Hat Afrika die Pandemie im Griff?
22. November 2021Afrika ist derzeit weitaus weniger von Neuinfektionen mit COVID-19 betroffen als Europa. Aber dennoch bleibt die Angst vor neuen Infektionswellen, denn erst rund sieben Prozent der 1,3 Milliarden Afrikaner haben einen vollständigen Impfschutz.
Der Mangel an Impfdosen trifft den Kontinent hart, die meisten Länder sind - trotz angelaufener Bemühungen um den Aufbau von eigenen Produktionsstätten - auf absehbare Zeit noch auf Lieferungen aus Übersee angewiesen. Aber weil im europäischen Herbst vielerorts die Neuinfektionen steigen wie nie zuvor, stehen Lieferungen nach Afrika auf der Kippe: Deutschland will Impfdosen, die für ärmere Länder bestimmt waren, vorerst zurückhalten. "Wir haben sogar einen Teil unserer COVAX-Spenden, also internationale Spenden mit BioNTech, jetzt aus Dezember in den Januar und Februar geschoben, um in Deutschland für diese Dinge genug Impfstoff zu haben", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche.
Spahns Entscheidung "ein Riesenfehler"
Diese Entscheidung stößt in afrikanischen Ländern und bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf Unverständnis: "Jeden Tag werden weltweit sechsmal mehr Auffrischimpfungen verabreicht als Erstimpfungen in einkommensschwachen Ländern. Dies ist ein Skandal, der jetzt beendet werden muss", sagte der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kürzlich auf einer Pressekonferenz.
Die Entwicklungsorganisation ONE verurteilt diesen Schritt scharf und fordert Spahn auf, seinen Entschluss umgehend zurückzunehmen und die Impfdosen wie zugesagt an die internationale Impfstoff-Initiative COVAX zur Verteilung an Länder Afrikas weiterzugeben.
"Wenn wir nicht schleunigst dafür sorgen, dass Menschen überall auf der Welt Zugang zu Impfstoffen bekommen, dann verlängern wir sehenden Auges die Corona-Pandemie", sagte Stephan Exo-Kreischer, Direktor von ONE Deutschland im DW-Interview. Er sieht in Spahns Entscheidung einen "Riesenfehler und ein verheerendes Signal an die Welt, was Deutschlands Zuverlässigkeit angeht". Deutschland habe zudem mehr Impfstoff eingekauft, als benötigt werde, sagte er.
Trend der Neuinfektionen geht nach unten
Auf Anfrage verweist das Bundesgesundheitsministerium darauf, dass Deutschland insgesamt 100 Millionen Impfdosen unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Deren Verteilung erfolge überwiegend über COVAX. Zusätzlich zahle die Regierung 2,2 Milliarden Euro für die Beschleunigung der Entwicklung, Herstellung und gerechten Verteilung von Tests und Materialien, darunter 1,6 Milliarden Euro für die Impfstoffinitiative Covax.
Immerhin zeigt trotz der geringen Impfquote der Trend bei den Neuinfektionen auf Europas Nachbarkontinent deutlich nach unten. Insgesamt wurden bisher in Afrika laut Seuchenschutzbehörde der Afrikanischen Union, Africa CDC, 8,5 Millionen Infektionen dokumentiert, von denen mehr als 220.000 tödlich waren.
Die Dunkelziffer liegt aber weitaus höher: "Wir müssen davon ausgehen, dass weniger als 15 Prozent der Fälle auf dem Kontinent festgestellt werden. Auch wenn die Zahlen auf dem Papier niedrig aussehen, sind die Fallzahlen laut Schätzung der WHO wohl sieben Mal höher", sagt Exo-Kreischer.
Der Mangel an qualitativ guten Daten sei dafür verantwortlich. Südafrika zum Beispiel habe niedrige Fallzahlen, während in Tansania Infektionen gar nicht systematisch erfasst würden.
Statistik unzuverlässig: Zu wenig Corona-Tests
"Die gute Bilanz bei der Infektionsrate hängt tatsächlich mit der Tatsache zusammen, dass zu wenig getestet und gemeldet wird", sagt Wolfgang Preiser im DW-Interview. Der Virologe leitet die Abteilung für Medizinische Virologie an der Universität Stellenbosch bei Kapstadt in Südafrika. Auch im hauseigenen Labor hätten anfangs entsprechende Kapazitäten gefehlt.
Doch aus den erhöhten Zahlen der Übersterblichkeit, die in Südafrika erhoben werden, ergibt sich: "In Südafrika sind dreimal mehr Menschen an COVID gestorben als offiziell gemeldet wurden."
Die Behandlung anderer Krankheiten werden durch die Pandemie beeinträchtigt, so Preiser: "Ich glaube, wir werden die Rechnung der Pandemie erst noch präsentiert bekommen in den kommenden Jahren." Auch gebe es Impfverweigerer, die nicht unbedingt aus den ärmeren Schichten kämen: Es seien vorwiegend besser gebildete Weiße, die mutmaßlich der Regierung skeptisch gegenüberstünden.
Ausnahme: Südafrika hat genug Impfstoff auf Lager
Doch im Prinzip habe das Land ein gutes Impfprogramm und ausreichend Impfstoff auf Lager, sagte Preiser: "Die größte Herausforderung für Südafrika ist derzeit, ihn zu verimpfen. Aber es gibt mehr Impfstoff, als derzeit verwendet werden kann - ähnlich wie in den Industrieländern." Doch in den meisten afrikanischen Ländern fehlt es an Impfstoffen. In Südafrika sind 2,93 Millionen Menschen von 59 Millionen Einwohnern mit dem Virus infiziert und 23 Prozent der Menschen momentan geimpft.
Aus dem abgewirtschafteten Nachbarland Simbabwe kommen aktuell gute Nachrichten: Die Pandemie sei unter Kontrolle, das zumindest behauptet die Regierung. Zuletzt wurden nur noch wenige Neuinfektionen und Todesfälle gemeldet.
Der Nachbar Botswana mit seinen 2,3 Millionen Einwohnern steht nicht zuletzt wegen seiner Diamanten wirtschaftlich besser da. Die Regierung konnte zum Teil auch selbst Impfdosen kaufen und startete zügig eine Impfkampagne, als die Dosen im Juni auf dem Höhepunkt der damaligen Corona-Welle eintrafen.
Keine Impfverweigerer in Botswana
Mit Erfolg: Bislang haben 56 Prozent der Menschen in Botswana laut Daten der COVID-Taskforce eine und 29 Prozent die zweite Impfung erhalten. Binnen einer Woche infizierten sich zuletzt 31 von 100.000 Einwohnern. Das Land verzeichne 2416 Todesfälle, heißt es. Auch gebe es keine Impfverweigerer. Das führen Experten auf gutes Vertrauen in eine stabile Regierung und Gesundheitsversorgung zurück.
Allerdings sind die Impffortschritte nicht überall so groß: In mehr als 30 afrikanischen Ländern liegt die Quote der vollständig Geimpften weiterhin im einstelligen Bereich. Knapp darüber, bei 13 Prozent, liegt Mauretanien. Der westafrikanische Staat hat bei der Impfstoffbeschaffung weniger finanziellen Spielraum als Botswana oder Südafrika. Also steht die Regierung in besonders engem Austausch mit der COVAX-Initiative, Impfstoffherstellern und reicheren Ländern.
"Uns war klar, dass wir keinen weiteren harten Lockdown mit seinen sozialen und ökonomischen Folgen aushalten. Deshalb setzen wir auf das schnelle Impfen", sagte Gesundheitsminister Sidi Zeraf kürzlich der "Süddeutschen Zeitung". Die WHO bezeichnete Mauretanien wegen seines Engagements bereits als "Champion" - und doch kommt bislang zu wenig Impfstoff an.