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Musik

Häftlinge spielen Beethovens "Fidelio"

Sarah Hucal jhi
22. Februar 2020

Eine Inszenierung der einzigen Oper Ludwig van Beethovens lässt Insassen in Berlins Justizvollzugsanstalt Tegel mit den Zuschauern in Kontakt treten. Ein seltener Einblick in das Leben hinter Gittern.

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Beethoven Fidelio Gefangenentheater JVA Tegel
Bild: Thomas Aurin

Es ist ein regnerischer Abend, an dem eine Gruppe Menschen anstatt eines Theaters das Gefängnis in Berlin-Tegel betritt - bereit, sich für ein paar Stunden einsperren zu lassen. Nachdem alle Sachen verstaut sind - Handy und andere persönliche Gegenstände sind streng verboten - müssen die Besucher ihre Personalausweise abgeben. Im Anschluss: der Körperscan. Dann folgen alle schweigend einem Sicherheitsaufseher in einen derzeit unbesetzten Gefängnistrakt.

Seit 1893 steht der vierstöckige Gebäudeteil, der inzwischen als Veranstaltungsort dient. Die ursprüngliche Nutzung als Gefängnis ist allerdings nach wie vor deutlich spürbar. Dafür sorgen die massiven fensterlosen Türen der Zellen und die staubbedeckten Gitter, die die freie Sicht behindern.

Für die meisten Operngäste ist es der erste Besuch in einem Gefängnis. Nun stehen sie in der Dunkelheit und warten auf den Beginn von Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" - inszeniert von Gefängnisinsassen.

Dann geht ein Scheinwerfer an: im Lichtkegel ein Streichquartett hinter Gittern, das die Ouvertüre spielt. Das Publikum wird zu den Sitzplätzen geleitet, während eine Gruppe von Häftlingen die Halle betritt und im Chor spricht.

Handgemenge zwischen drei Männern: Szene aus Beethovens Oper "Fidelio", inszeniert vom Gefangenentheater der JVA Berlin-Tegel.
Held in Beethovens "Fidelio" ist eine als Mann verkleidete Frau, die ihrem Ehemann bei der Flucht helfen willBild: Thomas Aurin

Beethovens einzige Oper spielt tatsächlich im Gefängnis, und so wird die Erfahrung, echte Häftlinge in der Rolle von Häftlingen, Gefängniswärtern und Staatsbeamten zu erleben, geradezu surreal. Im Zentrum des Geschehens steht Leonore, die sich als Mann verkleidet ins Gefängnis einschleicht, um ihrem inhaftierten Ehemann zur Flucht zu verhelfen.

"Hierbei sind wir frei"

"Wenn Fidelio sonst inszeniert wird, haben die Mitwirkenden oft Schwierigkeiten, sich das Leben im Gefängnis vorzustellen. Diese Probleme hatten wir nicht", erzählt Hans-Dieter Schütt von "aufBruch", der Non-Profit-Theatergruppe, die das Stück in Tegel auf die Beine gestellt hat.

Das Projekt hatte eine Laufzeit von drei Monaten. Während der elf Wochen andauernden Probephase trafen sich 17 inhaftierte Männer immer montags bis freitags zwischen 16 und 20:30 Uhr, um eine moderne Version von Beethovens Oper einzustudieren. Sie folgt zwar dem Libretto, wird aber von weiteren Stücken Beethovens, darunter Arien und Chor-Gesänge wie "Ode an die Freude" aus Beethovens 9. Sinfonie ergänzt. Der zeitliche Aufwand für die Insassen war beträchtlich, viele gehen im Gefängnis einer Arbeit nach.

Blick auf die JVA Tegel mit Mauer und Kameras.
Höchste Sicherheitsvorkehrungen - die JVA Berlin-TegelBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

"Wir hatten viel Spaß", sagt Gino, ein selbstbewusster Darsteller, der - gehüllt in wallende Röcke - im Stück die Tochter des Gefängniswärters, Marzellina, mimt. "Während der Proben bist du total konzentriert", erklärt er. "Wir sind im Gefängnis, das ist ganz real, aber hierbei sind wir frei."

"aufBruch" inszeniert bereits seit 1997 Stücke in Berlins Gefängnissen und lehrt die Insassen die Schauspielkunst. "Wir machen das nicht nur, um kreative Potenziale von Häftlingen zu entdecken und zu entfalten, sondern auch einfach weil wir Theater machen wollen. Dazu müssen sich die Gefängnisse letztlich auch öffnen, um die Zuschauer hereinzulassen", erklärt Sibylle Arndt, die Produktionsleiterin.

Ein Gefängnis zu öffnen und dort Theaterstücke zu inszenieren, konterkariert in gewisser Weise das eigentliche Konzept des Inhaftierens. "Ein Gefängnis isoliert die Insassen von der Gesellschaft. Darin besteht der Freiheitsentzug. Es ist ein Kontaktentzug. Mit einem Häftling in Kontakt zu treten, ist nicht so einfach wie bei einem normalen Mitglied der Gesellschaft. Wir wissen nicht wie es sich anfühlt, im Gefängnis zu sitzen. Es gibt keine Besichtigungstour", so Arndt.

Plakat zur JVA-Vorstellung "Fidelio".
Plakat zur JVA-Vorstellung "Fidelio"Bild: Sarah Hucal

Auf Tuchfühlung mit den Häftlingen

Die Opern-Vorstellung fesselt das Publikum, es wird intim, die Darsteller sind nur ein paar Meter von der ersten Reihe entfernt. Die 70 Besucher sitzen in zwei Stuhlreihen in dem weitläufigen Raum, während die Häftlinge die Texte rezitieren - Zuschauer und Gefängnisinsassen sitzen sich Aug in Aug gegenüber.

Stellenweise humorvoll, aber auch pathetisch: Das Stück erforscht Themen wie Loyalität, Vertrauen und Freiheit. Immer wieder wird das Libretto unterbrochen von Einwürfen aus dem Gefängnisalltag. Alle, die sich mit der Einhaltung des strengen Probenplans einverstanden erklärten, durften mitmachen, besetzt wurden die Insassen dann vom Regisseur nach ihrer jeweiligen Eignung. Manche brillierten auf der Bühne mit Präsenz und Textsicherheit, andere zeigten spezifische Talente, etwa indem sie Gesang aus ihrer früheren Heimat präsentierten.

Die Produktion ist eine Zusammenarbeit von "aufBrauch" mit dem Bildungsprogramm der Berliner Philharmoniker sowie mit Studierenden der Hanns Eisler Musik-Hochschule. Bereits 2018 kooperierten diese Organisationen für die Inszenierung von Richard Wagners Oper "Parsifal" im gleichen Gefängnis.

"Ich habe mich selbst überrascht"

Die viele Musik in dem zweistündigen Stück machte "Fidelio" zu einem ambitionierten Vorhaben. Die Häftlingen bekamen von Beginn an Unterricht in klassischem Gesang. "Es war sehr schwierig und hart für mich, aber es hat auch Spaß gemacht", so Marcel B., der in der Rolle von Jaquino große Bühnenpräsenz hatte.

Wer von seinem Gesangstalent überzeugt war, konnte sich mit Beethovens Arien austoben. Ein Ziel des Programms ist es, den Insassen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen, indem sie ihre Talente erforschen. "Für mich war das Singen kein Problem, ich liebe es, zu singen", berichtet Gino gegenüber der DW. Doch das Auswendiglernen der Texte sei ihm sehr schwer gefallen: "Als wir anfingen war ich entsetzt. Wie soll ich bloß all diese Texte lernen? Aber mit täglicher Übung habe ich mich selbst überrascht. Ich konnte es!"

Beethovens Oper "Fidelio" in der JVA Tegel: Eine Gruppe Männer steht sich einander gegenüber und blickt sich ernst an.
Proben zu Beethovens "Fidelio" in der JVA Tegel: Selbst hier war die Spannung spürbarBild: Thomas Aurin

Nach der Aufführung verbeugen sich die Inhaftierten, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern - ihre Kameradschaft ist offensichtlich. Und das Publikum bekommt die Chance, zum direkten Austausch.

In den nächsten Wochen wird es zwölf weitere Aufführungen geben, mit jeder wird das Ensemble an Sicherheit gewinnen. Gino, für den es die erste Theaterproduktion ist, wünscht sich schon jetzt eine zweite. "Ich sage es den Leuten von "aufBruch" jeden Tag. Ihr müsst wieder kommen."

"Fidelio" ist noch am 26., 27. und 28. Februar sowie am 4., 5., 6., 11., 12. und 13. März in der JVA Berlin-Tegel zu sehen. Beginn ist jeweils um 17:30 Uhr.