Zehn Gemeinsamkeiten und ein Unterschied
12. Januar 2016Es war die Eitelkeit, die Chapo Guzmán wieder hinter Gitter brachte. Sein Treffen mit dem Schauspieler Sean Penn an einem bisher unbekannten Ort hat wohl die Fahnder auf den Plan gerufen. Guzmán wollte mit Penn über die mögliche Besetzung eines autobiographischen Films sprechen.
Penn veröffentlichte nach Guzmáns Verhaftung einen Bericht des Treffens. Er ist gespickt mit situativen Absurditäten (Penn furzt) und größenwahnsinnigen Zitaten: "Ich liefere mehr Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana als jeder andere auf der Welt", doch so wirklich viel ist über Joaquín Guzmán Loera alias "el Chapo" nicht bekannt. Mehr Informationen gibt es über das Leben seines mittlerweile legendären, mehrfach verfilmten und mindestens genauso brutalen Vorgängers aus Kolumbien: Pablo Escobar Gaviria.
Doch die bisher bekannten Ähnlichkeiten der beiden sind verblüffend - hätten Sie zur gleichen Zeit Geschäfte gemacht - sie wären wahrscheinlich erbitterte Feinde gewesen.
1. Vom Niemand zum Multimilliardär
Escobars Vater züchtete Rinder - Guzmáns Papa schuftete auf den Feldern. Schon früh zog es die beiden weg von der Landwirtschaft in die Unterwelt. "Ich bin vielleicht arm, aber ich werde nicht arm sterben", sagte Pablo laut seinem Vetter bereits bei seiner Erstkommunion. Escobar startete seine kriminelle Karriere mit geschmuggelten Zigaretten, dann folgten geklaute Autos.
Guzmán verkaufte mit 15 Jahren Marihuana - der Einstieg in die Unterwelt begann über seinen Onkel. Innerhalb von zwei Jahrzehnten stieg Guzmán zum Chef seines eigenen Kartells auf. Das Wirtschaftsmagazin Forbes setzte den Chef des sogenannten Sinaloa-Kartells 2013 auf Platz 67 der einflussreichsten Menschen der Welt. Pablo Escobars Vermögen wurde von Forbes auf 30 Milliarden Dollar geschätzt.
2. Schnurrbart, Geschmack und Körpergröße
Die beiden haben nichts unversucht gelassen, ein eher derbes Männlichkeitsbild zu bedienen. Ein Schnurrbart gehört ebenso dazu, wie eine ausgewählte Sammlung von Hawai- (Escobar) und Rodeo-Hemden (Guzmán).
Bei den Spitznamen hatte Escobar etwas mehr Glück. Während Escobar von seinen Untergebenen und in der Presse als Boss "el Patron" tituliert wird, bezieht sich Guzmáns Rufname - "el Chapo" - "der Kleine" - auf seine geringe Körpergröße. Die liegt - je nach Quelle - zwischen 1,68 und 1,72. Escobar war übrigens mit 1,66 noch kleiner.
3. Den Frauen erlegen
Bei Guzmáns Ergreifung hat neben Sean Penn auch eine Frau eine noch unbekannte Rolle gespielt. In die Vorbereitungen für die geplante Verfilmung seines Lebens war die mexikanische Schauspielerin Kate de Castillo involviert. Aus dem Gefängnis und aus seinem Versteck hatte Guzmán bereits versucht, ihr Blumen und Geschenke zu schicken.
Neben seiner Frau hatte Pablo Escobar etliche Liebschaften und Prostituierte. Die wohl wichtigste Beziehung neben seiner Ehe war Virginia Vallejo. Von 1983 bis 1987 war die Journalistin mit dem Anführer des Medellín-Kartells liiert.
4. Den Staat gedemütigt und blamiert
Die Drogen-Milliarden der beiden Kriminellen ergossen sich bis in die letzten Winkel Mexikos und Kolumbiens. Mit der Devise "Plata o Plomo" - Geld oder Tod - kauften sich Escobar und Guzmán Anwälte, Politiker und Gegner. Wie weit die Korruption reicht, zeigt sich bei der letzten (der zweiten) Flucht von Guzmán durch einen belüfteten Tunnel aus einem Hochsicherheitsgefängnisses. Dass nicht auch Beamte ganz oben im Staatsapparat in die Flucht eingeweiht waren, glaubt niemand so wirklich.
Escobar ging noch einen Schritt weiter und baute sich sein eigenes Gefängnis. Nach seiner selbst initiierten Verhaftung 1991 begab er sich hinter Luxusgittern. "Sie haben einen elektrischen Zaun um das Gefängnis gebaut, der hat 10.000 Watt und der Schalter befand sich in Pablos Zelle", so Popeye, einer von Pablos bekannten Auftrragskillern.
5. Intelligent und global
Erfolgreichen Managern wird meistens Intelligenz und Machtinstinkt zugeschrieben. Im Drogenhandel machte Pablo Escobar dabei vor, was Guzmán perfektionierte. So gilt er als Erfinder des globalisierten Drogenhandels. Nicht nur die Produktion explodierte dank industrieller Labors im Dschungel – unter Escobars Leitung entstand auch ein breit gefächertes Exportnetz. Rund 80 Prozent des Kokains in den USA stammte zu seinen Hochzeiten vom Medellín-Kartell.
Guzmáns Sinaloa-Kartell geht noch einen Schritt weiter. Neben Kokain vertreibt es auch Amphetamine, Heroin und Marihuana. Laut Experten ist das Kartell in mittlerweile mehr als 50 Ländern tätig, beschäftigt Tausende Menschen in unzähligen illegalen und geschätzt mehr als 250 legalen Unternehmen, in denen das Kartell das Drogengeld wäscht.
6. Tierlieber Größenwahn
Auch wenn es von Guzmáns ausschweifendem Leben (noch) keine Bilder gibt - bei seiner zweiten Festnahme belief sich sein Besitz auf 16 Häuser, viele Farmen, einige Privatflugzeuge, eine Autosammlung und sogar einen Privatzoo. Darin hielt er sich nach Gerüchten Bären, Krokodile und Tiger.
Die Leidenschaft für exotische Tiere teilte auch Pablo Escobar - auf seiner monströsen Finca, der "Hacienda Nápoles", hielt er sich knapp 2000 Tiere aus allen fünf Kontinenten der Erde. Escobars absoluter Größenwahn manifestiert sich vor allem in seinem Wunsch zum Präsident Kolumbiens aufzusteigen. Seine politischen Ambitionen brachten ihn schließlich in die Schusslinie.
7. Muttersöhnchen
Liebe macht blind, heißt es. Beides trifft auch auf die Mütter der größten Drogendealer zu. Hermilda Gaviria, die Mutter Escobars nahm ihren Sprössling bis zum Schluss in Schutz. "Er ist im Himmel, denn die Mildtätigkeit löscht alle irdischen Sünden aus", so die streng katholische Mutter. Für sie war die Wohltätigkeit ihres Sohnes immer wichtiger als die Quelle des Geldes.
Auch Guzmáns Mutter ist in einem seltenen Interview eines Dokumentarfilmers wenig kritisch. Es sei eine Schande, dass die Regierung ihm für alle Schandtaten die Schuld zuweise, sagt die Mutter auf der Veranda ihres großen Hauses.
8. Brutal und Gewissenlos
Dass ihr Sohn alles andere als unschuldig ist, geht aus einem psychologischen Gutachten von 2005 hervor. Darin heißt es, dass Töten für den Drogenboss zum Geschäft gehöre. Fühle er sich bedroht, sei für Guzmán jegliche Gewaltanwendung legitim. Reue kenne er nicht. Die Zahl seiner Morde, kann er nicht beziffern. Zwischen 2000 und 3000 seien es gewesen, so Guzmán nach seiner letzten Festnahme im vergangen Jahr. Insgesamt sind im mexikanischen Drogenkrieg mehr als 150.000 Menschen gestorben.
Escobar legte Bomben, ermordete unschuldige Bürger und Politiker. Um sich selbst und sein Kartell zu verteidigen, war ihm jedes Mittel recht. So setzte er für seine "Sicarios" - seine Auftragskiller - ein Kopfgeld auf Polizisten aus. "Das Leben ist nichts wert", sagte er damals in einem Interview.
9. Als Robin-Hood verehrt…
Trotz der riesigen Blutspuren, die sich durch das Leben der beiden Männer ziehen, genießen beide in ihrer Heimatregion große Anerkennung. Escobar spendete in Medellín und Umgebung viel Geld, baute Krankenhäuser und errichtete sogar Sozialwohnung für ein ganzes Armenviertel. Heute trägt ein Stadtviertel seinen Namen. Ähnlich Guzmán - in seiner Heimat, dem Bundesland Sinaloa, wird er als Volksheld gefeiert. Hier gilt er als edler Stifter von Schulen, Straßen und Kirchen - nicht jedoch als Massenmörder
10. …und gehasst
Mit dem Erfolg steigt auch die Zahl der Feinde. Guzmán kämpft mit seinem Kartell an mehreren Fronten. Zum einen gegen andere mexikanische Kartelle um Marktanteile und Territorien. Zum anderen gegen die USA und die mexikanischen Behörden. Die "Drug Enforcement Agency" (DEA) der USA hatte bis zu sieben Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt.
Escobar war den USA vor knapp 20 Jahren immerhin fünf Millionen Dollar wert. Die Informationen, die zu seiner Ermordung durch die Polizei führten, kamen wohl von rivalisierenden Kartellen. Nach Escobars Tod übernahmen sie das Geschäft.
Der Unterschied
Pablo Escobar hatte sich einer Auslieferung erfolgreich widersetzt - sogar ganze Gesetze nahm die Politik auf seinen mit Bombenanschlägen untermauerten Druck zurück. Einige Experten sehen in der Ermordung Escobars 1993 eine Verzweiflungstat des Staates - ein Eingeständnis, dass alle Richter, Gefängniswärter und Politiker Kolumbiens es nicht schafften, den Drogenbaron mit den Mitteln des Gesetzes zu bestrafen. Escobar starb einen Tag nach seinem 44. Geburtstag.
Chapo Guzmán schafft es vielleicht noch zu seiner Rente. Das hängt aber wohl davon ab, ob er in die USA ausgeliefert wird und in einem ruhigen US-Gefängnis versauert. Nach bisherigen Informationen wird seine Auslieferung noch mindestens ein Jahr dauern. Schafft er es in dieser Zeit noch einmal zu fliehen, könnte dem mexikanischen Staat vielleicht auch der Geduldsfaden reißen und Guzmán so enden wie Escobar - erschossen auf der Flucht.