Guinea-Bissau: Mit Drogengeld an die Macht?
11. Juli 2023Frankfurt am Main, 27. November 2021: Ein Mittelklassewagen fährt durch die Innenstadt der Mainmetropole. In dem Fahrzeug sitzen mutmaßliche Drogenhändler und Mitglieder der kalabrischen 'Ndrangheta sowie ein Mann aus Guinea-Bissau. Das Ziel ist eine Pizzeria im Stadtteil Bergen-Enkheim. Während der Fahrt werden "große Geschäfte" und "Jobs zwischen Südamerika, Afrika und Europa", besprochen. Was die Männer nicht ahnen: Das Auto, in dem sie fahren, ist verwanzt.
Seit Jahren sind italienische Antimafia-Ermittler auf zwei kalabrische Clans im Großraum Frankfurt angesetzt. Auch die Abteilung für Organisierte Kriminalität der Frankfurter Polizei, K62, beobachtet das Treffen. Und jetzt ist auch der Mann aus Guinea-Bissau, den die Kalabresen "Il Politico" - also "der Politiker" - nennen, ebenfalls ins Fadenkreuz geraten.
Investigative Recherche in Deutschland
Ein Rechercheteam der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) und des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) hatte Zugang zu den Akten der italienischen Antimafia-Ermittler aber auch der Frankfurter Polizei. Diese Akten stellte das Rechercheteam auch der DW zur Verfügung. Aus diesen Ermittlungsprotokollen geht hervor, dass "Il Politico" einen Monat später, am 27. Dezember 2021, wieder nach Frankfurt kommt, um weitere Details mit den Kalabresen zu klären.
Und diesmal wird er von der deutschen Polizei kontrolliert. Der Mann, der sich mit einem Diplomatenpass aus Guinea-Bissau ausweist, ist kein geringerer als Malam Bacai Júnior, Sohn des 2012 noch während seiner Amtszeit verstorbenen damaligen Präsidenten Malam Bacai Sanhá. In der Vergangenheit hatte Malam Bacai Júnior, der in Bissau "Bacaizinho" genannt wird, als Mitglied der größten Partei des Landes, der ehemaligen Befreiungsbewegung PAIGC, mehrere Regierungsposten inne und bekleidete auch Beraterfunktionen während der Präsidentschaft seines Vaters.
Inzwischen sitzt Bacaizinho in den USA wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft, nachdem er 2022 von Agenten der US-amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA in Tansania in eine Falle gelockt und verhaftet wurde. Mehrere Gespräche zwischen Bacaizinho, Drogenhändlern sowie verdeckten DEA-Agenten wurden abgehört und transkribiert, um die Anklage vor einem Gericht im US-Bundesstaat Texas gegen den Sohn des guinea-bissauischen Ex-Präsidenten zu stützen. Mit einem Urteil wird noch in diesem Jahr gerechnet.
Auch zu den Aussagen, die von DEA-Agenten vor dem Gericht in Texas gemacht wurden, hatte das Rechercheteam Zugang. Und diese haben es in sich, denn sie enthalten konkrete Hinweise darauf, dass Bacaizinho am Putschversuch vom Februar 2022 in seinem Heimatland beteiligt gewesen sein könnte.
Stecken die Drogenmafia und Bacaizinho hinter dem Putschversuch?
Die Transkription der Aussage des Undercover-Agenten der DEA vom 6. September 2022, vor dem texanischen Gericht "United States Southern District of Texas Court" in Houston, erstreckt sich über 37 Seiten und legt genau das nahe. Auf Seite 12 des Protokolls heißt es: "Mr. Malam Bacai Júnior gab an, dass er den Putschisten Gelder aus Drogengeschäften gegeben habe, um diesen Staatsstreich zu finanzieren". Und weiter: "Der Angeklagte gab an, dass die Putschisten den Putschversuch früher als von ihm geplant initiiert hätten. Er sagte, wenn alles so gelaufen wäre, wie von ihm geplant, wäre der Staatsstreich erfolgreich gewesen. Frage: Was bezeichnete der Angeklagte als Erfolg? Antwort: Ein Erfolg wäre für ihn der Sturz des amtierenden Präsidenten, der gegen den Drogenschmuggel war, und die Wiederherstellung eines narco-freundlichen Staates in Guinea-Bissau, ähnlich wie während der Regentschaft seines Vaters zwischen 2009 und 2012."
Eine Anfrage der DW für eine Stellungnahme zu diesem und weiteren Sachverhalten an den Pflichtverteidiger von Malam Bacai Júnior blieb bis zur darin gesetzten Frist unbeantwortet.
Guinea-Bissau: Transitland für Drogen
Der Fall Bacaizinho zeige einmal mehr die Komplexität der Drogenproblematik in Guinea-Bissau und die Verbindungen zwischen Drogenhandel, organisierter Kriminalität und politischen Akteuren in dem Land, das von Beobachtern immer wieder als "Narco-Staat" bezeichnet wird. Tatsächlich gilt Guinea-Bissau als wichtiger Knotenpunkt für den Drogenhandel, insbesondere für Kokain, und hat seit der Unabhängigkeit von Portugal 1974 neun Staatsstreiche und Putschversuche sowie mehrere politische Morde erlebt. Von ihnen gehen einige auf das Konto der Drogenkartelle, die spätestens seit 2005 das Land fest im Griff haben. Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ist Guinea-Bissau inzwischen eines der bedeutendsten Einfallstore für Kokain aus Südamerika, auf dem Weg nach Europa.
Der jüngste Putschversuch ereignete sich am 1. Februar 2022: ein bewaffneter Angriff auf den Regierungspalast, wo gerade ein Ministerratstreffen unter dem Vorsitz von Präsident Umaro Sissoco Embaló stattfand, und der mindestens elf Todesopfer forderte. Damals ließ das Staatsoberhaupt gegenüber den Medien durchblicken, dass die Angreifer mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen könnten: "Dieser Putsch hat auch die Mitwisserschaft von Personen, gegen die wegen Drogenhandel Ermittlungen laufen. Der Kampf geht weiter!", erklärte der Präsident einen Tag nach dem Angriff.
Doch der guinea-bissauische Staatschef präsentierte damals keine Beweise, was Spekulationen hervorrief, der Anschlag könnte von Umaro Sissoco Embaló selbst inszeniert worden sein, um eine Hexenjagd auf missliebige Opponenten durchzuführen.
Die Informationen aus dem laufenden Verfahren in den Vereinigten Staaten, zu denen Journalisten jetzt Zugang bekamen, deuten nun darauf hin, dass die Aussagen von Sissoco Embaló mit dem Fall Bacaizinho in Verbindung stehen könnten.
Für FAZ-Redakteur Klaubert deutet jedenfalls viel darauf hin, dass es sich bei Malam Bacai Júnior, alias "Il Politico", um einen großen Fisch im internationalen Drogenschmuggel handelt: "Wenn man die Dokumente der italienischen Polizei und der US-amerikanischen DEA-Agenten liest, gelangt man leicht zu dem Schluss, dass Malam Bacai Sanhá Junior eine sehr aktive Person im Drogenhandel war, er handelte sowohl mit Heroin als auch mit Kokain. Es wird davon gesprochen, dass er Geschäfte zwischen den Guerrillakämpfern in Kolumbien, der Hisbollah im Libanon und der italienischen Mafia vermittelt haben könnte", erklärt FAZ-Redakteur Klaubert.
Zivilgesellschaft fordert Untersuchung des Falls "Bacaizinho"
"Die von Journalisten in Deutschland zusammengetragenen Informationen werfen ein völlig neues Licht auf den Putschversuch vom 1. Februar 2022", sagt Fodé Mané, Jurist und Vorsitzender des Nationalen Netzwerks für Menschenrechte in Guinea-Bissau, und fordert, dass die Generalstaatsanwaltschaft von Guinea-Bissau die Enthüllungen über die angebliche Beteiligung von Malam Bacai Sanhá Junior an dem Putschversuch untersucht: "Dafür wäre eine Zusammenarbeit zwischen der guineischen Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsstellen in den USA, Italien und in Deutschland notwendig", erklärt Mané gegenüber der DW. Es liege im Interesse von Guinea-Bissau, den Sachverhalt aufzuklären. Bacaizinho sei eine sehr bekannte und politisch sehr bedeutende Person, er habe mehrere Staatsämter bekleidet. Allein das rechtfertige eine gründliche Untersuchung dieses Falles, so der Menschenrechtsanwalt.
Dass die Staatsanwaltschaft den Fall untersucht, scheint jedoch unwahrscheinlich. Auf Anfrage der DW sagte der Generalstaatsanwalt von Guinea-Bissau, Edmundo Mendes, dass er zu dem Fall keine Stellung nehmen könne. Die strafrechtlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Putschversuch seien abgeschlossen. Es gebe 37 Verdächtige, unter ihnen Zivilisten und Militärs, die im Zuge des Putschversuchs verhaftet worden seien. Und diesen Verdächtigen werde bald der Prozess gemacht, so ein Sprecher der bissau-guineischen Staatsanwaltschaft.
Juristische Aufarbeitung des gescheiterten Putsches verzögert sich
Der Hauptverdächtige im Prozess gegen die mutmaßlichen Putschisten ist der ehemalige Chef der guinea-bissauischen Marine, Vizeadmiral José Americo Bubo Na Tchuto, der in der Vergangenheit ebenfalls von den USA des Drogenschmuggels beschuldigt worden war. Bubo Na Tchuto wurde am 2013 im Rahmen einer DEA-Operation zusammen mit vier weiteren Guinea-Bissauern von Agenten der US-Strafverfolgungsbehörde auf einem Boot in internationalen Gewässern festgenommen und verbüßte eine Haftstrafe in den USA.
"Bisher galt Bubo Na Tchuto als Rädelsführer des Putschversuchs von Februar 2022. Wenn jetzt mit Malam Bacai Júnior ein neuer mutmaßlicher Rädelsführer auftaucht, so ist das ein sehr interessantes Detail. Für meine Mandanten kommt die Information allerdings zu spät" sagt Marcelino Ntupé, Anwalt von Bubo Na Tchuto und 25 weiteren im Rahmen des Putschversuchs Inhaftierten. Es bestehe kaum eine Chance, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft neu aufgerollt werden. Ohnehin sei es wichtiger, dass der Prozess gegen die Inhaftierten bald stattfinde, denn seine Mandanten säßen seit über einem Jahr im Gefängnis, einige von ihnen ohne förmliche Anklage.
Derweil wartet Malam Bacai Junior, alias "Bacaizinho", alias "Il Politico", in den USA auf seinen Prozess. Noch werden Ermittlungsergebnisse und Zeugenaussagen, auch aus Deutschland, zusammengetragen. FAZ-Redakteur Klaubert sagt, das Verfahren werde voraussichtlich erst am Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Bis dahin gilt für ihn selbstverständlich die Unschuldsvermutung, sowohl was den Vorwurf des Drogenschmuggels, als auch den Vorwurf der Rädelsführerschaft beim Putschversuch in Guinea-Bissau angeht.
Die DW hat den Anwalt von Malam Bacai Junior um eine Stellungnahme zu den in diesem Artikel angesprochenen Fragen gebeten. Vor der Veröffentlichung ist keine Antwort eingegangen.