Griechische Justiz klagt Journalisten an
30. Oktober 2012Kostas Vaxevanis, streitbarer Journalist, einstiger Kriegskorrespondent und derzeit Herausgeber des Athener Politmagazins "Hot Doc" wirbelte am Wochenende (27.-28.10.2012) Griechenland durcheinander, indem er die Namen mutmaßlicher Kontoinhaber in der Schweiz publizierte. Alle Namen stammen von der berüchtigten "Lagarde-Liste", benannt nach Christine Lagarde, der ehemaligen französischen Finanzministerin und heutigen Chefin des Internationalen Währungfonds (IWF), sagt Vaxevanis. Sie enthält Namen und Bankdaten griechischer Kontoinhaber bei der Schweizer Filiale der Großbank HSBC und war offenbar Teil des Datenfundus, den die französische Regierung bei einem Mitarbeiter der Bank gekauft hatte. 2010 überreichte Lagarde die Liste ihrem griechischen Amtskollegen Giorgos Papakonstantinou.
Im Labyrinth der griechischen Bürokratie
Anschließend verschwanden die Bankdaten im Labyrinth der Bürokratie. Papakonstantinou sagt heute, er könne sich nicht mehr erinnern, wem er die Liste übergeben habe. Sein Nachfolger und Vorsitzender der sozialistischen PASOK-Partei, Evangelos Venizelos, erklärt, er habe die Liste auf einem USB-Stick gespeichert und nach dem jüngsten Regierungswechsel dem neuen Ministerpräsidenten Antonis Samaras zukommen lassen. Finanzminister Jannis Stournaras sagt, er wisse davon nichts und habe eine Kopie der Original-Liste aus Frankreich erbeten. Doch "zu diesem Thema gibt es keine offizielle Korrespondenz zwischen Griechenland und Frankreich", lässt der konservative Außenminister Dimitris Avramopoulos verlauten.
Fragen über Fragen
Da wundern sich die Griechen: Wie kann es sein, dass ein einfacher Journalist die berüchtigte Liste auffindet, aber die mächtigsten Politiker des Landes einfach nicht darankommen? Oder war das vielleicht gar nicht die echte "Lagarde-Liste", sondern möglicherweise eine gekürzte oder, schlimmer noch, eine manipulierte Version?
Vaxevanis selbst erklärt, die bloße Namensnennung einer Person sei ja nicht unbedingt als Beleg für Steuerhinterziehung oder ähnliche Delikte zu verstehen. Im Klartext: Wer auf der Liste steht, ist oder war einmal ein Kunde bei der Schweizer Filiale der HSBC. Das soll aber nicht automatisch heißen, dass er unversteuertes Geld in der Schweiz deponiert hat. Schließlich herrscht in Griechenland freier Kapitalverkehr und jeder darf sein Geld in die Schweiz oder in ein anderes Land schicken - vorausgesetzt, das Geld stammt aus legalen Einnahmequellen und wird ordnungsgemäß versteuert.
Selbstjustiz eines Einzelkämpfers?
Wenn das so ist, hätten die zuständigen Behörden oder interessierte Journalisten nicht ausführlicher recherchieren müssen, bevor die Namen publiziert und dadurch alle Kontoinhaber pauschal als Steuersünder an den Pranger gestellt werden? "Bankgeschäfte verdienen doch keinen Datenschutz", erklärt Vaxevanis selbst. "Es kann doch nicht angehen, dass eine solche Liste einfach verheimlicht wird, während bei jeder Oma in Griechenland die Rente gekürzt wird", klagte der Athener Journalist.
Die Staatsanwaltschaft sieht das offenbar anders: Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung der angeblichen "Lagarde-Liste" wurde Vaxevanis am Sonntag (28.10.2012) vorübergehend festgenommen und wird nun vor Gericht gestellt. Ihm werden ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen sowie eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen vorgeworfen.
Fragwürdige Unterstützung
Die Anwälte von Vaxevanis halten dagegen und erklären, einige der auf der Liste genannten Konteninhaber seien bereit, als Verteidigungszeugen für ihren Mandanten aufzutreten. Unterstützt wird der renommierte Journalist auch von der Linksopposition. Zwei Abgeordnete der "Radikalen Linken" begleiteten den "Hot Doc"-Herausgeber sogar zum Staatsanwalt, um ihn demonstrativ zu unterstützen.
Für so manche Kollegen von Vaxevanis hat diese Solidaritätsbekundung einen seltsamen Beigeschmack: "Damit macht man unserem Berufsstand keine Ehre", erklärt der Journalist Jannis Pantelakis im TV-Sender Skai. "Auch wenn wir zu Unrecht verfolgt würden, sollten wir nicht zulassen, dass Parteien jeglicher Couleur als unsere Beschützer auftreten", klagt Pantelakis.