Griechenlands Geldnot wird Gipfelthema
19. März 2015Es wird wohl eine der gefürchteten Nachtsitzungen geben im Brüsseler Ratsgebäude: Jedenfalls soll das Sondertreffen zwischen dem griechischen Premier Alexis Tsipras, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande, EZB-Chef Mario Draghi, EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker und dem Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, nach Ende des normalen EU-Gipfelprogramms an diesem Donnerstag stattfinden. Es war Tsipras selbst, der um dieses Gespräch "auf Chefebene" gebeten hatte, um eine politische Lösung für die akuten Zahlungsprobleme seines Landes herbeizuführen.
Ob einer der Beteiligten dabei das Scheckbuch zücken wird, ist zu bezweifeln. Jedenfalls nicht, wenn es nach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geht: Er nannte in Berlin die Zusammenarbeit Griechenlands mit den sogenannten drei Institutionen - Europäische Union, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) - ein Trauerspiel, in dem es zunehmend schwer werde, zu Lösungen zu kommen: "Daran werden auch alle Treffen, auf welcher Ebene, nichts ändern."
Auch der IWF soll nach einem Bericht in der griechischen Zeitung "Ekathimerini" diese Analyse teilen: Griechenland sei nach Aussagen von IWF-Vertretern der am wenigsten hilfreiche Klient in der Geschichte der Einrichtung. Experten aller drei Institutionen sollen sich darüber beklagt haben, dass griechische Beamte die Bedingungen des verlängerten Rettungspaketes nicht einhielten und nicht mit den Gläubigern zusammenarbeiteten. Seit über einer Woche versuchen sie erneut in Athen den Sachstand zu ermitteln, nachdem die Regierung Tsipras der Gruppe zunächst die Tür gewiesen hatte. Da Finanzminister Yanis Varoufakis in Brüssel aber keine Zahlen zum griechischen Haushalt auf den Tisch legte, schickten seine Kollegen in der Eurogruppe das Expertenteam (vormals "Troika") wieder an die Arbeit.
Wann geht in Athen das Geld aus ?
Nach wie vor wird darüber gerätselt, wie hoch Griechenland das Wasser tatsächlich am Hals steht. Am Mittwoch verkaufte die Regierung erneut kurzlaufende Staatsanleihen für 1,3 Millionen Euro. Das ist ihre einzige Möglichkeit, am Kapitalmarkt derzeit noch Geld zu leihen; gekauft werden diese "T-Bills" nur von griechischen Banken. Und die Regierung muss dafür über drei Monate 2,7 Prozent Zinsen zahlen. Zum Vergleich konnte Spanien, das seine Haushaltsprobleme in den Griff bekommen hat, vor kurzem Anleihen zu quasi null Prozent Zinsen ausgeben.
Der griechische Regierung ging es wohl darum, zunächst diesen Freitag zu überstehen: Da muss Athen 335 Millionen Euro an den IWF zurückzahlen und gleichzeitig werden 1,6 Milliarden an Staatsanleihen fällig. Sollte das mit Hilfe der neu aufgenommenen Schulden noch gelingen, ist die nächste Frage: Kann Athen ca. 1,5 Milliarden für Löhne und Renten in der nächsten Woche aufbringen? Die Regierung hat bereits den Pensionsfonds, die Sozialkassen und sogar die EU-Beihilfen für Bauern angezapft, um ihre Finanznot zu überbrücken.
Und selbst wenn Athen den März noch übersteht, dann geht es mit den Zahlungsdaten im April weiter: Im Wochenrhythmus werden erneut Anleihen im Wert von insgesamt 3,8 Milliarden fällig, sowie eine Rate für den IWF von 446 Millionen Euro (Quelle : Bruegel, Silvia Merler). Im Mai lässt die Belastung dann etwas nach, um im Juli wieder steil anzusteigen. Dabei geht es hier nur um Schulden am Finanzmarkt und beim Währungsfonds, Zins- und Rückzahlungen an die EU sind noch über Jahre ausgesetzt.
Trotz der akuten Geldnot, weggebrochener Steuereinnahmen und Stillstand beim Wirtschaftswachstum - Premier Tsipras bietet seinen Gläubigern weiter die Stirn. Am Mittwoch beschloss das griechische Parlament ein 200 Millionen teures Hilfspaket für Arme, die kostenlosen Strom und Essenmarken erhalten sollen. Er hatte diese Maßnahme nicht vorher mit den Geldgebern in der Eurogruppe abgesprochen, was gegen die Regeln des EU-Hilfsprogramms verstößt und einmal mehr für Ärger sorgte. Tsipras aber erklärte trotzig in Athen: "Wir werden nicht von dem abrücken, was wir versprochen haben, und was die Menschen und die Wirtschaft brauchen, um zu atmen."
Tsipras will vom Gipfel Finanzhilfe
Diese Luft will sich der griechische Premier nun auf dem EU-Gipfel verschaffen. Eine der Forderungen soll sich dabei wohl an EZB-Chef Draghi richten: Er solle das Limit für die Ausgabe von T-Bills, also der kurzfristigen Staatsanleihen, ausweiten. Die EZB lehnt das ab, weil die griechischen Banken, die die Bonds kaufen, nur noch am Tropf der "ELA Notkredite" aus Frankfurt überleben können. Die Zentralbank würde also durch die Hintertür den griechischen Staatshaushalt finanzieren, was nach den Regeln der Eurozone verboten ist.
Außerdem wird erwartet, dass Tsipras darauf dringen wird, dass so schnell wie möglich Geld nach Athen überwiesen wird. Ob er dabei an eine vorzeitige Auszahlung der Milliarden aus dem verlängerten Hilfspaket denkt, ist offen. Denn nach wie vor unternimmt seine Regierung nichts, um die damit verbundenen Auflagen auch nur ansatzweise zu erfüllen. Gleichzeitig hat er auch noch keinen Plan vorgelegt, der ersatzweise die Gläubiger davon überzeugen könnte, dass die griechische Wirtschaft gesunden und wieder wachsen könnte.
Immer offener wird über einen Grexit gesprochen
Wie geht es weiter? Eurogruppenchef Dijsselbloem hat bereits einen neuen Lösungsvorschlag ins Spiel gebracht: In Griechenland könnten Kapitalverkehrskontrollen verhängt werden, erklärte er. "Wir haben untersucht was passiert, wenn ein Land in tiefe Probleme gerät - das muss nicht unbedingt gleich den Ausstieg (aus dem Euro) bedeuten", sagte Dijsselbloem einem niederländischen Radiosender. Im Fall der Rettung von Zypern vor dem Staatsbankrott habe man 2013 radikale Maßnahmen eingeleitet, "Banken wurden für eine Weile geschlossen und der Kapitalfluss an Bedingungen geknüpft, man kann sich da verschiedene Szenarien ausdenken." Denn die Geldnot in Athen ist auch durch den massiven Kapitalabfluss von den Banken in den letzten drei Monaten mitverursacht - viele Griechen schaffen ihre Euros weg.
Abgesehen aber von solchen Vorschlägen ändert sich in Brüssel die Rhetorik in punkto "Grexit" oder "Grexident" (zufälliger Ausstieg aus der Eurozone): Nicht mehr nur Wirtschaftsforscher, Banker und Wolfgang Schäuble sehen die Gefahr, dass Griechenland eventuell den Euro verlassen muss, auch EU-Währungskommissar Pierre Moscovici schloss es jetzt in einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" nicht mehr aus. Bisher war so etwas nur hinter verschlossenen Türen ausgesprochen worden, jetzt entsteht der Eindruck, dass sich die Institutionen auf den Fall der Fälle vorbereiten.