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Warum wir lästern müssen

16. September 2019

Jeder tut es, kaum einer gibt es zu: klatschen, tratschen und lästern ist so alltäglich wie verpönt. Zu Unrecht, sagen Forscher. Wir brauchen das Gerede hinter vorgehaltener Hand geradezu.

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Symbolbild Lästern im Büro
Bild: picture-alliance/dpa/C. Klose

Ich hatte mal einen Kollegen, der mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit verschwörerisch zur Seite zog und die Stimme senkte, um mit mir seine Meinung über die Person zu teilen, die gerade den Raum verlassen hatte. Er war ein typisches Lästermaul. Ich fand es schrecklich unangenehm.

Und trotzdem tue ich es auch: über Menschen reden, die gerade nicht im Raum sind. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich 65 bis 90 Prozent unserer alltäglichen Unterhaltungen um Menschen drehen, die nicht anwesend sind. "Menschen tratschen mit einer Lust, die ihrem Interesse an Essen und Sex Konkurrenz macht", stellten Forscher im Zuge einer Studie fest. 

Zugeben möchten das allerdings die wenigsten (siehe Grafik). Der moralische Kodex der meisten Gesellschaften verurteilt Lästerei über andere. "Klatsch und Tratsch werden oft als ausschließlich selbstsüchtiges Verhalten angesehen, mit dem Ziel, andere zu manipulieren und sie auf böswillige Weise zu beeinflussen", heißt es in einer niederländischen Studie mit dem Titel "Why People Gossip".

Infografik Wie oft lästern Sie über andere? DE

Tratschen um zu warnen

Tatsächlich aber ist das Gerede hinter vorgehaltener Hand viel besser als sein Ruf. Es ist nicht nur zutiefst menschlich, sondern auch extrem sinnvoll. "Durch Tratsch lernen wir, wer potentiell ein guter Kooperationspartner sein könnte und von wem wir uns eher fernhalten sollten", sagt der Psychologe Jan Engelmann, der an der Berkeley University of California zu dem Thema forscht.

Wer in die Gemeinschaft aufgenommen wurde und wer nicht, war im Laufe der Evolution eine Frage von Leben oder Tod. Sich vor Verrätern, Betrügern und Egoisten warnen zu können war überlebensnotwendig.

Die verpönte Lästerei hilft uns also dabei zu entscheiden, wen wir in unsere Gruppe aufnehmen. Schon kleine Kinder warnen sich auf diese Weise gegenseitig vor egoistischen Spielgefährten, die nicht teilen wollen und mit denen das Spielen keinen Spaß macht, wie Engelmann in einer Studie herausfand.

Benimm dich, sonst lästere ich!

Lästern hilft nicht nur dabei, die Spreu vom Weizen zu trennen und so die passendsten Mitglieder für die eigene Gruppe zu selektieren. Lästern über andere schafft auch Intimität innerhalb einer Gruppe. Es stärkt die sozialen Bande zwischen den Tratschmäulern, die vertrauensvoll die Köpfe zusammenstecken und tuscheln.

Infografik Überwen lästern Sie am liebsten? DE

Doch auch innerhalb einer eingeschworenen Gemeinschaft wird gelästert. Ist das nicht besonders verwerflich? Nicht unbedingt. Denn wer die Gruppennormen verletzt, um sich möglicherweise einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, muss damit rechnen, dass sich die anderen die Mäuler zerreißen.

Die Angst, Opfer des nächsten Lästerzirkels zu werden, hält die Gruppenmitglieder in der Spur. Schließlich droht bei extremer Regelverletzung der Rauswurf aus der Gemeinschaft, weil man sich als nicht kooperativ erwiesen hat.

Tratsch hat viele (gute) Gründe

Lästermäuler haben also in Wahrheit nur das Gruppenwohl im Sinn? Nein, so einfach ist es nicht. Wissenschaftler haben verschiedene Gründe ausgemacht, die Menschen zum Tratschen motivieren. Neben dem Austausch von durchaus nützlichen Informationen, hat die Lästerei tatsächlich das Zeug zur Manipulation.

Denn wer mit jemanden über einen Dritten redet, beeinflusst die Meinung seines Gesprächspartners über den Nicht-Anwesenden. Wird dieser schlecht geredet, kann dieser Einfluss negativ sein. Vorurteile, Gerüchte bis hin zum Mobbing können die Folge sein. Kein Wunder also, dass die Lästerei einen miesen Ruf hat.

Allerdings haben die meisten Menschen gar keine derart bösen Absichten. Ein weiteres Tratsch-Motiv ist die bloße Freude dabei. Den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen macht Spaß, lenkt ab und sorgt dafür, dass Menschen eine gute Zeit miteinander haben, schreiben die niederländischen Forscher.

Lästern? Gerne! Aber nicht über mich

Warum also wird der Tratsch sein schlechtes Image nicht los? Weshalb dominiert das fiese Manipulationsmotiv unsere Vorstellung? "Vielleicht mögen wir es einfach nicht, wenn andere tratschen, weil es dann ja auch um uns gehen könnte. Unsere Reputation ist dann nicht mehr in unseren eigenen Händen, wir können sie nicht mehr so gut kontrollieren", vermutet Jan Engelmann.

Speist sich die Abneigung gegen die Lästerei also vor allem aus der Angst, es könne uns selbst treffen? Ich weiß noch, dass ich bei meinem Läster-Kollegen immer dachte: "Wenn er so über andere redet, warum sollte er nicht genauso über dich sprechen, sobald du den Raum verlässt?"

Vielleicht hat mich diese unangenehme Vorstellung dazu veranlasst, ihm möglichst keinen Grund zum Lästern zu geben. Ich habe mich so gut benommen, wie ich konnte. Und damit hat seine Lästerei tatsächlich ihren evolutionspsychologischen  Zweck erfüllt.