Viel Ärger um Öl und Gas
29. Dezember 2021Die unabhängige guinea-bissauische Zeitung "O Democrata" berichtete im November 2021 erstmals über einen "Geheimvertrag" zwischen den Präsidenten des Senegal, Macky Sall, und Guinea-Bissaus, Umaro Sissoco Embaló. Sissoco habe mehr als ein Jahr zuvor (im Oktober 2020) eigenmächtig mit seinem senegalesischen Amtskollegen ein Abkommen über die Aufteilung zukünftiger Erdöl- und Erdgaseinnahmen im gemeinsamen Seegebiet zwischen den beiden Ländern ausgehandelt und unterschrieben.
Weder Regierungschef Nuno Nabiam noch das Parlament seines Landes seien eingeweiht gewesen. Das Abkommen sei über ein Jahr praktisch geheim gehalten worden. Erst am 14. Dezember erhielten guinea-bissauische Medien Zugang zu dem Dokument und veröffentlichten es.
"Das Abkommen sieht die Aufteilung zukünftiger Öleinnahmen zwischen beiden Ländern vor, allerdings nach einem für Guinea-Bissau sehr ungünstigen Verhältnis", sagt Journalist Armando Lona, Chefredakteur der Zeitung "O Democrata" im DW-Interview. Der Deutschen Welle liegen Fotos einer Kopie des Abkommens vor. Demnach gehen 70 Prozent der Einnahmen an Senegal, 30 Prozent an Guinea-Bissau.
Das Abkommen sei völlig illegal zustande gekommen, sagt Lona, denn der Präsident Guinea-Bissaus habe eine Entscheidung von nationaler Tragweite an der Öffentlichkeit vorbei getroffen: "Wir verstehen nicht, warum Sissoco so ein Geheimnis um die Ressourcen unseres Landes macht. Schließlich gehören die Rohstoffe allen Guineern, und nicht nur denen, die gerade zufällig an der Macht sind."
Alte Territorial-Konflikte, neue Wirtschaftsinteressen
Bereits 1993 hatten sich der Senegal und Guinea-Bissau über die Schaffung einer "gemeinsamen Wirtschaftszone" vor der Küste beider Länder geeinigt und damit einen Jahrzehnte alten Territorialkonflikt aus Kolonialzeiten vorläufig ausgeräumt. Zu dieser "gemeinsamen Wirtschaftszone" - ein Gebiet mit großen Fischbeständen, aber auch bedeutenden, bisher noch nicht geförderten, Erdöl- und Erdgasvorräten - trugen der Senegal 54 Prozent und Guinea-Bissau 46 Prozent bei. In der damaligen Vereinbarung lag der Verteilschlüssel für Guinea-Bissau bei Erdöl und Erdgas sogar noch schlechter, nämlich bei nur 15 Prozent. Seit Ende 2014 wird nachverhandelt.
Heute - fast 30 Jahre nach der ersten Einigung - könne kein unabhängiger Experte dieses Konstrukt nachvollziehen, geschweige denn erklären, warum nicht jedes Land die Erdölvorkommen in seinem eigenen Gebiet selbst ausbeuten und vermarkten dürfe, gibt Journalist Lona zu bedenken.
Die Exploration, Förderung und Vermarktung der Ressourcen in der gemeinsamen Wirtschaftszone delegierten beide Länder an eine "Agentur für Kooperation zwischen Guinea-Bissau und Senegal" (AGC) mit Sitz in der senegalesischen Hauptstadt Dakar.
"Die AGC führt bereits geologische Studien und Bohrarbeiten durch", erläutert Journalist Armando Lona. Doch diese Agentur sei vor allem in Guinea-Bissau sehr umstritten: "Viele in Guinea-Bissau halten die AGC für einen verlängerten Arm des senegalesischen Präsidenten." Viele Beobachter und Experten in Guinea-Bissau forderten deshalb die Auflösung der AGC und das Ende der gemeinsamen Zone, "damit jedes Land seine Ressourcen selbst ausbeuten kann", erklärt der Journalist.
Präsident Sissoco fühlt sich im Recht
"Das, was ich mit Macky Sall unterschrieben habe, ist kein Vertrag über die Verteilung der Erdöleinnahmen, sondern ein Abkommen, das die Zusammenarbeit unserer beiden Länder in der gemeinsamen Wirtschaftszone regeln soll. Und dazu bin ich als Staatspräsident befugt, denn die AGC untersteht den Präsidenten", versuchte sich Sissoco herauszureden, als er kurz vor Weihnachten am Flughafen der Hauptstadt Bissau von Journalisten auf das Problem angesprochen wurde.
Und auch AGC-Exekutivsekretär, Inussa Baldé, beeilte sich, die Tragweite des Ölabkommens kleinzureden: "Es wird in der Gemeinsamen Wirtschaftszone noch gar kein Öl oder Gas gefördert. Und wir wissen auch noch nicht genau, ob die Förderung des Öls nicht viel zu teuer ist", erklärte Baldé auf einer Pressekonferenz und stellte klar, dass die Präsidenten Sissoco und Sall "nur eine generelle Vereinbarung über die AGC im gemeinsamen Gebiet" unterzeichnet hätten, die unterschiedliche Ressourcen betreffe. Man könne also mitnichten über einen Vertrag über die Aufteilung von Öl- und Gas sprechen.
Diese Aussage widerspricht laut Journalist Armando Lona allerdings einem Statement des senegalesischen Wirtschaftsministers, Amadou Hott, der kürzlich die Existenz eines Ölexplorationsvertrags öffentlich bestätigt habe. Kurz darauf sei Hott entlassen worden, berichtet Lona.
Zivilgesellschaft auf den Barrikaden
Seit Wochen formiert sich in der Zivilgesellschaft großer Widerstand gegen die vermeintliche "Intransparenz, mit der der Präsident über die Rohstoffe des Landes entscheidet". 27 Nichtregierungsorganisationen verlangten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 14. Dezember die "strafrechtliche Verfolgung aller am Vertragswerk beteiligten Akteure": "Wir fordern die Staatsanwaltschaft unseres Landes auf, Ermittlungen aufzunehmen gegen alle, die in diesen Akt des Verrats unserer Heimat involviert sind", sagte Bubacar Turé, Vizepräsident der guineischen Liga für Menschenrechte (LGDH).
Der politische Analyst Rui Landim, der der Opposition in Guinea-Bissau nahesteht, spricht im DW-Interview von Korruption und Inkompetenz der Machthaber in seinem Land: Das Volk dürfe sich das nicht gefallen lassen. Es sei jetzt notwendig, "solche sittenwidrigen Verträge zu denunzieren, damit andere ähnliche Abkommen in anderen Regionen Afrikas unterbunden werden", so Landim.
Parlament lehnt Abkommen des Präsidenten ab
Am 15. Dezember reagierte auch das guinea-bissauische Parlament und stimmte einer Resolution zu, die die Vereinbarung zwischen Umaro Sissoco Embaló und seinem senegalesischen Amtskollegen Macky Sall für "null und nichtig" erklärt.
Von den 72 in der Kammer anwesenden Abgeordneten lehnten 70 das Abkommen ab. Nur ein Abgeordneter stimmte für das Abkommen. Der Präsident der Nationalversammlung enthielt sich der Stimme. "Wir haben gehandelt, um die besten Interessen des Landes zu schützen", sagte Bamba Banjai von der Bewegung für demokratischen Wechsel (MADEM G15), der politischen Familie von Präsident Sissoco.
Parlamentspräsident Cipriano Cassamá kündigte außerdem an, internationale Instanzen wie die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union anzurufen und um Vermittlung in dem Konflikt zu bitten.
Sissoco selbst reagierte beleidigt: "Mit dieser Abstimmung hat das Parlament seine Kompetenzen eindeutig überschritten und dem Ruf unseres Landes international schweren Schaden zugefügt". Und dann drohte der ehemalige General: Er werde das Parlament alsbald auflösen. Denn er habe es satt, immer wieder beleidigt zu werden.