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Leben auf der Hinterbank

Bernd Riegert25. Mai 2015

Ein Jahr nach der Europawahl ziehen wir Bilanz: Was machen eigentlich die Einzelkämpfer der deutschen Miniparteien, die zum ersten Mal ins Parlament durften? Ein Besuch auf der hinteren Bank von Bernd Riegert.

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Sitzreihen im Straßburger Europaparlament (Foto: Reuters)
Arbeitsplatz der Abgeordneten: Europa-Parlament in StraßburgBild: Reuters

Der Abgeordnete Martin Sonneborn von "Die Partei" steht spät auf und geht hauptsächlich ins Parlament, um seine Tagegelder zu kassieren und andere Abgeordnete zu beobachten. Der Journalist und Autor schreibt seine Erlebnisse dann in der Satire-Zeitschrift "Titanic" nieder, die er selbst mit herausgibt. Nach eigenen Angaben entlockt er dem System Parlament jeden Monat 33.000 Euro an Diäten, Zulagen, Sitzungsgeldern, Reisekosten und Zuschüssen. Damit setzt er ein Jahr nach seiner Wahl konsequent Wahlversprechen seiner Partei um, die es sich als Ziel gesetzt hat, möglichst viel Geld aus Straßburg und Brüssel abzuziehen. Seine Szenen aus dem komischen Parlamentsleben garniert Sonneborn mit heftiger Kritik an der rechtskonservativen "Alternative für Deutschland", ebenfalls neu im Parlament. Manchmal beobachtet er auch beleibte CDU-Politiker, die sich bei abendlichen Empfängen über das Buffet hermachen. "Der isst gerade ein halbes Schwein mit Sahne", schreibt Sonneborn in seinem Bericht aus Brüssel. Der Satiriker empfängt Wähler auf Inspektionsreise, so etwa den Ortsverein der "Partei" aus Berlin-Köpenick. Die Besichtigung des Parlaments habe in einem Saufgelage geendet, heißt es auf der Internetseite der Spaß-"Partei". Die parlamentarische Arbeit an sich ruht. Nur zwei Mal hat sich Martin Sonneborn im Plenum zu Wort gemeldet. Er hat keine Anfragen gestelllt, keine Gesetze betreut. Er gehört der Delegation für die Beziehungen zu Nord- und Südkorea an, aber keiner Parlamentsfraktion. Bei Abstimmungen gibt er ohne Kenntnis der Materie seine Stimme ab. "Ich stimme einfach immer abwechselnd mit Ja und Nein ab", so Sonneborn. Immerhin bleibt ihm Zeit, zwei Nebentätigkeiten nachzugehen, die ihm monatlich bis zu 5000 Euro einbringen, wie aus seiner Einkommenserklärung auf der Parlaments-Webseite hervorgeht.

"Die Partei"-Abgeordneter Martin Sonneborn (Foto: DW/B. Riegert)
Sonneborns Motto: Für Europa, gegen EuropaBild: DW/B. Riegert

Satire dulden und hart arbeiten

Die einzige deutsche Abgeordnete der "Piraten", Julia Reda, hat Verständnis für die Arbeitsweise von Martin Sonnenborn. "Er ist natürlich mit einem ganz anderen Anspruch gewählt worden, um sich humoristisch hier mit dem politischen Betrieb auseinanderzusetzen." Es könnte aber nicht schaden, wenn er auch ab und zu anwesend wäre, um die Absurditäten des politischen Alltags kennenzulernen, glaubt Julia Reda. "Satire darf alles außer schweigen. Ich würde mir wünschen, dass er sich häufiger mal im Plenum zu Wort meldet." Julia Reda, die schon als Studentin bei den "Piraten" aktiv war, nimmt ihr Mandat ernster. Sie ist Berichterstatterin des Parlaments für die Urheberrechtsreform und hat ein Projekt für Datenschutz in den öffentlichen Verwaltungen auf den Weg gebracht. Dass ausgerechnet die in Europa unerfahrene Internet-Politikerin ein Gesetzgebungsvorhaben betreut, ist ungewöhnlich. Es habe Abgeordnete gegeben, die sie am Anfang nicht ernst genommen hätten, erzählt Julia Reda in ihrem Büro in Straßburg. "Die dachten, ich lege ein unmögliches Pamphlet vor. Ich denke aber, ich habe mit meinem Bericht gezeigt, dass ich sehr konkrete und umsetzbare Vorschläge zur Urheberrechtsreform habe. Dadurch habe ich im Parlament einiges an Respekt gewonnen." Sie hat sich der Fraktion der Grünen angeschlossen, nimmt an stundenlangen Sitzungen teil, wühlt sich durch Akten und Vorlagen. "Das macht mir Spaß. Ich würde es wieder tun", sagt sie. "Es ist mehr Arbeit da, als man schaffen kann."

"Piraten"-Politikerin Julia Reda (Foto: imago)
Piratin Reda: Ich würde es wieder tunBild: imago

"Mein Wahlkreis ist ganz Deutschland"

"Familienpartei"-Abgeordneter Arne Gericke (Foto: EP)
Gericke am Arbeitsplatz: Das Mysterium setzt sich einBild: EP

Ein Jahr nach der Europawahl ist auch der einzige Abgeordnete der "Familienpartei", Arne Gericke, von seinem neuen Leben überzeugt. "Ich mache diese Arbeit mit Begeisterung, weil es mir einfach Spaß macht. Ich denke, das ist das Entscheidende. Dass ich nebenbei viele Dinge bewegen kann, das ist das zusätzliche Bonbon. Da kann ich meine Bestätigung erhalten." Familienpolitik falle zwar nicht in die Zuständigkeit der EU, räumt der ehemalige Trauerredner Gericke ein, aber er versucht, seine familienfreundlichen Thesen überall unterzubringen. Er sieht sich nicht als Einzelkämpfer und hat sich der europaskeptischen konservativen Fraktion (ECR) angeschlossen. Er könne nicht immer alle Erwartungen der Partei zuhause erfüllen. "Mein Wahlkreis ist ja ganz Deutschland", meint Arne Gericke, weil seine Minipartei nur einen Abgeordneten stellt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor der Europawahl 2014 die Zugangshürden völlig abgeschafft hatte, konnten auch Splitterparteien, Spaßvögel und Extreme für Deutschland in das Europaparlament einziehen. Arne Gericke, der vier eigene Kinder und drei Pflegekinder hat, ist Fan des französischen Comics über die gallischen Helden Asterix und Obelix. Mit dem kleinen, aber starken Krieger vergleicht er sich gern: "Asterix ist klein und unscheinbar, aber er meldet sich immer wieder zu Wort und weiß, was er will. Manche Kollegen bezeichnen mich als das Mysterium Gericke. Das fand ich schon ganz witzig."

"Freund, Feind, Parteifreund"

Nicht ganz so positiv fällt die Bilanz von Hans-Olaf Henkel aus. Der ehemalige Unternehmer und Wirtschaftsfunktionär war für die eurokritische "Alternative für Deutschland" (AfD) gleich mit sechs weiteren Mitstreitern ins Europäische Parlament eingezogen. Sein Vorhaben, den europäischen Verwaltungsapparat um die Hälfte zu verkleinern, konnte er natürlich nicht umsetzen. Hans-Olaf Henkel schmunzelt: "Wir sind noch nicht weiter. Es erfordert schon alle Kraft, die Einmischung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments in Belange zu verhindern, die in den Mitgliedsländern viel besser wahrgenommen werden können." Viel Kraft kosten aber auch die innerparteilichen Führungskämpfe zwischen dem gemäßigten und dem erzkonservativen Flügel der AfD. Der 75 Jahre alte Henkel, der die AfD vor der drohenden Spaltung bewahren will, seufzt, dies gehöre zu den unangenehmen Erfahrungen, die er als "junger Politiker" auf seine alten Tage machen musste. "Ich habe immer über die Steigerung von Freund über Feind hin zu Parteifreund gelacht. Ich dachte, das sei ein Witz, aber da ist doch etwas Wahres dran. Und das erlebe ich auch gerade in der AfD." Henkel und die anderen AfD-Abgeordneten haben sich der europaskeptischen konservativen Fraktion angeschlossen. Er wurde sogar stellvertretender Vorsitzender der Fraktion. "Das hätte ich mir nicht träumen lassen." Mit fast allen übrigen deutschen Abgeordneten sei der Umgang recht locker, meint Henkel. Die AfD werde in Straßburg im Parlament entspannter wahrgenommen als in Deutschland. "Mir fällt auf, dass wir auffallen. Wir sind wohl die erste Partei, die hier im Block einzieht, ohne dass einer dieser Leute jemals vorher in der Politik war. Das zeigt sich auf der einen Seite durch eine gewisse Naivität. Wir mussten eine Menge lernen. Auf der anderen Seite kommen wir aber auch mit Ideen, auf die die anderen gar nicht gekommen sind."

AfD-Abgeordneter Hans-Olaf Henkel (Foto: picture alliance/dpa/J. Kalaene)
Henkel: Naiv, aber neue IdeenBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

An das Monstrum gewöhnt

Mit Martin Sonneborn von der satirischen "Partei" will Hans-Olaf Henkel nichts zu tun haben. Auch den einzigen rechtsextremen Abgeordneten von der NPD, Udo Voigt, meidet er. Indiskutabel sind für ihn auch Kontakte zu den französischen Rechtspopulisten vom Front National oder der britischen Unabhängigkeitspartei Ukip. Mit diesen "fürchterlichen Typen" rede man gar nicht, auch nicht informell, so Henkel. Vor einem Jahr hielt Hans-Olaf Henkel das Parlament ins Straßburg noch für die "Pyramiden" und das Parlamentsgebäude in Brüssel für ein hässliches "Monstrum". Nach einem Jahr hat er sich daran gewöhnt.