklärt ein Militärsprecher der schiitischen Organisation. Das israelische Militär erklärte, das Fluggerät sei auf freiem Feld eingeschlagen.
Eine weitere Drohne aus dem Libanon wurde den Armeeangaben zufolge von der Luftabwehr abgefangen. Teile der Drohne seien in der Nähe der Küstenstadt Naharija im Norden Israels auf unbewohntem Gebiet eingeschlagen. Bei beiden Vorfällen gab es keine Berichte zu Verletzten.
Seit Beginn des Israel-Hamas-Krieges vor mehr als einem Jahr kommt es immer wieder zu Angriffen der sogenannten Widerstandsachse von Verbündeten des Irans auf Israel. Dazu gehören neben der Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen auch Milizen im Irak sowie die Huthi-Rebellen im Jemen.
kle/sti/ch (dpa, afp, rtr, efe)