Deutscher Filmpreis für Hark Bohm
24. April 2018Filmgeschichte ist immer auch ein Stück subjektive Erinnerung. Wenn Hark Bohm jetzt beim Deutschen Filmpreis die Auszeichnung für sein Lebenswerk bekommt, dann freut das den Verfasser dieser Zeilen ganz besonders. Bohms Film "Moritz, lieber Moritz", der im Februar 1978 erstmals bei den Berliner Filmfestspielen einem großen Publikum präsentiert wurde, gehört zu den ganz besonderen, persönlichen Erinnerungsstücken meiner Kinobiografie.
In jenen Wochen und Monaten begann ich ins Kino zu gehen. Pressevorführungen liefen schon immer ein paar Wochen vor dem offiziellen Starttermin in den Kinos und "Moritz, lieber Moritz" gehörte zu den allerersten Filmen überhaupt, die ich in diesem Rahmen im Kino sah, neben "Star Wars" von George Lucas, Steven Spielbergs "Close Encounters Of The Third Kind" oder "Die Spitzenklöpplerin" mit Isabelle Huppert.
"Moritz, lieber Moritz" - Hark Bohms Blick auf pubertäre Nöte
"Erste Filme" graben sich tief ins Gedächtnis ein. "Moritz, lieber Moritz" gehört unbedingt dazu. Natürlich muss so ein Film einem auch gefallen. "Star Wars" war interessant, doch gepackt haben mich Lucas' Weltraumschlachten nur wenig. Die Geschichte des fünfzehn Jahre alten Moritz hingegen schon.
Ich war damals zwei Jahre älter, aufgewachsen war ich auch in Hamburg. Nicht in so einer vornehmen Umgebung wie der Elbchaussee wie Hark Bohms jugendlicher Filmheld, sondern in Hamburg-Othmarschen, dort, wo Hark Bohm 1939 geboren wurde. Die Geschichte von Moritz traf einen Nerv. Damit war ich nicht allein. "Moritz, lieber Moritz" war ein Erfolg an den Kinokassen. Und auch bei der Kritik kam Bohms Film über die pubertären Nöte eines Fünfzehnjährigen recht gut an.
Hellmuth Karasek schrieb im "Spiegel": "Bohm wollte (...Martin Scorsese auf den Fersen, und zwar dem 'Taxi-Driver') den Jungen einem blonden Traum nachjagen lassen, wobei ein Kompromiss von junger Liebe mit rührend ungeübten Küssen zustande kam - Liebe 78, so rein war sie noch nie." Hark Bohm im Vergleich mit dem amerikanischen Regie-Großmeister Martin Scorsese - das mag im Rückblick verwegen erscheinen.
Ein Film über Jugendliche - für Jugendliche und Erwachsene
Doch Hark Bohm schaffte damals etwas, was im deutschen Kino eine Seltenheit war - woran sich bis heute nicht allzuviel geändert hat: "Moritz, lieber Moritz" war ein Jugendfilm, ein Film für ein Publikum, dass jünger als 18 war, den Kinderschuhen aber längst entwachsen. Es war die Geschichte über die Pubertätsnöte eines Heranwachsenden ohne jede Peinlichkeit, ohne alberne Zoten und platte Gags. Im Gegenteil: Er thematisierte auch verstörende Jugendphantasien und brachte zum Ende sogar einen blutigen Schocker. Und doch war es ein Film, der unterhaltsam war, der eine flüssig erzählte Story bot und auf jeden moralischen Zeigefinger verzichtete.
Das war eine Leistung für das junge deutsche Kino. Hark Bohm gehörte damals zum inneren Kreis des aufstrebenden "Neuen Deutschen Films". Er hatte 1971 den "Filmverlag der Autoren" mitgegründet. Der war zunächst einmal "nur" ein Filmverleih, der aber zu viel mehr wurde. Der "Filmverlag der Autoren" sorgte sich um den deutschen Autorenfilm, wurde zum Co-Produzenten, zu einer Art Selbsthilfeorganisation einer neuen Generation von Filmemachern, sehr prägend für das deutsche Kino der Zeit.
Hark Bohm: Vom Juristen zum Chronisten des deutschen Films
Bohm, der ein Jurastudium hinter sich hatte, aber dann irgendwann merkte, dass ihn das Kino mehr faszinierte als die Paragraphen, begann in den frühen 1970er Jahren auch als Schauspieler. Sein damals schon als Darsteller etablierter Bruder Marquard hatte ihm Zutritt zur Szene verschafft, Hark Bohm trat in Filmen von Alexander Kluge und Rudolf Thome auf, immer wieder bei Rainer Werner Fassbinder. Sein prägnantes Äußeres, der schmale hagere Körper, der kleine Kopf, die für ihn so typische Nickelbrille und die tief eingegrabene Verschmitztheit im Gesicht, all das machte Bohm zu einem beliebten (Neben-)Darsteller im Kino, den man nicht vergaß.
Seine Auftritte vor den Kameras hat Bohm dann beibehalten, rund 90 Mal hat er in Filmen von Kollegen mitgespielt. Der Hamburger war sicherlich keine Rampensau, eher ein Mann für kleine, prägnante, jedoch meist wichtige Rollen. Das war aber nur eine Facette seiner Karriere.
Bohm inszenierte nach "Moritz, lieber Moritz" weitere Kino- und Fernsehfilme, er schrieb Drehbücher, engagierte sich auf vielen anderen Feldern der deutschen Kinoszene. Später wurde er zu einem großen Lehrmeister, unterrichtete Film an Universitäten, wurde zu einem bekannten Mentor des Kino-Nachwuchses, gründete das Hamburger Filmfestival mit.
Iris Berben: "Deutscher Film hat Hark Bohm vieles zu verdanken"
Wenn nun also Hark Bohm am Abend der Verleihung des deutschen Filmpreises eine "Lola" für sein Lebenswerk entgegennehmen darf, ist das eine ausgezeichnete Wahl der Filmakademie. "Der deutsche Film und auch die deutsche Filmakademie haben Hark Bohm als Filmemacher, als Filmlehrer und als filmpolitischem Gestalter immens viel zu verdanken", hatte Akademie-Präsidentin Iris Berben im Vorfeld der Preisverleihung erklärt. Hark Bohm hat vieles angestoßen und auf den Weg gebracht, für das deutsche Kino und für meine ganz persönliche Kinoleidenschaft. Das Urteil von Iris Berben wird an dieser Stelle also unbedingt geteilt. Herzlichen Glückwunsch Hark Bohm zum Deutschen Filmpreis fürs Lebenswerk!
Mehr zu Hark Bohm und dem Deutschen Filmpreis in der aktuellen Ausgabe von KINO.