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Politik

Kampf um die amerikanische Nation

Alexander Görlach
9. Juli 2019

Der Streit um eine Frage bei der anstehenden Volkszählung offenbart einen alten Konflikt über das Wesen der amerikanischen Nation. Dieser Streit ist noch lange nicht entschieden, meint Alexander Görlach.

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DW Zitattafel Alexander Görlach

In den USA herrscht Tumult aufgrund der anstehenden Volkszählung, in deren Fragebogen Präsident Trump die Frage einfügen möchte, welcher Nationalität die Befragten seien. Das scheint auf den ersten Blick legitim, denn auch in der Bundesrepublik möchten wir wissen, woher die Menschen kommen, die bei uns leben und einen Aufenthaltsstatus haben.

Der Administration Trump geht es aber um etwas anderes: Die Verteilung von Steuermitteln und staatlichen Zuwendungen wird in den Vereinigten Staaten über die Bevölkerungszahlen geregelt. Bundesstaaten wie New York haben eine deutlich höhere Zahl an Migranten, legale wie illegale, so dass es Donald Trump recht käme, hierhin künftig weniger Geld überweisen zu müssen. Und damit jene Teile des Landes finanziell trocken zu legen, die traditionell weder für die Republikaner im allgemeinen, noch speziell für ihn gestimmt haben und - noch wichtiger - im kommenden Jahr erneut stimmen werden.

Die frühen USA - nur eine Föderation, keine Nation

Diese Frage nach der Staatsbürgerschaft, die vor den Obersten Gerichtshof getragen wurde, rührt indessen tiefer: Die Vereinigten Staaten haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich, in der sie sich zuerst als Nation finden und dann bestimmen mussten, wer alles zu dieser Nation gehört. Die 13 britischen Kolonien, die 1776 ihre Unabhängigkeit erklärten, sahen sich fortan nicht als eine Nation, sondern als eine Föderation. Jede Kolonie war ein Staat, zusammen ergaben sie einen Staatenbund. Das erklärt, warum bis auf den heutigen Tag die Bundesstaaten skeptisch gegenüber Washington sind: Zentralregierung steht für Nation. Und die nationale Ebene steht für illegitime Einmischung. Besonders deutlich wurde das in der Frage der Sklaverei, die auf nationaler Ebene nicht geklärt werden konnte, weil die Staaten sich ausbedungen hatten, für diese Frage letztverantwortlich zu sein.

USA Freiheitsstatue in New York
Die Freiheitsstatue im Hafen von New York war für unzählige Einwanderer das erste, was sie von den USA sahen Bild: picture-alliance/dpa/F. Schumann

So gibt es bis heute ein Verständnis, das die USA als ethnisch homogene, christliche, weiße Nation sieht, und eine andere, die das Kosmopolitische unterstreicht. Beide reichen in die Anfangszeit der USA zurück. US-Präsident Trump verherrlicht das weiße Amerika, Barack Obama das kosmopolitische. Die Frage nach der Herkunft, wie sie jetzt wieder gestellt werden soll, ist also nur der neueste Ausfluss eines Jahrhunderte alten Streits, was die USA eigentlich sein wollen und wer zu ihnen gehören soll. Durchgesetzt hatte sich bis dato der Narrativ, wonach die USA ein Sanktuarium seien für die Mühseligen und Verfolgten der ganzen Welt. So steht es auch am Sockel der Freiheitsstatue in New York. Indem Donald Trump den "US Citizen and Immigration Service" anwies, den Zusatz "a nation of immigrants" aus seinem Mission Statement zu streichen, hat er sich daran gemacht, dem Narrativ des weißen Amerika zu neuem Schwung zu verhelfen.

Es geht also beim gegenwärtigen Streit nicht darum, statistisch erheben zu können, wer alles im Land lebt. Es geht vielmehr darum, das Land unerreichbar zu machen für kommende Generationen von Einwanderern. In diesem Sinne hat Donald Trump auch bereits das "Ius soli" angegriffen, das die Staatsbürgerschaft qua Geburt gewährt: Wer in den USA geboren wird, ist automatisch Staatsbürger. Donald Trump möchte das abschaffen und damit für die Kinder von Einwanderern zugleich die Möglichkeit, sich nicht nur heimisch in den USA zu fühlen, sondern auch wirklich US-Amerikaner zu sein. In der Tat hat das die USA bis dato von ihren europäischen Partnern unterschieden: Werden dort selbst noch die Kinder der dritten Generation von Einwanderern gefragt, wo sie denn "wirklich" herkommen, so sind in den USA alle die Amerikaner, die sich zu Amerika bekennen. Nirgendwo in Europa ist das möglich. Genau das hat den Reiz ausgemacht und den Sog erzeugt, der Amerika "great" gemacht hat.

Die Abschaffung der Nation

Indem nun die Staatsbürgerschaft per Geburt abgeschafft werden soll, macht sich der Präsident auch daran, die Nation abzuschaffen. Am Ende - und so ist es ihm auch lieber - ist Amerika wieder ein parzellierter Flecken Erde, in dem nicht die Herrschaft des Rechts über alle, sondern das Faustrecht des Stärkeren über den Schwächeren bestimmt. In dem Sinne ist Donald Trump ja auch dafür, als Reaktion auf die Massenerschießungen in amerikanischen Schulen zu empfehlen, dass jeder noch mehr Waffen tragen möge, anstatt eine Gesetzesinitiative für eine bessere Waffenkontrolle in Gang zu bringen.

Die USA bleiben also in dieser Frage gespalten, wie sie es schon seit zwei Jahrhunderten sind. Die künftigen Präsidentschaftswahlen, wahrscheinlich noch nicht die kommende im Jahr 2020, werden zeigen, ob sich dieser Trend verfestigt. Schon heute ist festzustellen, dass diejenigen, die 40 Jahre und jünger sind, Ideen zuneigen, die für die Älteren als "sozialistisch" gebrandmarkt gelten. Diese jungen Wählerinnen und Wähler lehnen zu 85 Prozent die Grenzmauer zu Mexiko, eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Donald Trump, ab. Zumindest wenn es nach der Mehrheit der Jüngeren geht, bleiben die USA ein Land der Zuwanderung und des Optimismus.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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