Hetty Berg über den Neustart des Jüdischen Museums Berlin
20. August 2020Als Hetty Berg am 1. April 2020 ihre neue Position als Direktorin des Jüdischen Museums Berlin (JMB) antrat, war das Haus aufgrund der Corona-Pandemie bereits seit zwei Wochen geschlossen. Zur Wiedereröffnung des Museums mit einer völlig neu gestalteten Dauerausstellung hat sie erstmals Gelegenheit, sich und ihre Ideen einem breiten Publikum zu präsentieren. Warum Berlin, wollten wir von der einstigen Amsterdamer Museumsmanagerin wissen, und worauf liegt der Fokus ihrer Arbeit?
Deutsche Welle: Sie sind seit dem 1. April 2020 die neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin. Wie war es für Sie, das neue Amt mitten im Corona-Lockdown anzutreten?
Hetty Berg: Das war natürlich ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich bin mit dem Auto nach Deutschland gefahren, über eine ganz leere Autobahn, und ich war sehr froh, dass ich nach Berlin kommen und meine neue Stelle antreten konnte. Leider konnte ich meine neuen Kolleginnen und Kollegen an meinem ersten Arbeitstag nicht persönlich kennenlernen, sondern musste sie per Videokonferenz begrüßen.
Hat Ihnen diese relative Ruhe zu Beginn den Start vielleicht sogar erleichtert?
Vielleicht kann man das jetzt im Nachhinein sagen. Ich hätte es aber vorgezogen, schon im Mai die Eröffnung unserer neuen Dauerausstellung und unserer Kinderwelt ANOHA zu feiern, so wie es eigentlich geplant war. Jetzt sind wir sehr froh, dass wir am Sonntag, den 23. August, das Museum endlich wieder öffnen können – mit unserer neuen Dauerausstellung. Unser Kindermuseum werden wir voraussichtlich im November 2020 eröffnen und freuen uns auf viele junge Besucherinnen und Besucher.
Sie waren über dreißig Jahre am Jüdischen Museum in Amsterdam und am Ende Chefkuratorin des ganzen Jüdischen Kulturviertels. Was hat Sie nach Berlin gezogen?
Dieses schöne Berliner Museum! Es ist ein ganz besonderes Jüdisches Museum in der Landschaft der Jüdischen Museen Europas – weil es eine wichtige und symbolische Rolle in der deutschen Gesellschaft hat. Und ich sehe es als wunderbare Aufgabe, eine solche Institution zu leiten.
Worin besteht die größte Herausforderung für ein Museum, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen - gerade angesichts des wachsenden Antisemitismus?
Vor dem Hintergrund des wachsenden Antisemitismus und auch Rechtsradikalismus ist es für uns natürlich ein wichtiger Auftrag, gegen Vorurteile und Stereotype zu kämpfen. In der neuen Dauerausstellung wird es eine Station geben, wo wir in Kurzfilmen alltägliche Situationen von Antisemitismus zeigen. Die Besucher sind aufgefordert, diese Fallbeispiele selbst einzuschätzen und zu diskutieren – zum Beispiel "Du Jude!" als Schimpfwort.
Antisemitisch motivierte Gewalttaten sind eindeutig, verbaler Antisemitismus ist häufig ambivalent und schwerer zu identifizieren. Wir möchten besonders bei jungen Menschen eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus anstoßen. Es ist uns aber auch wichtig, in unserer Dauerausstellung den Reichtum und die Lebendigkeit jüdischen Lebens in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu zeigen.
All die wesentlichen und immer wiederkehrenden Themen der Geschichte wie Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Identität, Diversität und Migration sind auch heute noch aktuelle und wichtige Fragen. Ich möchte gern, dass die Besucher im Museum mehr Inhalte, mehr Bewusstsein, mehr Kontexte und Perspektive bekommen - ohne dass wir fertige Meinungen vertreten. Die Besucher sollen sich selber ihre eigene Meinung bilden können.
Das Jüdische Museum ist eine öffentliche Stiftung und steht unter der Kontrolle des Bundes. Die Direktorin ist nicht nur für Ausstellungen und Veranstaltungen im Haus verantwortlich, sondern auch offizielle Repräsentantin, die die Haltung Deutschlands zum Thema Judentum, Antisemitismus und zum Staat Israel nach außen vertreten muss. Ist das ein enges Korsett?
Wir sind eine vom Bund geförderte Einrichtung und dabei eine unabhängige kulturelle Institution, die die Geschichte der Juden in Deutschland und jüdisches Leben in der Vergangenheit und Gegenwart aus jüdischen Perspektiven präsentiert. Das ist unsere Aufgabe.
Vor einem Jahr brach der Zentralrat der Juden in Deutschland unter Protest den Kontakt zum Jüdischen Museum ab. Wie ist das Verhältnis jetzt?
Glücklicherweise gibt es gute Kontakte zu verschiedenen jüdischen Institutionen. Dieses Museum ist für alle da, für Juden und Nichtjuden. Ich möchte gerne viele Brücken schlagen.
"Die Zeit" schrieb bei Ihrem Antritt, "Hetty Berg übernimmt den schwierigsten Posten, den es in der deutschen Museumslandschaft gibt". Können Sie mit einer solchen Last auf den Schultern noch unbeschwert arbeiten?
Ich denke, das ist ein hervorragender Posten, sehr spannend und vielseitig. Ich freue mich jeden Tag aufs Neue darüber, dass ich diese Stelle besetzen darf.
Hetty Berg, geboren 1961 in Den Haag, stammt aus einer jüdischen Familie. Sie studierte Theaterwissenschaften in Amsterdam und Management in Utrecht und ist ausgebildete Ballettlehrerin. Von 1989 an war sie als Kuratorin und Kulturhistorikerin am Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam tätig. Seit 2002 arbeitete Hetty Berg als Museums-Managerin und Chefkuratorin des Jüdischen Historischen Museums in Amsterdam, das 2012 expandierte und zum Jüdischen Kulturviertel wurde. Als Direktorin des Jüdischen Museums Berlin ist sie die Nachfolgerin von Peter Schäfer, der im Juni 2019 von seinem Amt zurücktreten musste.