Grenzüberschreitender Terror in Nahost
8. Januar 2014Die Nachricht sorgte für Entsetzen: Am Montagabend (06.01.2014) sollen nach Presseberichten Mitglieder der Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) rund 50 Geiseln getötet haben - darunter Journalisten, humanitäre Helfer und andere Zivilisten. Die Exekutionen sind der vorläufige Höhepunkt der Schreckensherrschaft, die ISIS und andere islamistische Gruppen im nördlichen und östlichen Syrien seit mehreren Wochen ausüben.
Der Massenmord fand im Distrikt Kadi Askar in der Nähe von Aleppo statt, der sich zum Teil in der Hand der Dschihadisten befindet. Die Islamisten hoffen, dass die Region einmal zu jenem "Islamischen Staat" gehören könnte, den die ISIS bereits in ihrem Name trägt, und der ihren Vorstellungen zufolge einmal das Gebiet der heutigen Staaten Irak, Syrien, Libanon, Israel und die palästinensischen Gebiete umfassen soll.
Massive islamistische Präsenz
Insgesamt halten sich in Syrien derzeit rund 100.000 sunnitische Extremisten auf, die sich auf rund 200 verschiedene Gruppierungen verteilen. Einerseits kämpfen sie gegen das Regime Baschar al-Assads - andererseits aber für einen künftigen "Islamischen Staat", von dessen Charakter die einzelnen Gruppen jeweils eigene Vorstellungen haben. Mit rund 15.000 Kämpfern ist die Al-Nusra-Front die größte Gruppierung, während zur ISIS etwa 7000 Milizionäre gehören. Die geringere Truppenstärke gleicht ISIS allerdings durch ein besonders brutales Vorgehen aus. Immer wieder wird der Gruppe vorgeworfen, entführte Zivilisten wie auch Kämpfer rivalisierender Gruppen zu foltern und schließlich zu töten.
Gelenkt wird ISIS nicht von Syrien, sondern vom Irak aus. Auch dort hatte die Gruppe in den letzten Wochenihren Herrschaftsbereich ausgebaut.Nachdem die Dschihadisten vergangene Woche die Städte Falludscha und Ramadi in der Provinz Anbar in ihre Gewalt gebracht hatten, drängte das irakische Militär sie diese Woche wieder zurück. Die Terroristen suchten in ihren Verstecken in der Wüste Zuflucht.
Dschihadisten nutzen Nöte der Bevölkerung aus
Ein Teil von ihnen könnte sich aber auch auf den Weg nach Syrien machen. Zwischen Irak und Syrien könnten sich die Extremisten problemlos bewegen, erklärt Stephan Rosiny, Nahost-Experte am German Institute of Global and Area Studies (GIGA). "Die syrisch-irakische Grenze verläuft über Hunderte Kilometer Wüste. Das Gebiet ist kaum zu kontrollieren und es bestehen seit langem etablierte Schmuggelpfade." Nach der amerikanischen Invasion im Irak zogen viele Dschihadisten über die syrische Grenze in das Nachbarland, um dort gegen die US-Amerikaner zu kämpfen. "Seit 2011 ziehen sie nun in umgekehrter Richtung aus dem Irak nach Syrien", erklärt Rosiny. "Allein im Juli 2013 gelang es Al-Kaida, rund 600 Mitglieder aus irakischen Gefängnissen zu befreien, die anschließend in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind."
In beiden Staaten machen sich die Dschihadisten die Nöte der Bevölkerung für ihre Zwecke zunutze. Im Irak setzen sie auf die Entfremdung zwischen den Sunniten und der Regierung des schiitischen Premiers Nuri al-Maliki. Besonders erfolgreich ist ihre Propaganda in den Regionen an der Grenze zu Syrien, wo die angespannte und von der Regierung bislang nicht verbesserte Sicherheitslage die Bewohner besonders anfällig dafür macht, selbst für Ordnung zu sorgen oder diese bewaffneten Gruppen wie etwa ISIS anzuvertrauen. Deren religiösen Extremismus haben sie zumindest anfänglich in Kauf genommen.
Auch in Syrien haben einige dschihadistische Gruppen dazu beigetragen, inmitten des Krieges die öffentliche Ordnung zumindest in Teilen aufrechtzuerhalten. Sie halfen auch dabei, die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Doch ihre ideologische Militanz und Brutalität ließ viele Menschen wieder auf Distanz gehen. "Mittlerweile lehnen sich sowohl in Syrien als auch im Irak sunnitische Gruppen auch mit Waffengewalt gegen die Dschihadisten auf", sagt Stephan Rosiny.
"Gemeinsam für den Dschihad"
Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte haben die Kämpfe rivalisierender Gruppen allein seit Ende der vergangenen Woche über 270 Todesopfer gefordert. Einem Bericht von Al-Dschasira zufolge hat diese Gewalt einen Anführer der Nusra-Front mit dem Kampfnamen Abu Mohammad al-Golani dazu bewogen, in einer Videobotschaft ein Ende dieser Kämpfe zu fordern: "Wir glauben an einen Islam, der Platz für konkurrierende Fraktionen hat, aber verräterische Gruppen haben die Situation ausgenutzt, um Pläne des Westens auszuführen oder ihre eigenen Interessen zu verfolgen." Außerdem forderte er dazu auf, nicht zwischen ausländischen und einheimischen Kämpfern zu unterscheiden - denn alle würden gebraucht, um den Dschihad in Syrien voranzutreiben.
Die Ausbreitung des Terrorismus spielt derzeit der Assad-Regierung in die Hände, die die gesamte Opposition als "terroristisch" darstellt. Inzwischen erklärte die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana, die Regierung wolle das Thema Terrorismus ganz oben auf die Agenda derSyrien-FriedenskonferenzEnde Januar setzen.