Griechenland wird das neue Zypern
29. Juni 2015"Es gibt überhaupt keinen Anlass zur Beunruhigung", sagte ein Sprecher der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Montag. An den europäischen Börsen sah man das zunächst anders, überall brachen die Kurse deutlich ein - um bis zu fünf Prozent. Doch im Tagesverlauf entspannte sich die Lage wieder, die Indizes erholten sich.
"Die Kapitalmärkte geben nach, aber ein Crash ist das sicher nicht", sagt Robert Halver, Analyst der Baader Bank in Frankfurt. "Schließlich kam der Schock, dass eine Pleite Griechenlands droht und das Land eventuell die Eurozone verlassen muss, nicht über Nacht."
Geschockt waren zumindest die Euro-Finanzminister, als die griechische Regierung ankündigte, ein Referendum abzuhalten. Wobei auch das nicht über Nacht kam. Schon im April hatte Alexis Tsipras gesagt, er werde notfalls das Volk entscheiden lassen. Richtig ernst genommen wurde er damals nicht.
Das Timing nun ist allerdings problematisch. Schließlich läuft das Hilfsprogramm am Dienstag aus. Die Griechen baten um eine Verlängerung bis zum Referendum am Wochenende. Die Geldgeber lehnten ab.
Vorbild Zypern
Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, weigerte sich die Europäische Zentralbank (EZB), den Rahmen der Notkredite für griechische Bank auszuweiten. So zwang sie die Griechen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen.
Die EZB habe keine andere Wahl gehabt, so Halver zur DW. "Die EZB darf nicht in den Ruf kommen, dass sie sich einfach über politische Verhandlungen hinwegsetzt, indem sie sagt, 'Wir finanzieren Griechenland weiter'. Das ist nicht ihr Mandat und sogar illegal."
Trotzdem ist das Handeln der EZB auch handfeste Politik. Denn mit ihrer Möglichkeit, Notfallkredite nicht zu erhöhen oder sogar ganz zu streichen, kann die Zentralbank enormen Druck ausüben, sagt Johannes Mayr, Volkswirt der Bayerischen Landesbank.
"Der Fall Zypern hat gezeigt, dass die EZB hier einen ganz entscheidenden Hebel in der Hand hat, um die Regierungen zum Verhandlungstisch zu zwingen und Reformmaßnahmen zu beschließen", so Mayr im DW-Gespräch.
Die Parallelen zu Griechenland sind deutlich. Auch in Zypern zogen sich die Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern lange hin, im März 2013 lehnte das Parlament die Sparmaßnahmen schließlich ab.
Darauf drohte die EZB, alle Notkredite zu kappen. Nur einen Tag später war der Widerstand der Volksvertreter gebrochen. Sie akzeptierten den Sparplan und setzten ihn auch um.
Soweit ist es in Griechenland noch nicht. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die EZB die Notkredite ganz streicht, sollten die Griechen am Wochenende mit Nein stimmen.
Kaum Geld von der Bank
Bis dahin gelten erst einmal Kapitalverkehrskontrollen, um einen Ansturm auf die Banken zu verhindern. Auch hier heißt das Vorbild Zypern. Zwei Jahre gab es hier Kontrollen, erst vor kurzem wurden sie fast vollständig aufgehoben.
Griechen dürfen an Geldautomaten nur noch höchstens 60 Euro pro Tag abheben. Einschneidender aber sind die Beschränkungen für Überweisungen ins Ausland und innerhalb Griechenlands.
"Überweisungen zwischen Haushalten, Unternehmen und Banken werden dadurch erschwert", sagt Johannes Mayr, Volkswirt der Bayerischen Landesbank. "Das ist eine deutliche Belastung für die ohnehin schon schwache Konjunktur."
Und auch eine Lehre, sich nicht gegen die Geldgeber zu stellen, die - so sehen sie es selbst - dem Land schon sehr weit entgegengekommen sind, um es vor dem Kollaps zu retten.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras jedenfalls lehnt den Sparplan ab und fordert die Griechen auf, dies ebenfalls zu tun. Doch Johannes Mayr und sein Analystenteam glaubt nicht, dass die Griechen Tsipras in diesem Punkt folgen.
"Wir glauben daran, dass die griechische Bevölkerung am Ende knapp Ja zu diesen Reformen sagen wird", so Mayr. "Denn die Zustimmung zum Euro ist im Land immer noch sehr hoch. Außerdem wird jetzt die Wirkung der Kapitalverkehrskontrollen negativ spürbar."
Volkes Stimme
Worüber genau abgestimmt werden soll, ist noch offen. Mayr vermutet, dass es wohl der letzte Vorschlag der Geldgeber sein wird, über den am vergangenen Wochenende abschließend verhandelt werden sollte - auch wenn er offiziell gar nicht mehr gilt.
Sollten die Griechen beim Referendum allerdings wirklich mit Nein stimmen, rücken Staatspleite und Grexit näher. Das wäre vielleicht bedauerlich, aber für den Rest der Eurozone nicht tragisch, glaubt Robert Halver.
"Eine Bankenkrise droht nicht, weil die Banken kaum noch in Griechenland investiert sind", so der Analyst der Baader Bank. "Außerdem haben wir Rettungsschirme, und die EZB würde alles, wirklich alles tun, damit der griechische Krisenvirus nicht auf andere Euroländer überspringt."
Also alles kein Problem für die Eurozone? Nicht ganz. "Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren", sagt Nicolaus Heinen von Deutsche Bank Research.
Ob der rechte Front National in Frankreich oder das linke Bündnis Podemos in Spanien - es gibt genug Parteien, die versuchen werden, aus der Entwicklung in Griechenland politisches Kapital zu schlagen.