Griechenlands verlorene Saison
18. August 2020Der Schein trügt im nordgriechischen Psakoudia. Der kleine Ort liegt direkt an der Küste der Ferienregion Halkidiki. Am Wochenende füllt sich der Strand, doch eben nicht mit den zahlungskräftigen Touristen aus dem Ausland, sondern Griechen. "San ti Halkidiki den exei", sagt man im nahegelegenen Thessaloniki. "So etwas wie Halkidiki gibt es nicht noch einmal" - mit Verweis auf die wunderschönen Strände, die grünen Wälder und das türkisfarbene Wasser.
Die Tage um den 15. August sind für die Griechen die Hauptferientage. Die Straßen der Großstädte sind wie leergefegt, während man die freien Tage kollektiv am Meer verbringt. "Das aber war es für 2020" , sagt Beachbar-Besitzerin Melissa. Sie steht am Tresen, ihr Mann beschäftigt den kleinen Enkel. "Wir hatten keinen einzigen Corona-Fall im Dorf, aber trotzdem ist niemand gekommen", beklagt sie die Lage. Nur 20 Prozent Auslastung in diesem Jahr, um 80 Prozent sei das Geschäft eingebrochen im Vergleich zu den Vorjahren. Trotzdem bemüht sie sich, optimistisch zu bleiben: "Hier hilft Einer dem Anderen. So hoffen wir, dass wir den Winter überleben. Zumindest dieses Jahr. Wie es im nächsten Jahr laufen soll, weiß ich nicht."
Enttäuschte Hoffnungen
Eigentlich hatte man sich den Sommer hier anders vorgestellt. Durch die schnelle Reaktion der griechischen Regierung konnte die Ausbreitung des Virus im März und April auf ein Minimum reduziert werden. Für die Griechen ein Anlass, stolz zu sein. Mit viel Geduld ließ man die vielen Maßnahmen über sich ergehen, trug Maske, hielt Abstand im Supermarkt, blieb zuhause. Entwicklungsminister Adonis Georgiadis sprach diesbezüglich von einem "Rebranding" des Landes. Griechenland sei das schwarze Schaf Europas gewesen - und nun Vorbild.
Die ausländische Presse kürte das Land zu einem der favorisierten Ziele für Touristen während des Corona-Sommers. Doch auch am 1. Juli, als die Flughäfen teilweise den internationalen Luftverkehr wieder aufnahmen, blieben die sonst so gut gefüllten Wartehallen leer. Die erhofften Touristenströme blieben aus. "Wir sind trotz Corona gekommen", erklärt eine Berlinerin, die mit zwei Freundinnen in Psakoudia den Strand genießen will. Von etwaigen Problemen bei der Einreise wollte sie sich nicht einschüchtern lassen. "Bei uns lief alles glatt am Flughafen" erzählt sie im Gespräch mit der DW.
Zweite Infektionswelle in Griechenland?
Dabei aber gab es durchaus Komplikationen. Für die Einreise nach Griechenland ist ein QR-Code erforderlich, mit dem die Reisenden registriert werden. Gerade Anfang Juli waren viele Touristen darüber nicht informiert. Andere berichteten von Problemen, das elektronische Einreiseformular auszufüllen. Dramatischer war die Situation an den Grenzen zu den Nachbarländern Bulgarien und Albanien. Hier staute sich der Verkehr und Menschen warteten nicht selten mehrere Tage auf die Einreise. "Ich habe 100 Euro für einen Antikörpertest bezahlt", erzählt ein Tourist aus Bulgarien, der für fünf Tage ins nordgriechische Perea gekommen war. An der Grenze habe man ihn dann noch einmal getestet und er musste 24 Stunden im Hotel bleiben.
Die Angst war groß, dass Touristen das Virus nach Griechenland bringen und die Anstrengungen zur Eindämmung von Covid-19 vergeblich waren. Doch zur Zeit steigen auch in Griechenland die Infektionszahlen, ebenso wie in vielen anderen Staaten. Dies aber scheint nicht mit den Touristen zusammenzuhängen, die ins Land kommen. Eine Pressemitteilung der Aristoteles-Universtität in Thessaloniki legt nahe, dass auch vor der Grenzöffnung ein Anstieg erkennbar war.
Laut der Pressemitteilung vom 13. Juli habe ein interdisziplinäres Wissenschaftsteam regelmäßig die Konzentration des SARS-CoV-2-Virus in den Abwässern am Eingang der Kläranlage von Thessaloniki gemessen. Die Wissenschaftler sprachen von 'besorgniserregenden' Ergebnissen, die der entspannten Situation in den Krankenhäusern nicht entsprochen hätten. Nachdem das Virus im April in den Abwässern nicht nachweisbar war, hätten die Tests Anfang Juni ein anderes Bild gezeichnet. Dies führe zu der Annahme, "dass die Anzahl der asymptomatischen oder mäßig symptomatischen Fälle in der Stadtbevölkerung, die keine Krankenhausversorgung benötigen, wahrscheinlich erheblich zugenommen hat".
Inzwischen müssen Bars und Restaurants in Thessaloniki und den meisten Urlaubsregionen um Mitternacht schließen. Die Regierung bittet vor allem Jugendliche darum, das Virus ernstzunehmen und im Rausch des Sommers nicht die gesundheitlichen Risiken außer Acht zu lassen: "Sei nicht schuld an der nächsten Ansteckung", appellierte Premierminister Kyriakos Mitsotakis über den Nachrichtendienst Twitter an seine jungen Landsleute.
"Der Winter wird hart"
Bei vielen Griechen aber wiegen die wirtschaftlichen Sorgen schwerer als die Angst vor Corona. Das weiß auch Grigoris Tasios, Präsident des griechischen Hotelbundes. Auch in seinem Hotel in Psakoudia ist es leer in diesem Jahr. Er habe die Preise deutlich gesenkt, trotzdem blieben die Touristen aus: "Wir haben nur eine sehr geringe Auslastung. Im Juli waren es 30 bis 35 Prozent. Im August sieht es ein wenig besser aus, weil wir mehr Touristen aus dem Inland haben.”
Nichtsdestotrotz habe Corona den Tourismus in Griechenland stark beschädigt. "Wir rechnen mit Verlusten um die 15 Milliarden Euro im Vergleich zu 2019, als wir Einnahmen im Tourismus von 18 Milliarden Euro verbuchen konnten”, sagt Tasios. Man habe bereits den Mai und den Juni verloren und auch der Blick in die Zukunft verspreche nichts Gutes. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer der Branche würden um ihre Existenz bangen: "Wir sind im Dialog mit der Regierung und schauen, wie geholfen werden kann.”
Der Tourismus machte 2019 gut 20 Prozent des griechischen Bruttoinlandprodukts aus. Hinzu kommen die coronabedingt sinkenden Steuereinnahmen, wie überall in Europa. Viele Griechen bangen zurecht um ihre Existenz. 750 Milliarden Euro umfasst das Corona-Hilfspaket der EU. Für Athen sind 32 Milliarden Euro vorgesehen. Ob das Geld ausreichen wird, um die harten Verluste nicht nur aus dem Tourismus auszugleichen, wird sich zeigen. Fest steht: Sollte das kommende Jahr keine deutliche Verbesserung bringen, wird das die Finanzkrise der 2010er Jahre in den Schatten stellen.