Botschafterin für Frauenrechte und Afghanistan
4. Dezember 2019Wohl nichts schmerzt Hailai Arghandiwal so sehr wie die Tatsache, dass sie bislang noch nie in Afghanistan war - dem Land ihrer Eltern, dem Land, für das sie selbst Fußball spielt, ihre Heimat. "Wann immer mir diese Frage gestellt wird, tut es weh", sagt Arghandiwal. "Es ist ein seltsames Gefühl, denn manchmal fühlt es sich an, als würde ich nie dort hingehen können, und das tut noch mehr weh."
Hailai Arghandiwal ist eine Heldin von morgen. Die 23-jährige Mittelfeldspielerin des MSV Duisburg und der afghanischen Nationalmannschaft ist eine Frau, die für ihre Teamkolleginnen kämpft, für die Möglichkeiten, die der Sport bieten kann und für alle Frauen der Welt. Sie spricht wie jemand, der dankbar und glücklich ist, von Eltern aufgezogen worden zu sein, die ihr die Möglichkeit gaben, sie selbst zu sein.
Debüt im Nationalteam mit 14
Arghandiwal wurde in der Bay Area in Kalifornien geboren und wuchs dort auf. Ihre afghanischen Eltern waren vor dem Krieg aus der Heimat geflohen, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Arghandiwals Vorbild ist ihr Vater, Atta Arghandiwal. Atta, der ein Buch über sein Leben als Kind und junger Mann in Afghanistan schrieb, der selbst gerne Fußball spielte und anschaute. Die kleine Hailai saß neben dem Vater und ihrem Bruder, wenn im Fernsehen der FC Barcelona gezeigt wurde oder die Spiele der italienischen Serie A. Xavi, Andres Iniesta und Gennaro Gattuso hinterließen einen bleibenden Eindruck auf das junge Mädchen.
Arghandiwal begann im Alter von etwa vier Jahren, Fußball zu spielen. Sie kickte für zwei Jugendmannschaften, spielte für das College-Team der Santa Clara University. Schon zuvor, während sie noch an der Highschool war, debütierte Arghandiwal 2010 mit nur 14 Jahren für die afghanische Nationalmannschaft, war 2012 bei der Südasien-Meisterschaft auf Sri Lanka sogar Teamkapitänin. Zuletzt war Arghandiwal 2017 mit der Mannschaft in einem Trainingslager in Jordanien.
Vorreiter gesucht
Arghandiwals sicherer Hafen war immer die Familie, dazu ein Netzwerk aus Freunden. Doch 2018 verließ sie die USA, um ihren Traum von einer Karriere als professionelle Fußballspielerin zu verwirklichen. Es zog sie nach Florenz in die Serie A, wo sie ein sportlich enttäuschendes und persönlich einsames Jahr erlebte. "Ich glaube nicht, dass jedem klar ist, wie die Reise einer Fußballerin in ein fremdes Land aussieht", sagt Arghandiwal. "Du verbringst zwar viel Zeit mit deinem Team, aber dann gehst du nach Hause oder ins Fitnessstudio, isst zu Mittag, und du bist allein."
So war der nächste logische Schritt für Arghandiwal ein Wechsel nach Deutschland, denn hier hat sie Verwandtschaft. Seit dem vergangenen Sommer spielt sie für den MSV Duisburg in der Bundesliga. In Deutschland hat sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Arghandiwal hat großen Respekt davor, wie strukturiert es in Deutschland zugeht. In diesem Jahr will sie als Spielerin einen großen Sprung machen und ist nach einer Eingewöhnungsphase bereit, in Duisburg eine führende Rolle im Kampf gegen den Abstieg zu übernehmen.
Außerdem möchte sie, dass ihre Stimme auch abseits des Platzes gehört wird. Zusammen mit ihren Teamkolleginnen aus der Nationalmannschaft will sie dabei mithelfen, dass sich die Situation für junge Afghaninnen verbessert. "Afghanische Frauen erhalten oft Anweisungen, wie sie sich zu kleiden haben, wie sie sich verhalten sollen, mit wem sie reden sollen. Und es wird ihnen oft gesagt, dass Sport nichts für sie ist. Für mich ist das Spielfeld der Ort, an dem ich ganz ich sein kann", sagt Arghandiwal und fordert daher: "Wir brauchen Menschen, die eine Vorreiterrolle einnehmen und sagen: 'Wir sehen einen Wert im Frauensport. Wir sehen einen Wert darin, jungen Mädchen die Möglichkeit zu geben, Fußball zu spielen, weil sie mehr als nur eine Frau sind, mehr als nur eine Tochter, die der Familie unterworfen ist.'"
Schließlich, so die Fußballerin, profitiere die gesamte Gesellschaft von einer Stärkung der Frauenrechte: "Wenn man die Hälfte der Bevölkerung befreit, befreit man alle."
Vorbild Colin Kaepernick
Eines ihrer Vorbilder ist der Footballspieler Colin Kaepernick, der gegen die Diskriminierung Schwarzer in den USA demonstrierte und für die eigenen Überzeugungen letztlich sogar seine Karriere opferte. Arghandiwal hat sich den Kampf um Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben, hat daneben aber auch sportliche Ziele wie die Qualifikation ihres Nationalteams für ein großes Turnier.
Wichtiger als Pokale und Medaillen seien jedoch andere Dinge, sagt Hailai Arghandiwal "Meine größte Leistung wäre, wenn ich sagen könnte, dass ich für etwas eingetreten bin, das ich für richtig gehalten habe. Und dass ich die Menschen beeinflusst habe, die ich beeinflussen konnte - ob es nun eine Person oder Millionen waren. Dass ich sagen kann: Ich habe getan, was ich konnte."