London verzichtet auf Ratspräsidentschaft
20. Juli 2016Großbritannien wird die EU-Ratspräsidentschaft nicht wie geplant in der zweiten Jahreshälfte 2017 übernehmen. Premierministerin Theresa May habe EU-Ratspräsident Donald Tusk in einem Telefonat über diese Entscheidung informiert, teilte ein Regierungssprecher in London mit. May habe hinzugefügt, ihre Regierung werde mit den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens "sehr beschäftigt" sein.
Tusk habe die rasche Entscheidung der britischen Premierministerin begrüßt, so der Sprecher weiter. Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union rotiert im Halbjahrestakt unter den EU-Mitgliedsländern. Großbritannien hätte den Vorsitz turnusmäßig im Juli 2017 von Malta übernehmen sollen. Nach dem Brexit-Votum vom 23. Juni galt das aber nur noch als schwer vorstellbar. Derzeit hat die Slowakei die Ratspräsidentschaft inne.
Nach Angaben von Tusks Sprecher einigten sich die Botschafter der EU-Staaten darauf, dass für Großbritannien Estland einspringt und seine EU-Ratspräsidentschaft um ein halbes Jahr vorzieht. Die Mitgliedsländer müssen dem noch formal zustimmen. Nach Großbritannien und Estland waren für den Ratsvorsitz Bulgarien, Österreich, Rumänien und Finnland vorgesehen. All diese Länder sind nun voraussichtlich um jeweils sechs Monate früher an der Reihe.
Das EU-Land, das den Vorsitz im EU-Ministerrat innehat, kann maßgeblich die Agenda der EU beeinflussen und soll zugleich Kompromisse sowohl der Mitgliedsländer untereinander als auch mit EU-Kommission und EU-Parlament ausloten. Derzeit übt die Slowakei dieses Amt aus.
Briten ohne Eile
Mit dem Austritt aus der Europäischen Union (EU) wollen sich die Briten offenbar Zeit lassen: Die britische Regierung wird nach den Worten eines ihrer Rechtsvertreter in diesem Jahr noch nicht den formellen Antrag stellen. Das hatte der Rechtsanwalt Jason Coppel, der die britische Regierung als Anwalt in einem Gerichtsverfahren zum Thema Brexit vertritt, bereits am Dienstag erklärt.
Er habe dem High Court in London mitgeteilt, dass die Regierung von Premierministerin May nicht vorhabe, bis Ende 2016 von Artikel 50 des Lissabonner Vertrages Gebrauch zu machen. In Artikel 50 ist der Austritt eines Staats aus der EU geregelt. Mit dem formellen Antrag beginnt eine Frist von zwei Jahren, in denen die Briten und die EU die Details ihrer Scheidung aushandeln müssen.
Darf May den Austritt veranlassen?
Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass das Brexit-Referendum rechtlich nicht bindend ist. Der formelle Austritts-Antrag muss nun von der Regierung oder vom Unterhaus gestellt werden. Die Verhandlung soll im Oktober stattfinden.
Setzt sich die Auffassung durch, dass nur das Parlament den Antrag stellen kann, könnte es zu einer deutlichen Verzögerung kommen. Denn der Brexit-Streit zieht sich auch durch die Fraktion der regierenden Konservativen. Eine Mehrheit für den Brexit-Antrag wäre zurzeit zumindest fraglich, auch wenn viele Abgeordnete sagen, sie würden das Referendum respektieren.
Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent der Briten hatte sich für den EU-Austritt Großbritanniens ausgesprochen.
stu/gri/kle (afp, dpa, rtr)