Hat sich die Delta-Variante in Japan selber zerstört?
27. November 2021Während in vielen Ländern aktuell die Infektionszahlen sprunghaft nach oben schnellen, ist die fünfte Corona-Welle in Japan urplötzlich verebbt. Vor einigen Wochen noch lagen die täglichen Neuinfektionen durch die hochansteckende Delta-Variante in der Spitze bei 26.000, jetzt sind es nur noch 200. Und im Moment sind auch keine Todesfälle zu beklagen.
Sicherlich, aufgrund der Insellage sind die Voraussetzungen in Japan sehr speziell: Das Land schottet sich weitgehend ab, die Impfrate ist mit 75,7 Prozent der Einwohner vergleichsweise hoch, die Einhaltung der sozialen Distanz und das Tragen von Masken sind in der japanischen Gesellschaft tief verwurzelt.
Trotzdem hatte sich die Delta-Variante dort wie überall rasend schnell ausgebreitet und die zuvor vorherrschende Alpha-Variante vollständig verdrängt. Gerade deshalb ist der sehr plötzliche Infektionsrückgang überraschend, und erst recht die mögliche Ursache: Ein japanisches Forscherteam ist überzeugt, dass sich die Delta-Variante in Japan totgelaufen hat und sich jetzt von selber auslöscht.
Zu viele Kopierfehler bei der Viren-Vermehrung
Um sich zu vermehren, schleusen Viren ihre Erbinformationen in eine Wirtszelle ein, bei jeder Reproduktion treten kleine Kopierfehler auf und jeder dieser Fehler verändert auch den genetischen Code des Virus, es mutiert, und zwar vergleichsweise schnell. Jeden Monat gibt es durchschnittlich zwei neue Mutationen.
Und bei diesem Reproduktionsprozess hat das Delta-Virus nach Auffassung von Ituro Inoue, einem Professor am Nationalen Institut für Genetik, in Japan inzwischen zu viele Mutationen im Nicht-Strukturprotein nsp14 des Virus angehäuft. Dadurch könne das Delta-Virus bei der Reproduktion nicht mehr alle Kopierfehler rechtzeitig reparieren, was schließlich zur "Selbstzerstörung" führe, berichtet die Japan Times.
Im Vergleich zu Menschen in Europa und Afrika besitzen Asiaten häufiger ein Abwehrenzym namens APOBEC3A, das RNA-Viren wie auch etwa SARS CoV-2 angreift. Die Forschenden des Nationalen Instituts für Genetik der Universität Niigata untersuchten deshalb, wie das APOBEC3A-Protein das nsp14-Protein beeinflusst und ob es die Aktivität des Coronavirus hemmen kann.
Delta-Variante leidet unter mangelnder genetischer Vielfalt
Die Forschenden gingen davon aus, dass die Delta-Variante eine weitaus größere genetische Vielfalt aufweisen würde. Aber das Gegenteil war der Fall: "Wir waren buchstäblich schockiert, als wir die Ergebnisse sahen", sagte Inoue gegenüber The Japan Times.
Das fehlerhafte Virus sei nicht mehr in der Lage gewesen, Kopien von sich selbst herzustellen. "In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl der Fälle nicht zugenommen hat, gehen wir davon aus, dass das Virus irgendwann während dieser Mutationen direkt auf sein natürliches Aussterben zusteuerte."
Die kühle Theorie von Inoue könnte erklären, warum die Delta-Variante zumindest in Japan so überraschend schnell verschwunden ist. Und vielleicht auch, warum 2003 der Ausbruch des schweren akuten Atemwegssyndroms (SARS bzw. SARS-CoV-1) ebenfalls abrupt endete.
In-Vitro-Experimente mit dem nsp14 des damaligen SARS-Virus zeigten, dass sich das Virus zuletzt auch nicht mehr selbst replizieren konnte, da sich die Mutationen häuften.
Kein Grund zur Entwarnung
Japan ist ein zweifelsohne ein Sonderfall, auch weil es auf den Inseln faktisch nur die Delta-Variante und nicht zusätzlich noch Mischungen zwischen Alpha und Delta-Stämmen gab.
Zudem spielen natürlich auch die Insellage, die weitgehende Selbstisolation, die höhere Impfbereitschaft, das Wahren der sozialen Distanz und das gewohnheitsmäßige Tragen von Masken eine große Rolle, warum die Infektionszahlen jetzt so spürbar zurückgegangen sind.
Entsprechend gehen die Forschenden auch nicht davon aus, dass die Delta-Variante oder gar das SARS-CoV-2-Virus weltweit in Kürze auf ähnliche Weise aussterben wird.