Habeck: Ein Klimaschützer als Energiemanager
20. März 2022Robert Habeck, Deutschlands Vizekanzler und Wirtschaftsminister von den Grünen, steht am Montag in sengender Hitze vor einem riesigen Solarmodul-Feld in der Nähe der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, Abu Dhabi. Und denkt an den Krieg im fernen Europa. In der Ukraine. Er sagt: "Das ist nicht einfach, das zusammen zu bringen. Das geht uns allen so, die aus Deutschland hierhergekommen sind. Dass man in Gedanken bei den Menschen ist, die gerade sterben, während wir hier reden."
Keine neuen Abhängigkeiten schaffen
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind nach Katar die zweite Station der Reise des grünen Ministers in die arabischen Staaten. Habeck hat die Besuche mit einer großen Wirtschafts-Delegation spontan geplant, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Um nach Alternativen zu russischen Gaslieferungen zu suchen. Und um einer nachhaltigen Energiewirtschaft näher zu kommen, die Abhängigkeiten wie die gegenwärtige deutsche von Russland vermeiden kann. Und auf Geschäfte mit möglichst vielen Partnern setzt.
In den Emiraten geht es dabei um Zukunftspläne wie den Kauf von grünem Wasserstoff. Also solchem, der durch den Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird und in der deutschen Industrie irgendwann einmal die Kohle als Energieträger ersetzen soll. Das Öl-Emirat setzt längst auf die Zukunft und investiert seine Öl-Milliarden: Satte 163 Milliarden Dollar wollen die Herrscher in Abu Dhabi in eine nachhaltige Wirtschaftsweise investieren, hier stehen schon jetzt zwei der größten Solarkraftwerke der Welt. Habeck unterzeichnet an diesem Montag fünf Vereinbarungen für eine bessere Zusammenarbeit auf diesem Feld in den nächsten Jahren.
Grüner Wasserstoff: Eine Mammut-Herausforderung
Wasserstoff, in flüssiger Form und riesigen Mengen aus den Emiraten nach Deutschland gebracht: Das ist ein Projekt, dass noch "die Lösung von vielen technischen Problemen in beiden Ländern braucht", wie Habeck bei einem Treffen mit der Umweltministerin der Emirate, mit Mariam Al Mheiri, zugibt. Er scheint aber wild entschlossen, die Herausforderung anzunehmen.
Er gibt offen zu, die Region noch nicht gut zu kennen und versteht sich als Türöffner. Das kommt bei den deutschen Wirtschaftsvertretern gut an, etwa bei der Vorstandschefin des Industriekonzerns ThyssenKrupp, bei Martina Merz. Sie sagt der DW: "Herr Habeck macht hier einen guten Job für Deutschland. Er sieht sich, so meine Einschätzung, in den Gesprächen als jemand, der Verbindungen herstellen will. Zum Nutzen der grünen Transformation und der Zusammenarbeit zwischen den Ländern."
Zu Beginn der Reise, in der katarischen Hauptstadt Doha, ging es nicht um nachhaltige Zukunft, sondern um die aktuelle Krise In Europa.
Habeck sprach mit dem Emir Katars, Tamin bin Hamad Al Thani; außerdem mit den Ministern für Wirtschaft und für Handel sowie dem Außenminister. Es ging ums Gas. Um viel Gas, dass Deutschland gerade dringend braucht. Nach der russischen Invasion in der Ukraine. Der Emir und Habeck vereinbarten eine langfristige Energiepartnerschaft.
Katars Gas-Reichtum
Katar verfügt nach Russland und dem Iran über die größten Reserven an Erdgas weltweit. Und es verfügt über die Infrastruktur, um es für dem Transport zu verflüssigen. 2019 exportierte das Emirat Flüssiggas (LNG) in einem Volumen von fast 107 Milliarden Kubikmetern. Diese Menge würde reichen, um den deutschen Gasbedarf komplett zu decken. Rund 30 Prozent seines Flüssiggases liefert Katar in die EU. Aber in Deutschland kommt davon fast nichts an: Noch fehlen die LNG-Terminals. Denn Deutschland hat bislang vor allem auf das leitungsgebundene billige Gas aus Russland gesetzt.
Deutschland müsste Flüssiggas über Terminals in Nachbarländern einführen. Angesichts des Schocks durch den russischen Krieg gegen die Ukraine sollen jetzt aber auch in Deutschland schnell zwei solcher Flüssiggasterminals gebaut werden, wahrscheinlich in Wilhelmshafen und in Brunsbüttel. Habeck rechnet während der Reise vor, dass die Terminals in fünf Jahren einsatzbereit sein könnten: "Auch wenn solche Projekte in Deutschland ja gern auch dreimal so lange brauchen, bis sie fertig werden. Aber vielleicht machen wir das ja mal anders." Ein grüner Minister, eigentlich dem Abschied von fossilen Energieträgern verpflichtet, macht Druck für den schnellen Bau von Flüssiggas-Terminals.
Vertrauen, Respekt - und Menschenrechte
Beim Besuch Habecks in Katar und anschließend in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) geht es in erster Linie um den Aufbau von Vertrauen. Vor allem die Katarer haben sich zuletzt von Deutschland nicht besonders beachtet gefühlt. Zweimal etwa sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Besuche in dem Emirat ab, zuerst wegen der Pandemie, zuletzt wegen des Ukraine-Krieges.
Nach dem Kriegsausbruch hatte Habeck es eilig, diese Reise zu planen. Mit dabei ist eine große Wirtschaftsdelegation. Zu der gehört auch Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender des Energieriesen RWE. Für Krebber kommt die Reise genau zum richtigen Zeitpunkt: "Es ist wichtig, sich nach so langer Zeit der Pandemie auch persönlich zu treffen und die Kontakte wieder aufzunehmen." Habeck habe auch Recht mit seinen Plänen, sich unabhängiger zu machen von russischen Lieferungen, unterstreicht der Energiemanager. Auch wenn das alles sicher nicht von heute auf Morgen gehe.
Für Habeck ist das alles andere als eine einfache Reise. Fieberhaft sucht die Regierung nach neuen Gas- und Öllieferanten, damit es in Deutschland nicht kalt wird, sollte Russlands Präsident Wladimir Putin den Gashahn zudrehen. Aber das Emirat steht wegen seiner Menschenrechtspolitik und seiner schlechten Arbeitsbedingungen in der Kritik. Das Gas aus dem Land des Aggressors Russland soll ersetzt werden durch dasjenige aus einem autokratischen Emirat? Und das veranlasst von einem Grünen? Immerhin stellte Habeck nach dem Treffen mit Vertretern der katarischen Regierung fest: "Ich habe die schlechten Bedingungen hier für die tausenden ausländischen Arbeitskräfte angesprochen - und keiner hat den Raum verlassen."
Katars will langfristige Verträge
Beim Thema Gas, das wurde deutlich, sind die Machthaber in Doha vor allem an langfristigen Lieferverträgen interessiert; solche Verträge haben sie zurzeit vor allem mit asiatischen Ländern. Deutschland will, vorangetrieben auch durch Habecks Partei, die Grünen, am liebsten bis 2045 klimaneutral werden. Gas wird als Brückentechnologie betrachtet. Ob dieser Zeithorizont für die Katarer langfristig genug ist, muss sich erst noch zeigen. Aus dem Wirtschaftsministerium und auch von dem mitreisenden Unternehmensvertretern ist jedenfalls zu hören, das Emirat habe ein großes Interesse an einer Steigerung des Exports - die Atmosphäre wird als gut beschrieben.
Habeck sagte: "Es gibt eine große Aufgeschlossenheit. Unser Wunsch wird hier mit Ernst entgegengenommen. Wir haben mit wesentlich mehr Vertretern sprechen können als erwartet." Das mag für Habeck selbst gelten. Es galt nicht für die deutschen Pressevertreter. Kein Satz vom Emir, auch nicht von den anderen Regierungsmitgliedern. Glaubt man Vertretern der deutschen Botschaft in Doha, war das ein Zeichen für die Ernsthaftigkeit der Gespräche. Verträge allerdings wurden noch keine geschlossen. Dafür sei es noch zu früh, heißt es von deutscher Seite.
Eigene Partei überzeugen
Mit viel Freundlichkeit und Charme versuchte der grüne Wirtschaftsminister im Emirat also einen weiteren Schritt für die Wende bei den deutschen Energieimporten. Vor wenigen Tagen erst hatte er in Norwegen für eine Ausweitung der Gaslieferungen geworben.
Dabei weiß Habeck: Erste Lieferungen von Flüssiggas aus dem Emirat werden erst mittelfristig möglich sein. Und er weiß auch: Er wird seiner eigenen Partei diese gänzlich neue Rolle als Wegbereiter von Gasimporten erst noch einmal erklären müssen. Schließlich wollen die Grünen so schnell wie möglich von allen fossilen Energieträgern loskommen. Aber der Krieg in der Ukraine hat viele Sichtweisen und Gewissheiten verändert, auch für Habeck.
(Dieser Artikel wurde am 21.03.2022 aktualisiert)