Unabhängig: der Adolf Grimme-Preis
4. April 2014Deutsche Welle: Herr Kammann, was werden Sie am meisten vermissen, wenn Sie demnächst (1. Mai 2014) Ihren Job beim Grimme-Institut aufgeben?
Uwe Kammann: Die Diskussionen mit den Nominierungskommissionen und mit den Jurys. Das ist immer sehr intensiv gewesen. Es ist wie ein nachgeholtes Fernsehjahr im Geschwindeschritt. Und es ist ganz wunderbar zu sehen, wie Juroren manchmal mit festen Meinungen in die Diskussion reingehen und dann nach der Argumentation der Anderen ihre Position verändern und dann auch so abstimmen, obwohl sie anfangs ganz anderes im Sinn gehabt haben. Dieser intensive Diskurs, dieser Prozess, ist für mich das schönste.
Inwieweit war der Job auch mit der Pflicht Fernsehen zu gucken, verbunden?
Ich bin eigentlich immer noch verliebt in das Fernsehen. Es ist das Medium, das mich schon als Jugendlicher begeistert hat. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, da gab es kein Kino, kein Theater. Das Fernsehen war da wirklich das sprichwörtliche Fenster zur Welt. Da habe ich viel gelernt, übrigens auch im Radio. lnsofern gucke ich immer noch gern fern. Es gibt viele Formate, die nicht meine Lieblingsformate sind, da gibt es einige in der Unterhaltung, die ich eher pflichtgemäß angeschaut habe. Aber das muss man machen, um vernünftig drüber zu reden.
Wir haben das ja bei der Diskussion über "Das Dschungelcamp" erlebt, das bei uns nominiert worden war (im Jahr 2013, Anm. der Red.). Das hat dann sehr viel Empörung hervorgerufen. Viele kannten die Sendung überhaupt nicht und haben dann einfach - auf Teufel komm raus - dazu etwas gesagt. Das geht natürlich nicht. Die Aufgabe des Grimme-Instituts ist es ja, sehr genau hinzuschauen und kritisch zu fragen, was ist an den Sendungen dran? Wo sind ihre hervorragenden Qualitäten und die positive Eigenschaften? Oder eben auch: die nicht vorhandenen Qualitäten.
Die Auszeichnungen dieses Jahr - sind die typisch für die Entwicklung der letzten Jahre? Gibt es besondere oder auffallende Entwicklungen?
Das ist immer schwierig, solch große Tendenzen zu nennen. Es ändert sich immer viel. Was in einem Jahr scheinbar 'en vogue' ist, steht im nächsten Jahr schon wieder im Hintergrund. Was man vielleicht generell sagen kann: Fernsehen ist auch im Informationsbereich unterhaltender geworden, man versucht dort leicht satirische Töne zu bringen.
Wie sieht es bei den anderen Formaten aus?
Die großen Dokumentationen sind weiter da. Es wird ja oft behauptet, die gäbe es nicht mehr. Stimmt nicht! Es gibt viele 90-Minüter, leider laufen die oft zu nachtschlafender Zeit. Aber da ändert sich ja jetzt der Organisationsrahmen des Fernsehens. Die sind in den Mediatheken online zu sehen.
Es gibt weiter sehr schöne Fernsehfilme. Das ist ohnehin eine Stärke des deutschen Fernsehens. Da sind wir in der Welt an der Spitze. Im Gegensatz zu den USA sind es hier eher die einzelnen Fernsehspiele. Sicherlich auch der Krimi - in meinen Augen ein wenig inflationär. Aber trotzdem gibt es immer noch großartige Filme.
In der Unterhaltung ist es das selbstironische Fernsehen: Man nimmt sich selbst auf den Arm, man macht Jux. Man nimmt Dada-Elemente, viel Satire. Diese Formen sind besonders stark. Und ebenso stark, das haben auch die vergangenen Jahre so gezeigt, war die erzählende Unterhaltung. Da sind auch sehr viele frische Formate entstanden, die auch diejenigen Lügen strafen, die sagen, es gebe nun gar nichts Positives in Deutschland, was mit Serien verbunden wäre.
Wie wichtig ist der Grimme-Preis heute für Deutschland? Auch im Vergleich mit den großen populären Fernsehpreisen?
Der Grimme-Preis ist kein Preis von Glamour und großer Gloria, der mit dem Roten Teppich verbunden ist. Der Grimme-Preis ist ein Arbeitspreis, ein Werkstattpreis. Er wird wesentlich gekennzeichnet durch den sehr sorgfältigen Sichtungs- und Bewertungsprozess. Für 60 Fachleute bedeutet das, mehrere Wochen hier im Institut zu sein. Das gibt es bei keinem anderen Preis. Er hat auch eine besondere Art der Transparenz, weil wir viel ausführlichere Begründungen zu unseren Preis-Sendungen schreiben und veröffentlichen.
Wir sind ein Preis, der sich auf das Programm konzentriert - nicht so wie bei der Goldenen Kamera oder dem Bambi, wo internationale Stars eingeladen werden, die einen Preis für irgendeine Fantasieleistung bekommen. Und das wichtigste: der Grimme-Preis ist absolut unabhängig.
Wie sieht das Verhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendungen aus. Bei den Preisverleihungen schneiden die privaten ja meist sehr schlecht ab. Ist es richtig, dass die öffentlich-rechtlichen - bei aller Kritik - doch insgesamt viele gute Formate anbieten?
Ja, das muss man absolut so sagen. Das Leistungsvermögen der beiden Systeme ist doch sehr unterschiedlich. Die privaten Sender investieren kaum etwas in Eigenproduktionen. Insofern sind die Formate fast gar nicht mehr vorhanden, so dass man sie auch nicht neben die anderen Sendungen stellen kann, um zu vergleichen.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird sehr verkannt. Es wird sehr oft vordergründig geschmäht. Tatsächlich ist es doch so: Wenn man die Summe nimmt, was die Öffentlich-Rechtlichen herstellen, gibt es sehr viel und sehr gute Qualität. Man muss nur bereit sein, als Zuschauer außerhalb der beiden sogenannten Hauptprogramme zu schauen.