Der Mann, der die Schickeria verspottete
31. März 2015"Die Auszeichnung wirft ein besseres Licht auf die Auszeichner als auf den Ausgezeichneten". Mit diesen Worten nahm Helmut Dietl bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2014 den Ehrenpreis für sein Lebenswerk entgegen. Und er fügte süffisant hinzu: "Ich vermute dahinter eine raffinierte, hinterlistige Taktik, um ein verlorenes Schaf wieder einzufangen." Es war eine Anspielung auf die Deutsche Filmakademie, zu deren Gründungsvätern Dietl gehörte und die er später verließ, weil sie seines Erachtens zu einer Gremieninstitution mutiert war. Ein herber Verlust, denn Helmut Dietl war einer der wichtigsten und erfolgreichsten Filmemacher hierzulande.
Ein Teil der Inszenierung
Helmut Dietl wird 1944 in Bad Wiessee am Tegernsee geboren und wächst in München auf. Er studiert Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte und beginnt als Aufnahmeleiter beim Fernsehen zu arbeiten, später dann als Regieassistent bei den Münchner Kammerspielen. Seinen Durchbruch erlebt Dietl Mitte der 1970er Jahre mit der Fernsehserie "Münchner Geschichten", in der er als Autor und Regisseur seine Erfahrungen in der bayerischen Landeshauptstadt melancholisch-satirisch verarbeitet.
Er beweisst bereits hier ein großes Gespür für Rhythmus und Dialoge. In den Folgejahren schreibt Dietl deutsche Fernsehgeschichte, in dem er warmherzig-bissige TV-Serien über tragikomische Helden dreht. Wobei die Geschichten fast ausnahmslos in der selbstgefälligen, gehobenen Mittelschicht Münchens spielen, zu der Helmut Dietl selbst gehört und in der er sich zu inszenieren weiß - mit silbergrauem Bart, weißem Halstuch und Gitanes-Zigarette im Mundwinkel.
Kooperation mit Patrick Süskind
Dafür stehen die Serien "Der ganz normale Wahnsinn" (1978), in der sich ein geschiedener Journalist um die Leserbriefe seiner Zeitung kümmert, "Monaco Franze - Der ewige Stenz" (1983), die Abenteuer eines Kriminalpolizisten und Frauenhelden, und vor allem "Kir Royal" (1986). Letztere schildert den Alltag eines Klatschreporters, den der Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz großartig spielt.
"Kir Royal" wird mit zwei Grimme-Preisen, dem Bundesfilmpreis, zwei Bambis und dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet und läuft noch heute im Deutschen Fernsehen. Allen Serien ist nicht nur die Münchner Heimat gemein, sondern auch ihre überlebensgroßen Protagonisten, die in satirisch überzeichneten Alltagssituationen auf Normalmaß schrumpfen. Helmut Dietl erschuf die Werke in Kooperation mit seinem Freund, dem Schriftsteller und Drehbuchautor Patrick Süskind bzw. dem Produzenten Jürgen Dohme.
Die großen Kino-Erfolge
Und doch sind diese Serien erst das Vorgeplänkel zu Dietls Kinoerfolgen in den 1990er Jahren. Vor allem mit "Schtonk" gelingt ihm ein großer Wurf. Die mit Götz George, Uwe Ochsenknecht und Christiane Hörbiger besetzte Mediensatire über die gefälschten Hitler-Tagebücher erreicht fast zwei Millionen Kinobesucher, wird mit drei Bundesfilmpreisen ausgezeichnet und sowohl für den Golden Globe als auch für den Oscar nominiert. Die einzige deutsche Komödie, die das bisher geschafft hat. Wobei Helmut Dietl scharfsichtig die latente Faszination herausarbeitet, die (nicht nur hierzulande) das Dritte Reich und Adolf Hitler noch heute haben. Und wenn er seine Charaktere auf die Wartburg "pilgern" lässt, um die Veröffentlichung der Tagebücher zu zelebrieren, schenkt er uns auch grandiose Kinobilder.
Vier Jahre später (1996) dreht Helmut Dietl mit "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" einen weiteren Erfolgsfilm und liefert zugleich eine grandiose Selbstreflektion über die Filmbranche. Darin trifft sich die Schickeria in dem Luxusrestaurant "Rossini". Dort lässt der Filmemacher ein Dutzend Großstadtneurotiker aufeinander treffen. Darunter eine nymphomane Journalistin, einen Regisseur, der unter Potenzproblemen leidet, einen biederen Schönheitschirurgen, einen überdrehten Drehbuchautor und einen verschuldeten Filmproduzenten.
Gegenwart war ihm fremd
In den Folgejahren agiert Helmut Dietl auch als Produzent, allerdings ohne große Erfolge zu verbuchen. Als Regisseur hat er ebenfalls seinen Zenit überschritten. Mit Komödien wie der Medien-Satire "Late Show" (1999) oder dem märchenhaften Liebesfilm "Vom Suchen und Finden der Liebe" (2005) kann er nicht mehr an die alten Erfolge anknüpfen. 2012 wagt er noch einmal einen großen Schritt und inszeniert die Politsatire "Zettl" in Berlin. Gemeinsam mit Drehbuchautor Benjamin von Stuckrad-Barre versucht er, eine neue Art "Kir Royal" zu drehen. Allerdings in einer anderen Zeit, in einem politischen Umfeld und in einer Stadt, die ihm fremd ist und in der fast alles irgendwie funktioniert - bis auf eine bayerische Schickeria.
"Unschlagbar charakterlos"
Auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Melancholie, Satire und Anklage balancierte Helmut Dietl wie kein Zweiter und geht damit in die Filmgeschichte als Autorenfilmer ein, dessen Filmcharaktere viele großartige Dialoge hinterlassen haben. Ob ein Kommissar den Spruch "Ein bissel was geht immer" zum Lebensmotto macht, oder ein Kleberfabrikant in "Kir Royal" droht: "Ich scheiß dich zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast."
Auch der Karrierist Zettl konnte mit der Feststellung "Wir sind jung. Wir schauen gut aus. Wir sind schnell im Kopf und unschlagbar charakterlos" überzeugen. 2013 verkündete Helmut Dietl in einem Interview, dass er Lungenkrebs habe und dass die Heilungschancen gering seien. "Wenn man bedenkt, wie viel ich geraucht habe, dann ist es geradezu ein Wunder, dass es so lange gut gegangen ist". Jetzt ist Helmut Dietl mit 70 Jahren daran gestorben.