Koalition will Energiewende bremsen
3. Dezember 2013"Der Ausbau der erneuerbaren Energien ging und geht recht gut", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel wenige Stunden nach dem Ende der Koaltionsverhandlungen in den frühen Morgenstunden des 28. November. Doch die große Eigendynamik der Energiewende in den letzten Jahren ist für die Koalition offenbar zu einem Problem geworden. Denn nun will Merkel mit ihren zukünftigen Koalitionspartnern das bisherige Wachstum der erneuerbaren Energien bremsen.
"Wir brauchen Korridore damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit dem Netzausbau Schritt hält. Damit kommt Planbarkeit und Berechenbarkeit in die Energiewende, damit die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien (EEG) nicht immer weiter steigt“, so Merkel.
Derzeit finanzieren Stromkunden über die EEG-Umlage den Ökostrom, den die Produzenten für einen garantierten Festpreis ins Netz einspeisen dürfen. In den letzten Jahren wurden immer mehr Solar- und Windenergieanlagen gebaut. So ist zwar der Strompreis an der Börse gesunken, paradoxerweise stieg dadurch aber auch die EEG-Umlage - und damit auch der Strompreis für normale Kunden.
Dem will die Koalition einen Riegel vorschieben: Laut Koalitionsvertrag erfolgt "der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien in einem gesetzlich festgelegten Ausbaukorridor: 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025, 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035." Würde das Ausbautempo wie in den letzten Jahren fortgesetzt, stiege der Anteil von Erneuerbaren Energien im Stromsektor von derzeit rund 25 Prozent auf mehr als 45 Prozent im Jahr 2020.
Kritik an Ausbaubremse
Bei den Grünen und Linken, stoßen diese Pläne auf heftige Kritik. Die Oppositionsparteien warnen vor einem Scheitern der Energiewende und der internationalen Klimapolitik. Die geplante Ausbaugrenze bedeute einen "staatlich verordneten Schutz der klimaschädlichen Kohleverstromung" wettert der Grüne Umweltexperte Hans-Josef Fell. Damit würde der Ausbau der Erneuerbaren Energien "massiv abgewürgt" und die derzeitigen Investitionen in der Ökostrombranche "fast halbiert."
Die große Koalition fahre "die Energiewende mit Vollgas gegen die Wand", konstatiert die Umweltexpertin Eva Bulling-Schröter von den Linken. Sie äußert Zweifel, "dass es die künftige Bundesregierung wirklich ernst meint mit dem Klimaschutz".
Windausbau an Land soll gebremst werden
Auch innerhalb der Koalitionäre melden sich Kritiker zu Wort. So sieht der Koalitionsvertrag vor, dass neue Windstromanlagen an Land künftig nur noch Vergütungen bekommen, wenn sie an besonders windstarken Standorten gebaut werden. Damit drohe "ein abruptes Abwürgen der Windkraft in Süddeutschland" warnt Josef Göppel, der für die CSU als Umwelt- und Energieexperte bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch saß.
Stattdessen möchte die Koalition den Windausbau auf dem Meer ohne Einschnitte weiter fördern, kritisiert der Stephan Grünger vom Verein Eurosolar, obwohl der Offshore-Strom etwa doppelt so teuer sei. Das "steht im Widerspruch zu den Bekenntnissen im Koalitionsvertrag, dass die Kosten der Energiewende möglichst gering ausfallen sollen", so der Energieexperte.
Der CSU-Politiker Göppel empört sich, dass die Führungsebene der Parteien Passagen aus dem Vertragsentwurf gestrichen hätten, die in der Verhandlungsgruppe für Energie zuvor für notwendig erachtet worden seien. Solle der Koalitionsvertrag umgesetzt werden, drohe Deutschland, seine technische Führungsrolle einzubüßen.
"Merkel bestand auf Verlangsamung des Ausbaus"
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber bestätigt, dass viele Passagen in der Schussphase der Koalitionsvereinbarung gestrichen wurden. Dafür sei vor allem die Bundeskanzlerin verantwortlich gewesen. Die Verlangsamung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien sei ein politische Opfer gewesen, das Merkel haben wollte, so Kelber im DW-Interview. "Ich hatte das nicht erwartet, dass Angela Merkel in dieser Frage so stark interveniert" und "eine Veränderung ihrer eigenen Politik will".
Kelber befürchtet, dass Investoren jetzt verunsichert werden könnten und äußerte Zweifel, ob der Koalitionsvertrag überhaupt so umgesetzt werden könne. So komme es sicher noch zu Prüfungen und Korrekturen der geplanten Gesetzesvorhaben.
In einer großen Koalition ginge der "Kampf um die Energiewende in den vier Jahren" wahrscheinlich weiter - mit einem "harten Ringen innerhalb der Koalition und in den Parteien". Und letzten Endes habe auch der Bundesrat eine Mitbestimmungsmöglichkeit, und da hätten immerhin Bundesländer eine Mehrheit, die von der SPD, den Linken und den Grünen geführt werden.
Fossile Energiewirtschaft will Festlegung
Zufrieden über "die deutlich erkennbare Handschrift der Union" bei der Energiewende im Koalitionsvertrag zeigt sich dagegen der Koordinator für Energiepolitik in der CDU/CSU Bundestagsfraktion: "Statt unkontrolliertem Zubau schaffen wir Planungssicherheit und Verlässlichkeit", betont Thomas Bareis.
Die Befürworter der Koalitionsvereinbarung verweisen daraus, dass auch Betreiber herkömmlicher Kohle- und Gaskraftwerke ihre Kosten decken müssen. Diese könnten aber nicht wirtschaftlich arbeiten, wenn die Anlagen lange Zeit stillstehen und nur dann angefahren werden, wenn gerade kein Solar- und Windstrom zur Verfügung stehe.
Diese Position bezieht auch der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW). Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller (CDU), ehemalige Staatsministerin in Merkels Bundeskanzleramt, begrüßt "die Festlegung eines Ausbaukorridors" und betont, dass allen Beteiligten klar sein muss, "dass es hinter dieser übereinstimmenden Problemsicht nun kein Zurück mehr gibt".
Müller hofft, dass mit dieser Vereinbarung fossile Kraftwerke noch mehrere Jahrzehnte laufen können. Im Zuge der Energiewende stand deren Rentabilität in Frage, weil Ökostrom vorrangig eingespeist wird. Für ein stabiles Energiesystem wird ein fossiler Kraftwerkspark aber noch einige Jahre gebraucht, um Engpässe zu überbrücken.
Demonstration für Energiewende
Umweltverbände sehen den Koalitionsvertrag als "Frontalangriff auf die Energiewende“ und organisierten wenige Tage nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen (30.11.2013) eine Demonstration in Berlin, zu der nach Angaben der Veranstalter rund 16.000 Menschen kamen. Der Koalitionsvertrag sei "die offizielle Aufkündigung der deutschen Vorreiterschaft beim Klimaschutz. Das ist eine Wende Rückwärts und ein großer Sieg der fossilen Lobbyisten", warnt Mitorganisator Klaus Milke von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.
Aufgerufen zur Demonstration hatte auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac. Sprecher Jens-Martin Rode bezeichnet es als Skandal, dass "Angesichts der verheerenden Auswirkungen des Klimawandels für den globalen Süden der Ausbau der Erneuerbaren Energien jetzt ausgebremst werden soll".