Protokoll der Griechenland-Krise
29. Juni 20152009
Die Regierung unter Georgios Papandreou offenbart, was sich in den EU-Institutionen in Brüssel niemand vorstellen konnte, aber auch niemand kontrolliert hatte: Griechenland hat 350 Milliarden Euro Schulden. Das entspricht dem 160-fachen Bruttoinlandsprodukt. Das Budgetdefizit liegt statt der erlaubten maximal drei Prozent bei 12,7 Prozent. Im Jahr 2009 spricht sich die deutsche Regierung noch vehement gegen Griechenland-Hilfen aus.
2010
Die Wirtschaftskraft Griechenlands schrumpft um fünf Prozent. Athen erhält ein erstes finanzielles Hilfspaket. Es umfasst insgesamt 110 Milliarden Euro. Davon kommen 30 Milliarden vom Internationalen Währungsfonds (IWF), mehr als acht Milliarden Euro aus Deutschland. Im Eiltempo hatten Bundestag und Bundesrat ein Gesetz zur Rettung Griechenlands verabschiedet. Gegner der Hilfe aus Deutschland scheitern mit ihrem Antrag auf Ablehnung vor dem Bundesverfassungsgericht. Dafür einigen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU auf einen Krisenmechanismus mit einem Euro-Schutzschirm (EFSF), dessen maximaler Garantierahmen rund 780 Milliarden Euro umfasst. Deutschland haftet für maximal 211 Milliarden Euro.
2011
Griechenlands Lage verschlechtert sich weiter. Die Wirtschaftskraft sinkt um rund sieben Prozent. Mehrere Ratingagenturen stufen die Kreditwürdigkeit deutlich negativer als bisher ein. Gegen die mit den Finanzhilfen verbundenen Sparauflagen gibt es heftige Proteste, dabei kommen drei Menschen ums Leben. Ein erster Generalstreik bringt die Regierung zusätzlich unter Druck. Eine Immobiliensteuer und Verkäufe letzter Geldreserven werden erwogen, dann soll ein Schuldenschnitt helfen. Private Gläubiger sollen auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten. 100 Milliarden Euro neuer Kredite und 30 Milliarden zusätzlicher Kreditabsicherungen werden auf EU-Sondergipfeln beschlossen. Giorgos Papandreou, der griechische Ministerpräsident und langjährige Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Pasok, will über die Sparauflagen in einem Referendum abstimmen lassen, verzichtet nach Protesten der Geldgeber darauf und tritt von seinem Amt zurück. Der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Loucas Papademos, übernimmt die Übergangsregierung.
2012
Griechenlands Wirtschaft verzeichnet ein Minus von 6,4 Prozent. Das zweite Hilfspaket für das Land beläuft sich auf 130 Milliarden Euro. Im deutschen Bundestag gibt es dafür schon erkennbar weniger Zustimmung. Die EU-Finanzminister geben einen großen Teil der neuen Kredite frei und halbieren für das erste Rettungspaket die Zinsen um die Hälfte. Im Gegenzug erwarten sie harte Sparmaßnahmen in Griechenland. Die griechischen Bürger quittieren das bei den Wahlen damit, dass sie dem Linksbündnis Syriza und dessen Ablehnung der Sparmaßnahmen mit einem kräftigen Stimmenzuwachs zu einem politischen Platz zwei verhelfen.
Neuer Regierungschef wird Antonis Samaras von der Partei Nea Demokatia. Beobachter attestieren ihm wenig Reformwillen. Die Krise hält an, trotz Verfolgung von Steuerbetrügern und Beschlagnahmung von Auslandskonten reicher Griechen. Der Verdacht wächst, Griechenland könne bald pleite und zudem nicht das einzige Euroland in finanziellen Schwierigkeiten sein. Dem tritt der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, mit dem Satz entgegen: "Wir werden alles tun, um den Euro zu erhalten." Das beruhigt die Finanzmärkte zunächst. Draghi arbeitete drei Jahre lang in London für das Investmenthaus Goldman Sachs, das die griechische Regierung bis 2009 beraten hat.
2013
In Griechenland schrumpft die Wirtschaftskraft um weitere 3,9 Prozent. Die Schulden betragen 160 Prozent dessen, was Griechenland im Jahr erarbeiten kann. Die Arbeitslosigkeit steigt. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen sind ohne Job. Die Abwehr gegen die Fachleute der Geldgeber, der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), nimmt zu. Die Sparmaßnahmen reichen den Kontrolleuren nicht aus. Kritiker in Griechenland stellen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Nazi-Uniform dar, weil sie sie für die treibende Kraft hinter den Reformforderungen der EU halten. Die Gegenwehr wird so heftig und die Situation so unübersichtlich, dass die EU-Troika einen geplanten Prüftermin auf das nächste Jahr verschiebt. Das neue Motto lautet: "Gebt Griechenland mehr Zeit." Das griechische Parlament beschließt Maßnahmen gegen die Krise, darunter Steuererhöhungen und die Entlassung von mehr als zehntausend Beamten.
2014
Endlich ein Hoffnungsschimmer. Griechenlands Wirtschaft verzeichnet ein kleines Wachstum von immerhin 0,6 Prozent. Es gelingt den Griechen sogar, zum ersten Mal am freien Kapitalmarkt Kredite aufzunehmen. Ministerpräsident Antonis Samaras ist sich sicher: "Wir brauchen keine neuen Hilfspakete." Aus den bereits beschlossenen Hilfspaketen werden rund acht Milliarden Euro ausgezahlt, die bisher blockiert waren. Kurz vor dem Jahreswechsel scheitert die Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Parlament - für Griechenland wird daraus ein politischer Wendepunkt.
2015
Die somit notwendig gewordene Neuwahl am 25. Januar gewinnt das Linksbündnis Syriza. Parteichef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Janis Varoufakis fühlen sich ihrem Wahlversprechen verpflichtet, die Sparauflagen der internationalen Geldgeber zu entschärfen. Doch ihnen kommen neue Probleme dazwischen: Die Steuereinnahmen sinken. Haushaltsziele werden nicht eingehalten. Die Regierung Tsipras schlägt einen Zickzackkurs ein: Einen Schuldenschnitt und die Verlängerung des Hilfsprogramms lehnt sie zunächst ab. Dann sagt sie doch zu. Die Bedingungen der EU: Griechenland soll eine Liste von Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzlage einreichen. Darüber kommt es zum anhaltenden Streit bis zum Abbruch der Verhandlungen.
Am Dienstag muss die griechische Regierung der EZB 1,5 Milliarden Euro Kredite zurückzahlen. Dafür hätte sie die sieben Milliarden Euro aus dem jüngsten Hilfspaket benötigt, die nach dem neuesten Verhandlungsstand nicht mehr ausgezahlt werden.