Griechenland: Investitionen auf Kosten der Umwelt?
30. Oktober 2023"Verschwinden Sie hier!", schreit der orthodoxe Priester in der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes im nordgriechischen Ioannina. Er will nicht, dass Athanasios Bitsos, der Vorsteher des kleinen Dorfes Papingo, mit der Presse redet. Viele Einwohner von Papingo haben an diesem Morgen die 90-minütige Fahrt in die Provinzhauptstadt auf sich genommen, um bei der ersten richterlichen Anhörung eines Falles zugegen zu sein, der einen Riss durch die Dorfgemeinschaft verursacht hat. Unversöhnlich stehen sich die beiden Parteien hier gegenüber. Auch hier versucht der Dorfpriester, den Kontakt zwischen den Dorfbewohnern und den Medien zu unterbinden. Es wird deutlich, dass die Kirche in Griechenland auch im politischen Leben eine gewisse Macht ausübt. Der Grund für den Konflikt: ein groß angelegtes Bauprojekt des milliardenschweren Reeders Antonis Lemos vor den Toren Papingos. Einige Dorfbewohner sind sich sicher, dass die Baugenehmigungen für den Gebäudekomplex nie hätten erteilt werden dürfen.
Papingo gilt als eines der schönsten Dörfer Griechenlands. Seit kurzer Zeit gehört es zum UNESCO-Weltkulturerbe. Diese Auszeichnung ist mit strikten Verpflichtungen verbunden. Eingriffe, die sich auf die ästhetische Authentizität des Dorfes auswirken, sind nicht gestattet. Hinzu kommt, dass das Dorf von einem riesigen Naturschutzgebiet umgeben ist, das direkt an die Ortsgrenzen anschließt.
Für die Gegner des Bauprojekts steht fest: Das großzügige Privatanwesen von Antonis Lemos liegt eindeutig im geschützten Bereich, zumindest, wenn man sich an den bisher geltenden Karten orientiert. Somit sei weder der Bau des Gebäudekomplexes legal, noch die Konstruktion der Straßen, die notwendig waren, um Material und Maschinen zur Baustelle zu bringen. Die notwendigen Baugenehmigungen basieren auf einer neuen Karte, auf der die Ortsgrenzen augenscheinlich großzügiger verlaufen.
Berichtigung oder Vergrößerung?
Der Gastronom Spyros Tsoumanis begrüßt die Entwicklungen in Papingo. Nur weil das Dorf seinen traditionellen Charakter bewahrt habe, lebe man hier schon lange nicht mehr von der Landwirtschaft: "Wir haben hier nur noch den Tourismus", beklagt er. Dieser sei über die Jahre immer wichtiger geworden, ohne dass man die dazu nötige Infrastruktur angepasst hätte. Gemeinsam mit seinem Bruder Kostas betreibt er ein gutgehendes Restaurant im Dorf. Gerne würden sie ihre Küche vergrößern. Das geht aber nicht, da das Gelände, auf dem sie gern bauen würden, zwar direkt an ihr Haus grenzt, aber laut aktuellem Stadtplan außerhalb des Dorfes und damit im Naturschutzgebiet liegt.
"Unser ganzes Haus liegt laut Plan außerhalb des Dorfes. Aber wir haben nicht illegal gebaut, sondern hatten eine Genehmigung", erklärt Tsoumanis. Das treffe auch auf andere Gebäude im Dorf zu und sei generell ein Problem in Griechenland. Viele Ortsgrenzen seien ungenau, über Baugenehmigungen würde oft im Einzelfall entschieden. Nun stünden viele Gemeinden in Griechenland vor der Aufgabe, die Ortsgrenzen zu digitalisieren und endgültig festzulegen. Davon würden viele profitieren, auch sein Bruder und er. Die Unterstützer des Bauprojektes reden von der "Berichtigung der Dorfgrenzen" - nicht von einer Erweiterung. Das hat vor allem legale Gründe, denn für eine Erweiterung wäre ein Erlass der Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou notwendig.
Genehmigung durch die Hintertür?
Nikos Christodoulou, Cafébesitzer in Papingo, ist überzeugt: Die von den Behörden durchgeführte Berichtigung der Dorfgrenzen ist der Versuch, eine Vergrößerung des bebaubaren Gebietes durch die Hintertür zu erwirken. "Das ist alles von persönlichen Interessen gelenkt. Es gibt diejenigen, die sich persönliche Vorteile versprechen, und die, die keine Vorteile darin sehen", sagt Christodoulou. Er bemängelt vor allem die fehlende Transparenz von Seiten der Dorfverwaltung: "In so kleinen Orten muss bei solchen Entscheidungen doch die Dorfgemeinschaft zusammenkommen und abstimmen." Das sei jedoch nie passiert.
Mitten in der Pandemie habe der Dorfvorsteher Athanasios Bitsos unter Ausschluss der Öffentlichkeit alles beschlossen. Erst als die Bagger ihre Arbeit aufgenommen hätten, habe man von dem Projekt erfahren. Der Fall in Papingo steht symbolisch für einen ganzen Problem-Komplex in Griechenland: das undurchsichtige Verhalten von Behörden, der Verdacht der Bevorzugung zahlungskräftiger Investoren und jahrzehntelange Versäumnisse in der Verwaltung. Nikos Christodoulou glaubt nicht, dass der Bau überhaupt begonnen hätte, wenn die Dorfgemeinschaft in den Entscheidungsprozess mit einbezogen worden wäre.
Konflikt mit Behörden
Der Dorfvorsteher Athanasios Bitsos lehnt ein persönliches Gespräch mit der DW ab. Telefonisch teilt er kurz mit: "Diese Organisationen wollen uns aus unseren Häusern vertreiben." Damit meint er Umweltschutzorganisationen, die den Protest gegen das Bauprojekt und die neuen Ortsgrenzen mittragen. Die zuständige Behörde in Ioannina bestätigte auf Anfrage der DW schriftlich, dass die nötigen Baugenehmigungen vorlägen. Die Ortsgrenzen seien durch einen amtlichen Beschluss bereits 1990 festgelegt worden. Mit anderen Worten: Die Ortsgrenzen sind für die Baugenehmigungen nicht verändert worden, womit ein Erlass der Staatspräsidentin nicht notwendig wäre.
Die staatliche Umweltorganisation OFYPEKA widerspricht dieser Einschätzung und teilt der Behörde in einem Schreiben vom 15.09.2023 mit, dass die Baustelle eindeutig außerhalb der Ortsgrenzen liege. Der Oberste Gerichtshof Griechenlands beschäftigt sich bereits mit dem Fall. Die höchste juristische Instanz des Landes soll klären, ob die Bebauung rechtens ist oder nicht.
Strukturelle Probleme
Der Rechtsanwalt Panagiotis Galanis ist spezialisiert auf Umweltrecht und Stadtplanung - zwei Bereiche, die, wie im Fall von Papingo, in Griechenplan regelmäßig aufeinanderprallen. Gegenüber der DW erklärt er, Griechenland habe ein strukturelles Problem, wenn es um illegale oder willkürliche Bauvorhaben gehe. Das betreffe nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch eine immer noch vorherrschende Kultur, in der Umweltschutz kaum Platz finde. Anstatt willkürliche Bauten im Nachhinein zu legalisieren, wie es in der Vergangenheit immer wieder passiert sei, sollte man entsprechende Bauvorhaben vor der Realisierung abklären.
"Seit 2017 werden die Gesetze zur willkürlichen Bebauung stärker kontrolliert, doch in der Praxis zeigt dies bisher noch nicht richtig Wirkung, oder es dauert zu lange", so Galanis. Außerdem hätten viele Menschen kein Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Nicht selten komme es zu einem Konflikt zwischen Umweltschutz und dem Interesse an großen Investitionen.
"In den meisten Fällen, vor allem in der Krise, zeigt der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen eine Tendenz zugunsten des wirtschaftlichen Aufschwungs", so Galanis. Er fordert, dass Juristen und Bauingenieure besser ausgebildet werden, um solche Konflikte in Zukunft zu vermeiden.