Grüner Realo-Präsident
23. Mai 2016Er, der Ältere, war der Kandidat der Jüngeren. Rund zwei Drittel der Österreicher unter 30 hatten sich in Wahlumfragen für Alexander Van der Bellen ausgesprochen. Sie wollten den 72-jährigen Wirtschaftsprofessor an der Spitze des Staates stehen sehen. So war dessen Wahl auch Ausdrucks eines Generationskonflikts: Die meisten älteren Österreicher, die über 50-Jährigen, haben ihre Stimme seinem Konkurrenten Norbert Hofer, dem Kandidaten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), gegeben.
In der Stichwahl hat Van der Bellen - "VdB", wie ihn Österreicher kurz nennen – die meisten seiner Landsleute für sich gewinnen können. Hinter ihm stand die österreichische Wirtschafts- und Kunstelite. Es mag sein, dass das am Ende doch noch Eindruck gemacht hat. Mit dieser Unterstützung kompensierte Van der Bellen sein zurückhaltendes, eher distanziert wirkendes Auftreten. Das Bad in der Menge nimmt er im Zweifel eher ungern.
Keine alten Zäune hochziehen
Das mag dazu beigetragen haben, dass er sich noch in der ersten Wahlrunde seinem sich volksnah gebendem Konkurrenten geschlagen geben musste. "Das möglichst distanzlose Anquatschen von Wildfremden gilt als Königsdisziplin im Wahlkampf", schrieb mitfühlend das Nachrichtenmagazin "Profil". Dabei werde diese Disziplin völlig überschätzt: "Einschlägiges Talent eines Bewerbers sagt über dessen Fähigkeiten als Politiker ja wirklich nicht viel aus."
Als Chef der Grünen hatte sich Van der Bellen immer wieder für eine offene, multikulturelle Gesellschaft ausgesprochen. Diesen Kurs setzte er auch im Wahlkampf fort: "Widerstehen wir der Versuchung, die alten Zäune wieder hochzuziehen", sagte er zur Flüchtlingspolitik. Gleichwohl berücksichtigte er in seinem Wahlkampf die veränderte, einwanderungskritische Stimmung im Land. Österreich sei zwar offen, es gebe aber keinen Platz für Wirtschaftsmigranten mehr, erklärte er.
Wanderer in Tirol
Auf seiner Website präsentierte er sich als Wanderer mit Hunden in Tirol. ein doppeldeutiges Bild, das sowohl auf seine grüne Vergangenheit anspielt - den Wahlkampf trat er als parteiloser Kandidat an – und ihn zugleich als heimatverbundenen Bürger präsentiert. In Zeiten der Massenmigration hat der Begriff "Heimat" auch in Österreich vor allem bei konservativen Wählern verstärkte Wertschätzung erfahren. "Ich glaube an unser Österreich", lässt Van der Bellen dementsprechend verlauten.
Der Umgang mit den Konservativen dürfte ihm nicht einmal sonderlich schwer fallen. Im Gegenteil: "Van der Bellen war der humorvolle Intellektuelle unter den Öko-Bewegten", schreibt das Nachrichtenmagazin "Profil". "Bei ihm konnte man einigermaßen sicher sein, dass er seine Freizeit nicht in das Selberbasteln von Krötentunnels investierte. Als Universitätsprofessor für Volkswirtschaft brachte er zudem einen gewissen Realitätssinn in die grüne Wunderwelt."
"Veränderung, nicht Zerstörung"
Entsprechend schlug "VdB" im Wahkampf grundsätzlich einen Mittelweg ein. "Wir brauchen Veränderung, aber keine Zerstörung der gegenwärtigen Verhältnisse", heißt es auf seiner Webseite. Die Präsidentschaftswahl werde richtungsweisend sein: "Entweder mehr Polarisierung und Zerstörung des Systems oder mehr Miteinander und die Veränderung des Systems. Ich werde immer das Gemeinsame vor das Trennende stellen.“
In die Politik fand Van der Bellen relativ spät. Lange Zeit sympathisierte der Professor der Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Innsbruck und Wien mit den Sozialdemokraten. Als im Jahr 1984 ein Wasserkraftwerk an der Donau gebaut werden sollte, war das für ihn Anlass, sich den Grünen anzuschließen, die das Projekt verhindern wollten. Zehn Jahre später zog er für die Grünen in das österreichische Parlament ein. Wesentlich trug der auf Ausgleich bedachte Van der Bellen dazu bei, die zerrissene Partei wieder zu einen.
Nun kommt es an, nach der Partei auch das Land wieder zu einen. Van der Bellen siegt knapp mit 50,3 Prozent der Stimmen. Das heißt auch, dass er noch viele Österreicher von sich und seinen politischen Präferenzen überzeugen muss. Van der Bellen wird seinem Land nun dabei helfen müssen, die politische Mitte wiederzufinden.