Hindernislauf der Migration
6. Oktober 2021Nichts hat die Menschen aufhalten können: Weder die Verschärfung der Einreisebedingungen in den verschiedenen Ländern, noch die ungünstige Geographie, noch meteorologische Rückschläge, noch die Pandemie. Die Migration in Lateinamerika hat sich aufgrund von wirtschaftlicher Unsicherheit, Sicherheitsproblemen und politischen Krisen verstärkt. Allein die Situation in Venezuela hat mehr als fünf Millionen Migranten hervorgebracht, von denen die meisten (4,6 Millionen) von anderen Ländern der Region angenommen werden.
"Die Pandemie hat zwar viele Facetten unseres täglichen Lebens durcheinandergebracht, aber Konflikte, Unsicherheit und andere Gründe, die Menschen zur Flucht zwingen, haben nicht aufgehört. Tatsächlich ist die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Migranten in Nord- und Südamerika im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent gestiegen", erklärt William Spindler, Sprecher des UNHCR für Lateinamerika, gegenüber der DW.
Innerhalb der Region lassen sich zwei Hauptbewegungen ausmachen: Die eine führt nach Norden, durch Zentralamerika, durchquert Mexiko und endet in den Vereinigten Staaten. Die andere ist intraregional, das heißt, sie findet zwischen den Ländern Lateinamerikas und der Karibik statt. In den vergangenen Jahren waren diese Migrationswege vor allem von Venezolanern geprägt, aber auch Kolumbianer und Menschen anderer Nationalitäten sind vertreten.
Grenzen: Etappenziele in einem Hindernislauf
Die Grenzen zwischen den Ländern sind Etappenziele auf der Reise der Migranten. Wie in einem Hindernisparcours müssen sie überwunden werden, um die Grenzen zwischen den Ländern zu überschreiten und dem endgültigen Ziel näher zu kommen. Die Verschärfung der Einreisebedingungen durch die einzelnen Staaten sowie die pandemiebedingten Einschränkungen haben die Migration nicht eingedämmt, sondern die Reise nur schwieriger gemacht.
Wenn Auswanderer die Grenze nicht an legalen Übergängen passieren können, nutzen sie illegale Grenzwege, die sogenannten "Trochas", oft unter Lebensgefahr. "Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs, nutzen irreguläre Grenzübergänge und durchqueren Flüsse, Dschungel, Hochgebirgspässe und Wüsten, sowie das Meer in kaum seetüchtigen Booten. Viele verlieren auf diesen Überfahrten ihr Leben oder setzen sich ernsten Gefahren aus, darunter Menschenhandel und Schmuggel, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Arbeitsausbeutung und Erpressung durch Banden und kriminelle Gruppen", warnt UNHCR-Sprecher William Spindler.
Die Schleuser, auch "Coyotes", "Chuteros", "Chamberos" oder "Trocheros" genannt, werden dafür bezahlt, dass sie die Migranten auf der Route begleiten. Sie bieten ihre Dienste für teils hohe Geldbeträge an, die die Menschen in ihrer Verzweiflung zahlen. Trotzdem gelingt es ihnen in vielen Fällen nicht, ihr Ziel zu erreichen.
"Die einzigen sicheren Übergänge sind die offiziellen"
Einige Übergänge sind für ihre besondere Gefährlichkeit bekannt. In Lateinamerika überqueren viele Migranten die kolumbianisch-panamaische Grenze durch den Tapón del Darién ("Darién-Hindernis"), ein sumpfiges Dschungelgebiet mit zahlreichen Gefahren. Über diese natürliche Barriere zwischen den beiden Ländern gibt es keine Landverkehrswege.
"Der Tapón del Darién ist der gefährlichste Teil der Strecke in die Vereinigten Staaten. Grundsätzlich müssen alle Migranten, die nach Mittelamerika wollen, diese Grenze überqueren. Es gibt kriminelle Banden, die Migranten überfallen, sexuelle Übergriffe und Sturzfluten, die Menschen mitreißen und ertrinken lassen. Vielen Migranten geht der Proviant aus. Auf ihrem Weg durch den Dschungel können sie verletzt oder von der Gruppe, mit der sie unterwegs sind, im Stich gelassen werden, wenn sie nicht so schnell laufen können wie die anderen", erklärt Jessica Bolter, Analystin am Migration Policy Institute in Washington, gegenüber der DW.
Der UNHCR-Sprecher warnt seinerseits, dass die einzigen sicheren Grenzübergänge die offiziellen sind. "In den vergangenen Monaten haben viele Länder der Region ihre Grenzen für Flüchtlinge und Migranten schrittweise wieder geöffnet. Das UNHCR fordert die Staaten weiterhin auf, den Menschen, die ihr Land aufgrund von Verfolgung, Gewalt, Rechtsverletzungen und Konflikten verlassen haben, Zugang zum Hoheitsgebiet und zu Asylverfahren zu gewähren", so William Spindler.